ewiger Zwiespalt und ewiger Bund. Auf den niederen Stufen tritt die Natur hervor, bis end- lich in der höchsten Potenziirung des Geistes das grosse Kunstwerk der cislunarischen Welt, der Mensch, entsteht, in welchem der Organismus dem Geiste seine innere Seite der Reizbarkeit als Gemüth zukehrt, das der Intelligenz gleichsam zur Aetherhülle dient, in welcher sie zur Aussenwelt herniedersteigt. Mit einem doppelten Janusgesich- te steht er als Grenzgott auf der Scheidung beider Welten. Mit seinem Geist blickt er in die intel- lectuelle, mit dem Gefühle seines Organismus in die materielle Welt hinüber. Mit seinem Auge, hoch an der Stirn, saugt er das Licht von der Welt im Raum ein, mit dem Ohre fasst er die in der Sprache verkörperten Ideen auf und horcht dem Geflüster des Geisterreichs zu. So construirt die Natur das Thierreich nach einer allgebrai- schen Formel, in Gleichungen von verschiedenen Graden, streut ihre plastischen Versuche in allen Potenzen verschwenderisch um sich her aus und löst rückwärts in der Analysis auf, was sie an dem einen Extrem in der Synthesis gab.
Diesen Dädalus von Faktoren, den Men- schen, in welchem gleichsam alle Facultäten des Thierreichs zur Individualität und Persönlichkeit aufgefasst sind, soll der Arzt in seinen tausendsäl-
ewiger Zwieſpalt und ewiger Bund. Auf den niederen Stufen tritt die Natur hervor, bis end- lich in der höchſten Potenziirung des Geiſtes das groſse Kunſtwerk der cislunariſchen Welt, der Menſch, entſteht, in welchem der Organiſmus dem Geiſte ſeine innere Seite der Reizbarkeit als Gemüth zukehrt, das der Intelligenz gleichſam zur Aetherhülle dient, in welcher ſie zur Auſsenwelt herniederſteigt. Mit einem doppelten Janusgeſich- te ſteht er als Grenzgott auf der Scheidung beider Welten. Mit ſeinem Geiſt blickt er in die intel- lectuelle, mit dem Gefühle ſeines Organiſmus in die materielle Welt hinüber. Mit ſeinem Auge, hoch an der Stirn, ſaugt er das Licht von der Welt im Raum ein, mit dem Ohre faſst er die in der Sprache verkörperten Ideen auf und horcht dem Geflüſter des Geiſterreichs zu. So conſtruirt die Natur das Thierreich nach einer allgebrai- ſchen Formel, in Gleichungen von verſchiedenen Graden, ſtreut ihre plaſtiſchen Verſuche in allen Potenzen verſchwenderiſch um ſich her aus und löſt rückwärts in der Analyſis auf, was ſie an dem einen Extrem in der Syntheſis gab.
Dieſen Dädalus von Faktoren, den Men- ſchen, in welchem gleichſam alle Facultäten des Thierreichs zur Individualität und Perſönlichkeit aufgefaſst ſind, ſoll der Arzt in ſeinen tauſendſäl-
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ewiger Zwieſpalt und ewiger Bund. Auf den
niederen Stufen tritt die Natur hervor, bis end-
lich in der höchſten Potenziirung des Geiſtes das
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Menſch, entſteht, in welchem der Organiſmus
dem Geiſte ſeine innere Seite der Reizbarkeit als
Gemüth zukehrt, das der Intelligenz gleichſam zur
Aetherhülle dient, in welcher ſie zur Auſsenwelt
herniederſteigt. Mit einem doppelten Janusgeſich-
te ſteht er als Grenzgott auf der Scheidung beider
Welten. Mit ſeinem Geiſt blickt er in die intel-
lectuelle, mit dem Gefühle ſeines Organiſmus in
die materielle Welt hinüber. Mit ſeinem Auge,
hoch an der Stirn, ſaugt er das Licht von der Welt
im Raum ein, mit dem Ohre faſst er die in der
Sprache verkörperten Ideen auf und horcht dem
Geflüſter des Geiſterreichs zu. So conſtruirt
die Natur das Thierreich nach einer allgebrai-
ſchen Formel, in Gleichungen von verſchiedenen
Graden, ſtreut ihre plaſtiſchen Verſuche in allen
Potenzen verſchwenderiſch um ſich her aus und
löſt rückwärts in der Analyſis auf, was ſie an dem
einen Extrem in der Syntheſis gab.
Dieſen Dädalus von Faktoren, den Men-
ſchen, in welchem gleichſam alle Facultäten des
Thierreichs zur Individualität und Perſönlichkeit
aufgefaſst ſind, ſoll der Arzt in ſeinen tauſendſäl-
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 486. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/491>, abgerufen am 22.11.2024.
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