leuchtende Farbe und gleichsam einen phospho- rischen Schein bekam. Der Zornige handelt nicht nach Vorstellungen, sondern nach einem blinden Drang, dem die Vernunft nicht mehr widerstehen kann. Ein Kranker, der an Satyriasis leidet, handelt absurd, obgleich seine Urtheilskraft rich- tig wirken und ihm die Gefahren der Ausschwei- fung klarer vorhalten mag, als dem Hagestolzen die seinige, den schon ein Fieberfrost überfällt, wenn er mit einem Mädchen in einer Stube allein ist. Höchstens wird das Vorstellungsvermögen Diener des Triebes, da es Erreger und Führer desselben seyn sollte. Auch darf man, wie Herr Hoffbauer*) es zu thun scheint, wenn von der zureichenden Ursach der Tobsucht die Rede ist, es nicht verwechseln, ob die Wuth Product des kranken Vorstellungsvermögens ist, oder dasselbe ihrer Gewalt weichen muss. Denn in dem letzten Fall ist die Wuth schon gesetzt, bevor die freie Wirksamkeit der Vernunft beschränkt wird. Dies kann also nicht Ursache von jener seyn, sondern es betrifft bloss ein Verhältniss der Vorstellungs- kraft zur Wuth. Ich halte daher die Krankheit für ganz körperlich; mag aber nichts darüber aussagen, welcher Natur sie sey. Die tobenden Leidenschaften und besonders der Zorn mögen ihr wol sehr nahe liegen. Zuverlässig ist die Er- regbarkeit des ganzen Nervensystems bis auf den
*) l. c. S. 258 und 260.
leuchtende Farbe und gleichſam einen phospho- riſchen Schein bekam. Der Zornige handelt nicht nach Vorſtellungen, ſondern nach einem blinden Drang, dem die Vernunft nicht mehr widerſtehen kann. Ein Kranker, der an Satyriaſis leidet, handelt abſurd, obgleich ſeine Urtheilskraft rich- tig wirken und ihm die Gefahren der Ausſchwei- fung klarer vorhalten mag, als dem Hageſtolzen die ſeinige, den ſchon ein Fieberfroſt überfällt, wenn er mit einem Mädchen in einer Stube allein iſt. Höchſtens wird das Vorſtellungsvermögen Diener des Triebes, da es Erreger und Führer deſſelben ſeyn ſollte. Auch darf man, wie Herr Hoffbauer*) es zu thun ſcheint, wenn von der zureichenden Urſach der Tobſucht die Rede iſt, es nicht verwechſeln, ob die Wuth Product des kranken Vorſtellungsvermögens iſt, oder daſſelbe ihrer Gewalt weichen muſs. Denn in dem letzten Fall iſt die Wuth ſchon geſetzt, bevor die freie Wirkſamkeit der Vernunft beſchränkt wird. Dies kann alſo nicht Urſache von jener ſeyn, ſondern es betrifft bloſs ein Verhältniſs der Vorſtellungs- kraft zur Wuth. Ich halte daher die Krankheit für ganz körperlich; mag aber nichts darüber ausſagen, welcher Natur ſie ſey. Die tobenden Leidenſchaften und beſonders der Zorn mögen ihr wol ſehr nahe liegen. Zuverläſſig iſt die Er- regbarkeit des ganzen Nervenſyſtems bis auf den
*) l. c. S. 258 und 260.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0383"n="378"/>
leuchtende Farbe und gleichſam einen phospho-<lb/>
riſchen Schein bekam. Der Zornige handelt nicht<lb/>
nach Vorſtellungen, ſondern nach einem blinden<lb/>
Drang, dem die Vernunft nicht mehr widerſtehen<lb/>
kann. Ein Kranker, der an Satyriaſis leidet,<lb/>
handelt abſurd, obgleich ſeine Urtheilskraft rich-<lb/>
tig wirken und ihm die Gefahren der Ausſchwei-<lb/>
fung klarer vorhalten mag, als dem Hageſtolzen<lb/>
die ſeinige, den ſchon ein Fieberfroſt überfällt,<lb/>
wenn er mit einem Mädchen in einer Stube allein<lb/>
iſt. Höchſtens wird das Vorſtellungsvermögen<lb/>
Diener des Triebes, da es Erreger und Führer<lb/>
deſſelben ſeyn ſollte. Auch darf man, wie Herr<lb/><hirendition="#g">Hoffbauer</hi><noteplace="foot"n="*)">l. c. S. 258 und 260.</note> es zu thun ſcheint, wenn von der<lb/>
zureichenden Urſach der Tobſucht die Rede iſt,<lb/>
es nicht verwechſeln, ob die Wuth Product des<lb/>
kranken Vorſtellungsvermögens iſt, oder daſſelbe<lb/>
ihrer Gewalt weichen muſs. Denn in dem letzten<lb/>
Fall iſt die Wuth ſchon geſetzt, bevor die freie<lb/>
Wirkſamkeit der Vernunft beſchränkt wird. Dies<lb/>
kann alſo nicht Urſache von jener ſeyn, ſondern<lb/>
es betrifft bloſs ein Verhältniſs der Vorſtellungs-<lb/>
kraft zur Wuth. Ich halte daher die Krankheit<lb/>
für ganz körperlich; mag aber nichts darüber<lb/>
ausſagen, welcher Natur ſie ſey. Die tobenden<lb/>
Leidenſchaften und beſonders der Zorn mögen<lb/>
ihr wol ſehr nahe liegen. Zuverläſſig iſt die Er-<lb/>
regbarkeit des ganzen Nervenſyſtems bis auf den<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[378/0383]
leuchtende Farbe und gleichſam einen phospho-
riſchen Schein bekam. Der Zornige handelt nicht
nach Vorſtellungen, ſondern nach einem blinden
Drang, dem die Vernunft nicht mehr widerſtehen
kann. Ein Kranker, der an Satyriaſis leidet,
handelt abſurd, obgleich ſeine Urtheilskraft rich-
tig wirken und ihm die Gefahren der Ausſchwei-
fung klarer vorhalten mag, als dem Hageſtolzen
die ſeinige, den ſchon ein Fieberfroſt überfällt,
wenn er mit einem Mädchen in einer Stube allein
iſt. Höchſtens wird das Vorſtellungsvermögen
Diener des Triebes, da es Erreger und Führer
deſſelben ſeyn ſollte. Auch darf man, wie Herr
Hoffbauer *) es zu thun ſcheint, wenn von der
zureichenden Urſach der Tobſucht die Rede iſt,
es nicht verwechſeln, ob die Wuth Product des
kranken Vorſtellungsvermögens iſt, oder daſſelbe
ihrer Gewalt weichen muſs. Denn in dem letzten
Fall iſt die Wuth ſchon geſetzt, bevor die freie
Wirkſamkeit der Vernunft beſchränkt wird. Dies
kann alſo nicht Urſache von jener ſeyn, ſondern
es betrifft bloſs ein Verhältniſs der Vorſtellungs-
kraft zur Wuth. Ich halte daher die Krankheit
für ganz körperlich; mag aber nichts darüber
ausſagen, welcher Natur ſie ſey. Die tobenden
Leidenſchaften und beſonders der Zorn mögen
ihr wol ſehr nahe liegen. Zuverläſſig iſt die Er-
regbarkeit des ganzen Nervenſyſtems bis auf den
*) l. c. S. 258 und 260.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 378. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/383>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.