aus; andere hingegen weinen ohne Ursache, star- ren auf einen Punkt, und sind versunken in ein düsteres Stillschweigen. Der Phantast hat Visio- nen, dem Verliebten erscheint seine Psyche im Traume in einer himmlischen Gestalt.
Der Kranke in der hellen Periode ist ein anderer Mensch, bedarf also auch einer anderen psychischen Behandlung. Er muss jetzt mit mehr Schonung behandelt, und sanft zur Arbeit und zum Gehorsam angehalten werden, damit er sich an diese Tugenden gewöhne. Aeussere Ursachen, die auf die Wiederkehr seiner Anfälle wirken können, vermeide man sorgfältig. Man verstatte ihm mehr Freiheit, doch sey man auf seiner Huth, und merke auf die Zeichen des herannahenden Anfalls, damit kein Schade geschehe. Denn ihm ist auch bey dem besten Anschein nicht zu trauen. Ein Verrückter führte einen Fremden im Tollhause herum, und nöthigte ihn am Ende an die höchste Gallerie des Hauses zu treten, um einer schönen Aussicht zu geniessen. Hier, sagte er dem Fremden, zeige dich und spring hinunter, wenn du Glauben hast, oder ich werfe dich hin- ab. Der Fremde besann sich, antwortete ihm, die Kunst hinauf zu springen sey grösser, dies wolle er versuchen. Der Verrückte blieb oben, um den Sprung zu erwarten, aber der Fremde schlich sich leise zum Hause hinaus. Ein anderer wurde von seinem Führer bis in die Küche des Irrhauses gebracht. Hier verliess derselbe ihn
aus; andere hingegen weinen ohne Urſache, ſtar- ren auf einen Punkt, und ſind verſunken in ein düſteres Stillſchweigen. Der Phantaſt hat Viſio- nen, dem Verliebten erſcheint ſeine Pſyche im Traume in einer himmliſchen Geſtalt.
Der Kranke in der hellen Periode iſt ein anderer Menſch, bedarf alſo auch einer anderen pſychiſchen Behandlung. Er muſs jetzt mit mehr Schonung behandelt, und ſanft zur Arbeit und zum Gehorſam angehalten werden, damit er ſich an dieſe Tugenden gewöhne. Aeuſsere Urſachen, die auf die Wiederkehr ſeiner Anfälle wirken können, vermeide man ſorgfältig. Man verſtatte ihm mehr Freiheit, doch ſey man auf ſeiner Huth, und merke auf die Zeichen des herannahenden Anfalls, damit kein Schade geſchehe. Denn ihm iſt auch bey dem beſten Anſchein nicht zu trauen. Ein Verrückter führte einen Fremden im Tollhauſe herum, und nöthigte ihn am Ende an die höchſte Gallerie des Hauſes zu treten, um einer ſchönen Ausſicht zu genieſsen. Hier, ſagte er dem Fremden, zeige dich und ſpring hinunter, wenn du Glauben haſt, oder ich werfe dich hin- ab. Der Fremde beſann ſich, antwortete ihm, die Kunſt hinauf zu ſpringen ſey gröſser, dies wolle er verſuchen. Der Verrückte blieb oben, um den Sprung zu erwarten, aber der Fremde ſchlich ſich leiſe zum Hauſe hinaus. Ein anderer wurde von ſeinem Führer bis in die Küche des Irrhauſes gebracht. Hier verlieſs derſelbe ihn
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aus; andere hingegen weinen ohne Urſache, ſtar-
ren auf einen Punkt, und ſind verſunken in ein
düſteres Stillſchweigen. Der Phantaſt hat Viſio-
nen, dem Verliebten erſcheint ſeine Pſyche im
Traume in einer himmliſchen Geſtalt.
Der Kranke in der hellen Periode iſt ein
anderer Menſch, bedarf alſo auch einer anderen
pſychiſchen Behandlung. Er muſs jetzt mit mehr
Schonung behandelt, und ſanft zur Arbeit und
zum Gehorſam angehalten werden, damit er ſich
an dieſe Tugenden gewöhne. Aeuſsere Urſachen,
die auf die Wiederkehr ſeiner Anfälle wirken
können, vermeide man ſorgfältig. Man verſtatte
ihm mehr Freiheit, doch ſey man auf ſeiner Huth,
und merke auf die Zeichen des herannahenden
Anfalls, damit kein Schade geſchehe. Denn
ihm iſt auch bey dem beſten Anſchein nicht zu
trauen. Ein Verrückter führte einen Fremden
im Tollhauſe herum, und nöthigte ihn am Ende
an die höchſte Gallerie des Hauſes zu treten, um
einer ſchönen Ausſicht zu genieſsen. Hier, ſagte
er dem Fremden, zeige dich und ſpring hinunter,
wenn du Glauben haſt, oder ich werfe dich hin-
ab. Der Fremde beſann ſich, antwortete ihm,
die Kunſt hinauf zu ſpringen ſey gröſser, dies
wolle er verſuchen. Der Verrückte blieb oben,
um den Sprung zu erwarten, aber der Fremde
ſchlich ſich leiſe zum Hauſe hinaus. Ein anderer
wurde von ſeinem Führer bis in die Küche des
Irrhauſes gebracht. Hier verlieſs derſelbe ihn
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 444. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/449>, abgerufen am 22.11.2024.
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