darauf an, Gründe und Gegengründe gegen einan- der abzuwägen, um zu einem richtigen Probabi- litäts-Schluss zu gelangen und eben in diesem Ge- sehäfft kann die Stärke der Urtheilskraft vorzüg- lich erkannt werden. Denn dazu gehört nicht allein, dass die Zahl der Gründe, also eine Mannichfaltigkeit von Dingen beachtet, sondern auch der Gehalt derselben richtig geschätzt und gegen einander abgewogen werde. Es müs- sen also theils alle Momente des gegebnen Falls übersehn, theils jedes derselben scharf ins Auge gefasst werden. Dies erfordert Intensität, jenes Extensitat und Schnelligkeit der Aufmerksamkeit. Extensität derselben fehlt dem Dummen, Extensi- tät und Intensität dem Blödsinnigen *).
Allein da der Blödsinn selten einfach, son- dern fast ohne Ausnahme immer mit Asthenieen anderer oder aller Seelenvermögen gepaart und vielleicht indirect in ihnen gegründet ist, so folgt daraus, dass neben den verletzten Functionen der Urtheilskraft auch noch die Phänomene der übrigen verletzten Seelenvermögen vorhanden seyn müssen. Doch bemerke ich, dass diese letzten Er- scheinungen weniger wesentlich sind, nach dem Grade der Asthenie und ihrer Ausbreitung durch wenigere oder mehrere Seelenvermögen varii- ren, also in dem concreten Fall daseyn und feh- len, so und anders seyn können.
*)Hoffbauer l. c. 2 Th. 67. 83 S.
darauf an, Gründe und Gegengründe gegen einan- der abzuwägen, um zu einem richtigen Probabi- litäts-Schluſs zu gelangen und eben in dieſem Ge- ſehäfft kann die Stärke der Urtheilskraft vorzüg- lich erkannt werden. Denn dazu gehört nicht allein, daſs die Zahl der Gründe, alſo eine Mannichfaltigkeit von Dingen beachtet, ſondern auch der Gehalt derſelben richtig geſchätzt und gegen einander abgewogen werde. Es müſ- ſen alſo theils alle Momente des gegebnen Falls überſehn, theils jedes derſelben ſcharf ins Auge gefaſst werden. Dies erfordert Intenſität, jenes Extenſitat und Schnelligkeit der Aufmerkſamkeit. Extenſität derſelben fehlt dem Dummen, Extenſi- tät und Intenſität dem Blödſinnigen *).
Allein da der Blödſinn ſelten einfach, ſon- dern faſt ohne Ausnahme immer mit Aſthenieen anderer oder aller Seelenvermögen gepaart und vielleicht indirect in ihnen gegründet iſt, ſo folgt daraus, daſs neben den verletzten Functionen der Urtheilskraft auch noch die Phänomene der übrigen verletzten Seelenvermögen vorhanden ſeyn müſſen. Doch bemerke ich, daſs dieſe letzten Er- ſcheinungen weniger weſentlich ſind, nach dem Grade der Aſthenie und ihrer Ausbreitung durch wenigere oder mehrere Seelenvermögen varii- ren, alſo in dem concreten Fall daſeyn und feh- len, ſo und anders ſeyn können.
*)Hoffbauer l. c. 2 Th. 67. 83 S.
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darauf an, Gründe und Gegengründe gegen einan-
der abzuwägen, um zu einem richtigen Probabi-
litäts-Schluſs zu gelangen und eben in dieſem Ge-
ſehäfft kann die Stärke der Urtheilskraft vorzüg-
lich erkannt werden. Denn dazu gehört nicht
allein, daſs die Zahl der Gründe, alſo eine
Mannichfaltigkeit von Dingen beachtet, ſondern
auch der Gehalt derſelben richtig geſchätzt
und gegen einander abgewogen werde. Es müſ-
ſen alſo theils alle Momente des gegebnen Falls
überſehn, theils jedes derſelben ſcharf ins Auge
gefaſst werden. Dies erfordert Intenſität, jenes
Extenſitat und Schnelligkeit der Aufmerkſamkeit.
Extenſität derſelben fehlt dem Dummen, Extenſi-
tät und Intenſität dem Blödſinnigen *).
Allein da der Blödſinn ſelten einfach, ſon-
dern faſt ohne Ausnahme immer mit Aſthenieen
anderer oder aller Seelenvermögen gepaart und
vielleicht indirect in ihnen gegründet iſt, ſo folgt
daraus, daſs neben den verletzten Functionen
der Urtheilskraft auch noch die Phänomene der
übrigen verletzten Seelenvermögen vorhanden ſeyn
müſſen. Doch bemerke ich, daſs dieſe letzten Er-
ſcheinungen weniger weſentlich ſind, nach dem
Grade der Aſthenie und ihrer Ausbreitung durch
wenigere oder mehrere Seelenvermögen varii-
ren, alſo in dem concreten Fall daſeyn und feh-
len, ſo und anders ſeyn können.
*) Hoffbauer l. c. 2 Th. 67. 83 S.
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 405. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/410>, abgerufen am 25.11.2024.
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