Blödsinn fällt. Der Kranke urtheilt noch über Dinge, mit denen er täglich umgeht und die keinen sonderlichen Verstand erfordern, mit nö- thiger Fertigkeit, stockt aber augenblicklich, wenn er neue auch noch so leichte Gegenstände beurtheilen soll, zu denen ihm alle Momente ge- geben sind. Seine Aufmerksamkeit haftet ent- weder nicht scharf genug auf ein gegebnes Ob- ject, oder kann sich nicht auf mehrere mit nö- thiger Leichtigkeit ausbreiten. Daher wenig Be- sonnenheit der Vergangenheit und Zukunft, und Vergessenheit in den gewöhnlichsten Handlungen. Die Leidenschaften sind transitorische Aufwallun- gen ohne Beharrlichkeit, und beziehn sich auf Kleinigkeiten. In einigen Vorsätzen schwankt der Kranke, wo es auf Vernunftgebrauch ankömmt, in anderen beharrt er hartnäckig, die er durch Eigensinn behaupten kann. Eben deswegen hängt er fest an dem, was er einmal gewohnt ist. In den Geschäfften, denen er gewachsen ist, beob- achtet er eine pünktliche Ordnung mit Aengst- lichkeit; bey ungewöhnlichen auch noch so leichten Geschäfften verwirrt er sich leicht.
Der mittlere Grad ist von beiden End- punkten gleich weit entfernt. Der Kranke ist nicht ganz sinnloss, sondern fasst noch die ein- fachsten Begriffe, doch ist er zu den gemeinsten Geschäfften unfähig, wenn sie nicht ganz mecha- nisch abzumachen sind. Er ist ohne Leidenschaf- ten, oder hat noch flüchtigere Aufwallungen als
Blödſinn fällt. Der Kranke urtheilt noch über Dinge, mit denen er täglich umgeht und die keinen ſonderlichen Verſtand erfordern, mit nö- thiger Fertigkeit, ſtockt aber augenblicklich, wenn er neue auch noch ſo leichte Gegenſtände beurtheilen ſoll, zu denen ihm alle Momente ge- geben ſind. Seine Aufmerkſamkeit haftet ent- weder nicht ſcharf genug auf ein gegebnes Ob- ject, oder kann ſich nicht auf mehrere mit nö- thiger Leichtigkeit ausbreiten. Daher wenig Be- ſonnenheit der Vergangenheit und Zukunft, und Vergeſſenheit in den gewöhnlichſten Handlungen. Die Leidenſchaften ſind tranſitoriſche Aufwallun- gen ohne Beharrlichkeit, und beziehn ſich auf Kleinigkeiten. In einigen Vorſätzen ſchwankt der Kranke, wo es auf Vernunftgebrauch ankömmt, in anderen beharrt er hartnäckig, die er durch Eigenſinn behaupten kann. Eben deswegen hängt er feſt an dem, was er einmal gewohnt iſt. In den Geſchäfften, denen er gewachſen iſt, beob- achtet er eine pünktliche Ordnung mit Aengſt- lichkeit; bey ungewöhnlichen auch noch ſo leichten Geſchäfften verwirrt er ſich leicht.
Der mittlere Grad iſt von beiden End- punkten gleich weit entfernt. Der Kranke iſt nicht ganz ſinnloſs, ſondern faſst noch die ein- fachſten Begriffe, doch iſt er zu den gemeinſten Geſchäfften unfähig, wenn ſie nicht ganz mecha- niſch abzumachen ſind. Er iſt ohne Leidenſchaf- ten, oder hat noch flüchtigere Aufwallungen als
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0419"n="414"/>
Blödſinn fällt. Der Kranke urtheilt noch über<lb/>
Dinge, mit denen er täglich umgeht und die<lb/>
keinen ſonderlichen Verſtand erfordern, mit nö-<lb/>
thiger Fertigkeit, ſtockt aber augenblicklich,<lb/>
wenn er neue auch noch ſo leichte Gegenſtände<lb/>
beurtheilen ſoll, zu denen ihm alle Momente ge-<lb/>
geben ſind. Seine Aufmerkſamkeit haftet ent-<lb/>
weder nicht ſcharf genug auf ein gegebnes Ob-<lb/>
ject, oder kann ſich nicht auf mehrere mit nö-<lb/>
thiger Leichtigkeit ausbreiten. Daher wenig Be-<lb/>ſonnenheit der Vergangenheit und Zukunft, und<lb/>
Vergeſſenheit in den gewöhnlichſten Handlungen.<lb/>
Die Leidenſchaften ſind tranſitoriſche Aufwallun-<lb/>
gen ohne Beharrlichkeit, und beziehn ſich auf<lb/>
Kleinigkeiten. In einigen Vorſätzen ſchwankt der<lb/>
Kranke, wo es auf Vernunftgebrauch ankömmt,<lb/>
in anderen beharrt er hartnäckig, die er durch<lb/>
Eigenſinn behaupten kann. Eben deswegen hängt<lb/>
er feſt an dem, was er einmal gewohnt iſt. In<lb/>
den Geſchäfften, denen er gewachſen iſt, beob-<lb/>
achtet er eine pünktliche Ordnung mit Aengſt-<lb/>
lichkeit; bey ungewöhnlichen auch noch ſo<lb/>
leichten Geſchäfften verwirrt er ſich leicht.</p><lb/><p>Der <hirendition="#g">mittlere</hi> Grad iſt von beiden End-<lb/>
punkten gleich weit entfernt. Der Kranke iſt<lb/>
nicht ganz ſinnloſs, ſondern faſst noch die ein-<lb/>
fachſten Begriffe, doch iſt er zu den gemeinſten<lb/>
Geſchäfften unfähig, wenn ſie nicht ganz mecha-<lb/>
niſch abzumachen ſind. Er iſt ohne Leidenſchaf-<lb/>
ten, oder hat noch flüchtigere Aufwallungen als<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[414/0419]
Blödſinn fällt. Der Kranke urtheilt noch über
Dinge, mit denen er täglich umgeht und die
keinen ſonderlichen Verſtand erfordern, mit nö-
thiger Fertigkeit, ſtockt aber augenblicklich,
wenn er neue auch noch ſo leichte Gegenſtände
beurtheilen ſoll, zu denen ihm alle Momente ge-
geben ſind. Seine Aufmerkſamkeit haftet ent-
weder nicht ſcharf genug auf ein gegebnes Ob-
ject, oder kann ſich nicht auf mehrere mit nö-
thiger Leichtigkeit ausbreiten. Daher wenig Be-
ſonnenheit der Vergangenheit und Zukunft, und
Vergeſſenheit in den gewöhnlichſten Handlungen.
Die Leidenſchaften ſind tranſitoriſche Aufwallun-
gen ohne Beharrlichkeit, und beziehn ſich auf
Kleinigkeiten. In einigen Vorſätzen ſchwankt der
Kranke, wo es auf Vernunftgebrauch ankömmt,
in anderen beharrt er hartnäckig, die er durch
Eigenſinn behaupten kann. Eben deswegen hängt
er feſt an dem, was er einmal gewohnt iſt. In
den Geſchäfften, denen er gewachſen iſt, beob-
achtet er eine pünktliche Ordnung mit Aengſt-
lichkeit; bey ungewöhnlichen auch noch ſo
leichten Geſchäfften verwirrt er ſich leicht.
Der mittlere Grad iſt von beiden End-
punkten gleich weit entfernt. Der Kranke iſt
nicht ganz ſinnloſs, ſondern faſst noch die ein-
fachſten Begriffe, doch iſt er zu den gemeinſten
Geſchäfften unfähig, wenn ſie nicht ganz mecha-
niſch abzumachen ſind. Er iſt ohne Leidenſchaf-
ten, oder hat noch flüchtigere Aufwallungen als
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 414. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/419>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.