Krankheit. Sie sind also aus dem Gebiete der praktischen Erfahrungs-Seelenkunde entlehnt, von deren Verhältniss zur Arzneiwis- senschaft ich im Vorbeigehn ein Paar Worte sa- gen muss.
Gewöhnlich betrachten die Aerzte sie als Hülfswissenschaft. Allein man kann diesen Be- griff nehmen wie man will. In gewisser Beziehung sind alle zur Arzneikunde gehörigen Disciplinen Hülfswissenschaften; in einer andern sind sie ihr alle eigenthümlich. Sie hat nemlich als solche kein eigenes Gebiet, das durch sich selbst, wie z. B. die Astronomie, begrenzt wäre. Ihr Zweck setzt ihre Grenzen. Sie nimmt also verschiedene Erkenntnissarten, als ihr angehörig auf, wenn sie zur direkten Erreichung ihres Zweckes geeignet sind. Die nemlichen Ansprüche macht sie an die Psychologie und mit desto grösserem Fug, je mehr sie dieselbe in ihr eigenthümliches Interesse verweben kann. Nun steht aber die Psychologie mit demselben in mancherley Beziehungen. Sie ist eine Naturlehre eines Theils des Gegenstandes, auf welchen der Arzt wirken, den er also auch kennen muss. Wer umfasst das Wesen des Sub- strats der Seelen- und Körperkräfte? Wer darf sich unterfangen, darüber abzusprechen, ob es homogener oder heterogener Natur sey? Und ge- setzt auch, die Seele wäre nichts Körperliches, so greift sie immerhin in dasselbe ein, und ver- rückt dem Arzt seine Zirkel, wenn er ihre ge-
Krankheit. Sie ſind alſo aus dem Gebiete der praktiſchen Erfahrungs-Seelenkunde entlehnt, von deren Verhältniſs zur Arzneiwiſ- ſenſchaft ich im Vorbeigehn ein Paar Worte ſa- gen muſs.
Gewöhnlich betrachten die Aerzte ſie als Hülfswiſſenſchaft. Allein man kann dieſen Be- griff nehmen wie man will. In gewiſſer Beziehung ſind alle zur Arzneikunde gehörigen Disciplinen Hülfswiſſenſchaften; in einer andern ſind ſie ihr alle eigenthümlich. Sie hat nemlich als ſolche kein eigenes Gebiet, das durch ſich ſelbſt, wie z. B. die Aſtronomie, begrenzt wäre. Ihr Zweck ſetzt ihre Grenzen. Sie nimmt alſo verſchiedene Erkenntniſsarten, als ihr angehörig auf, wenn ſie zur direkten Erreichung ihres Zweckes geeignet ſind. Die nemlichen Anſprüche macht ſie an die Pſychologie und mit deſto gröſserem Fug, je mehr ſie dieſelbe in ihr eigenthümliches Intereſſe verweben kann. Nun ſteht aber die Pſychologie mit demſelben in mancherley Beziehungen. Sie iſt eine Naturlehrë eines Theils des Gegenſtandes, auf welchen der Arzt wirken, den er alſo auch kennen muſs. Wer umfaſst das Weſen des Sub- ſtrats der Seelen- und Körperkräfte? Wer darf ſich unterfangen, darüber abzuſprechen, ob es homogener oder heterogener Natur ſey? Und ge- ſetzt auch, die Seele wäre nichts Körperliches, ſo greift ſie immerhin in daſſelbe ein, und ver- rückt dem Arzt ſeine Zirkel, wenn er ihre ge-
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Krankheit. Sie ſind alſo aus dem Gebiete der
praktiſchen Erfahrungs-Seelenkunde
entlehnt, von deren Verhältniſs zur Arzneiwiſ-
ſenſchaft ich im Vorbeigehn ein Paar Worte ſa-
gen muſs.
Gewöhnlich betrachten die Aerzte ſie als
Hülfswiſſenſchaft. Allein man kann dieſen Be-
griff nehmen wie man will. In gewiſſer Beziehung
ſind alle zur Arzneikunde gehörigen Disciplinen
Hülfswiſſenſchaften; in einer andern ſind ſie ihr
alle eigenthümlich. Sie hat nemlich als ſolche
kein eigenes Gebiet, das durch ſich ſelbſt, wie
z. B. die Aſtronomie, begrenzt wäre. Ihr Zweck
ſetzt ihre Grenzen. Sie nimmt alſo verſchiedene
Erkenntniſsarten, als ihr angehörig auf, wenn ſie
zur direkten Erreichung ihres Zweckes geeignet
ſind. Die nemlichen Anſprüche macht ſie an die
Pſychologie und mit deſto gröſserem Fug, je
mehr ſie dieſelbe in ihr eigenthümliches Intereſſe
verweben kann. Nun ſteht aber die Pſychologie
mit demſelben in mancherley Beziehungen. Sie
iſt eine Naturlehrë eines Theils des Gegenſtandes,
auf welchen der Arzt wirken, den er alſo auch
kennen muſs. Wer umfaſst das Weſen des Sub-
ſtrats der Seelen- und Körperkräfte? Wer darf
ſich unterfangen, darüber abzuſprechen, ob es
homogener oder heterogener Natur ſey? Und ge-
ſetzt auch, die Seele wäre nichts Körperliches,
ſo greift ſie immerhin in daſſelbe ein, und ver-
rückt dem Arzt ſeine Zirkel, wenn er ihre ge-
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/42>, abgerufen am 24.11.2024.
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