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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803.

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grosse Geheimmniss, sein eigenes Ich, ver-
stehn.

4) Der Mensch schaut die Objekte des
äusseren Sinnes unter der Form des Raumes
und die Objekte des inneren Sinnes unter der
Form der Zeit an. Es fasst das räumliche Ver-
hältniss seines Körpers zu den Gegenständen in
dem unbegrenzten Totalraum im Bewusstseyn auf,
und bestimmt sich dadurch in Rücksicht des
Orts, den er wirklich einnimmt. Den wahren
Zeitpunkt, in welchem er ist, hält er dadurch fest,
dass er den gegenwärtigen Moment mit der Ver-
gangenheit und Zukunft in seinem natürlichen
Fortschreiten vorstellt. Auf diese Art ist er im
Stande sein eignes Selbst als eine in Zeit und
Raum bestimmte Person vorzustellen. Dies Be-
wusstseyn ist wahr, wenn er sich wirklich in dem
Theil des Raums und in dem Moment der Zeit
befindet, in welchem er sich als existirend denkt.

5) Wir haben endlich ein Bewusstseyn
der Vergangenheit
und knüpfen alles, was
von der Welt zu unserer Erkenntniss gelangt ist,
alle Catastrophen unseres körperlichen und See-
lenzustandes, die unser Gedächtniss und die
Phantasie reproduciren, an das nemliche beharr-
liche Ich, an welches wir unsern gegenwärtigen
Zustand knüpfen. Wir schaun als die nemliche
Person von dem gegenwärtigen Moment, bis zum
ersten dunklen Punkt unserer Existenz rückwärts
und immer ferner zurück, je länger wir gewesen

groſse Geheimmniſs, ſein eigenes Ich, ver-
ſtehn.

4) Der Menſch ſchaut die Objekte des
äuſseren Sinnes unter der Form des Raumes
und die Objekte des inneren Sinnes unter der
Form der Zeit an. Es faſst das räumliche Ver-
hältniſs ſeines Körpers zu den Gegenſtänden in
dem unbegrenzten Totalraum im Bewuſstſeyn auf,
und beſtimmt ſich dadurch in Rückſicht des
Orts, den er wirklich einnimmt. Den wahren
Zeitpunkt, in welchem er iſt, hält er dadurch feſt,
daſs er den gegenwärtigen Moment mit der Ver-
gangenheit und Zukunft in ſeinem natürlichen
Fortſchreiten vorſtellt. Auf dieſe Art iſt er im
Stande ſein eignes Selbſt als eine in Zeit und
Raum beſtimmte Perſon vorzuſtellen. Dies Be-
wuſstſeyn iſt wahr, wenn er ſich wirklich in dem
Theil des Raums und in dem Moment der Zeit
befindet, in welchem er ſich als exiſtirend denkt.

5) Wir haben endlich ein Bewuſstſeyn
der Vergangenheit
und knüpfen alles, was
von der Welt zu unſerer Erkenntniſs gelangt iſt,
alle Cataſtrophen unſeres körperlichen und See-
lenzuſtandes, die unſer Gedächtniſs und die
Phantaſie reproduciren, an das nemliche beharr-
liche Ich, an welches wir unſern gegenwärtigen
Zuſtand knüpfen. Wir ſchaun als die nemliche
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[58/0063] groſse Geheimmniſs, ſein eigenes Ich, ver- ſtehn. 4) Der Menſch ſchaut die Objekte des äuſseren Sinnes unter der Form des Raumes und die Objekte des inneren Sinnes unter der Form der Zeit an. Es faſst das räumliche Ver- hältniſs ſeines Körpers zu den Gegenſtänden in dem unbegrenzten Totalraum im Bewuſstſeyn auf, und beſtimmt ſich dadurch in Rückſicht des Orts, den er wirklich einnimmt. Den wahren Zeitpunkt, in welchem er iſt, hält er dadurch feſt, daſs er den gegenwärtigen Moment mit der Ver- gangenheit und Zukunft in ſeinem natürlichen Fortſchreiten vorſtellt. Auf dieſe Art iſt er im Stande ſein eignes Selbſt als eine in Zeit und Raum beſtimmte Perſon vorzuſtellen. Dies Be- wuſstſeyn iſt wahr, wenn er ſich wirklich in dem Theil des Raums und in dem Moment der Zeit befindet, in welchem er ſich als exiſtirend denkt. 5) Wir haben endlich ein Bewuſstſeyn der Vergangenheit und knüpfen alles, was von der Welt zu unſerer Erkenntniſs gelangt iſt, alle Cataſtrophen unſeres körperlichen und See- lenzuſtandes, die unſer Gedächtniſs und die Phantaſie reproduciren, an das nemliche beharr- liche Ich, an welches wir unſern gegenwärtigen Zuſtand knüpfen. Wir ſchaun als die nemliche Perſon von dem gegenwärtigen Moment, bis zum erſten dunklen Punkt unſerer Exiſtenz rückwärts und immer ferner zurück, je länger wir geweſen

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Zitationshilfe: Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/63>, abgerufen am 27.11.2024.