und nicht, wie bey jenen, auf die Dauer ihres Lebens sich erstrecken. Die Aufbewahrungsan- stalt kann grösser seyn, weil ihre Verwaltung einfacher ist.
Die Irrenanstalt muss in einer anmuthigen Gegend liegen, die Seen, Flüsse, Wasserfälle, Berge und Felder, Städte und Dörfer in der Nähe hat. Sie muss Ackerbau, Viehzucht und Gärt- nerey besitzen. Der Garten ist vorzüglich für Kranke, denen man nicht ganz trauen darf. Er sey mit einer Mauer von der Höhe einer Brust- wehr eingeschlossen, auf derselben stehe ein Git- ter, damit die Aussicht nicht ganz gehemmt werde. Eine solche Lage macht es möglich, je- den Kranken zu zerstreuen und zu beschäfftigen, wie es seine Krankheit erfordert. Man kann ihm alle Lebensgenüsse, die stillen Freuden des Landes und die Ergötzung der Stadt verschaffen; ihn durch Gärtnerey und Feldbau oder durch Professionen und Künste des Städters beschäfftigen, nach seinem Bedürfniss *). Dass übrigens die An-
*) An den zwey äussersten Enden des alten Egyp- tens lagen ein Paar dem Saturn geweihte Tem- pel zur Kur Irrender, in welchen Kunst und Natur, Kitzel der Sinne und Zauber der Reli- gion sich vereinigten, durch kraftvolle Eindrücke dem Kranken eine andere Richtung zu geben. Leibesübungen aller Art, angenehme Gesänge, komische Scenen, groteske Tänze, verführeri- sche Gemählde wechselten mit einander, und wurden durch religiöse Anstriche gewürzt. In
und nicht, wie bey jenen, auf die Dauer ihres Lebens ſich erſtrecken. Die Aufbewahrungsan- ſtalt kann gröſser ſeyn, weil ihre Verwaltung einfacher iſt.
Die Irrenanſtalt muſs in einer anmuthigen Gegend liegen, die Seen, Flüſſe, Waſſerfälle, Berge und Felder, Städte und Dörfer in der Nähe hat. Sie muſs Ackerbau, Viehzucht und Gärt- nerey beſitzen. Der Garten iſt vorzüglich für Kranke, denen man nicht ganz trauen darf. Er ſey mit einer Mauer von der Höhe einer Bruſt- wehr eingeſchloſſen, auf derſelben ſtehe ein Git- ter, damit die Ausſicht nicht ganz gehemmt werde. Eine ſolche Lage macht es möglich, je- den Kranken zu zerſtreuen und zu beſchäfftigen, wie es ſeine Krankheit erfordert. Man kann ihm alle Lebensgenüſſe, die ſtillen Freuden des Landes und die Ergötzung der Stadt verſchaffen; ihn durch Gärtnerey und Feldbau oder durch Profeſſionen und Künſte des Städters beſchäfftigen, nach ſeinem Bedürfniſs *). Daſs übrigens die An-
*) An den zwey äuſserſten Enden des alten Egyp- tens lagen ein Paar dem Saturn geweihte Tem- pel zur Kur Irrender, in welchen Kunſt und Natur, Kitzel der Sinne und Zauber der Reli- gion ſich vereinigten, durch kraftvolle Eindrücke dem Kranken eine andere Richtung zu geben. Leibesübungen aller Art, angenehme Geſänge, komiſche Scenen, groteske Tänze, verführeri- ſche Gemählde wechſelten mit einander, und wurden durch religiöſe Anſtriche gewürzt. In
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und nicht, wie bey jenen, auf die Dauer ihres
Lebens ſich erſtrecken. Die Aufbewahrungsan-
ſtalt kann gröſser ſeyn, weil ihre Verwaltung
einfacher iſt.
Die Irrenanſtalt muſs in einer anmuthigen
Gegend liegen, die Seen, Flüſſe, Waſſerfälle,
Berge und Felder, Städte und Dörfer in der Nähe
hat. Sie muſs Ackerbau, Viehzucht und Gärt-
nerey beſitzen. Der Garten iſt vorzüglich für
Kranke, denen man nicht ganz trauen darf. Er
ſey mit einer Mauer von der Höhe einer Bruſt-
wehr eingeſchloſſen, auf derſelben ſtehe ein Git-
ter, damit die Ausſicht nicht ganz gehemmt
werde. Eine ſolche Lage macht es möglich, je-
den Kranken zu zerſtreuen und zu beſchäfftigen,
wie es ſeine Krankheit erfordert. Man kann
ihm alle Lebensgenüſſe, die ſtillen Freuden des
Landes und die Ergötzung der Stadt verſchaffen;
ihn durch Gärtnerey und Feldbau oder durch
Profeſſionen und Künſte des Städters beſchäfftigen,
nach ſeinem Bedürfniſs *). Daſs übrigens die An-
*) An den zwey äuſserſten Enden des alten Egyp-
tens lagen ein Paar dem Saturn geweihte Tem-
pel zur Kur Irrender, in welchen Kunſt und
Natur, Kitzel der Sinne und Zauber der Reli-
gion ſich vereinigten, durch kraftvolle Eindrücke
dem Kranken eine andere Richtung zu geben.
Leibesübungen aller Art, angenehme Geſänge,
komiſche Scenen, groteske Tänze, verführeri-
ſche Gemählde wechſelten mit einander, und
wurden durch religiöſe Anſtriche gewürzt. In
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 459. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/464>, abgerufen am 28.07.2024.
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