dert wird. In einem höheren Grade spricht er nicht, sondern schreit fürchterlich, bewegt sich aufs heftigste, wenn er angeschlossen ist, und sucht sich und andere zu tödten. Doch hat er noch einiges Bewusstseyn seiner Handlungen und ihres Werths. Endlich befindet sich der Kranke in dem höchsten Zustand der stillen Wuth, spricht und schreit nicht, steht still, murmelt und knirscht mit den Zähnen. Seine Muskeln sind gleichsam wie vom Starrkrampf befallen, er ist ohne Schlaf. In dieser kataleptischen Dumpf- heit mordet er jeden, der ihm in Weg tritt, ohne Zweck, und weiss nach dem Morde nicht, was er gethan hat. Dieser Zustand der heftigen Ex- altation kann nicht lange dauren, und geht in eine leichtere Raserey, in Blödsinn, oder in den Tod über.
Die Krankheit ist einfach, in der Wuth ohne Verkehrtheit; oder zusammengesetzt, wenn sie mit einem allgemeinen oder partiellen Wahn- sinn, mit Narrheit, Blödsinn oder mit einem Ge- fässfieber, z. B. in der Phrenesie, verbunden ist.
Nach dieser Schilderung der Phänomene der Tobsucht kann ich sie nicht für eine psychische, sondern muss sie vielmehr für eine körperliche Krankheit halten. Sie ist nicht, wie Boer- haave*) will, ein höherer Grad der Melan- cholie, sondern eine eigne, specifisch von ihr
*) Aphor. §. 1118.
dert wird. In einem höheren Grade ſpricht er nicht, ſondern ſchreit fürchterlich, bewegt ſich aufs heftigſte, wenn er angeſchloſſen iſt, und ſucht ſich und andere zu tödten. Doch hat er noch einiges Bewuſstſeyn ſeiner Handlungen und ihres Werths. Endlich befindet ſich der Kranke in dem höchſten Zuſtand der ſtillen Wuth, ſpricht und ſchreit nicht, ſteht ſtill, murmelt und knirſcht mit den Zähnen. Seine Muskeln ſind gleichſam wie vom Starrkrampf befallen, er iſt ohne Schlaf. In dieſer kataleptiſchen Dumpf- heit mordet er jeden, der ihm in Weg tritt, ohne Zweck, und weiſs nach dem Morde nicht, was er gethan hat. Dieſer Zuſtand der heftigen Ex- altation kann nicht lange dauren, und geht in eine leichtere Raſerey, in Blödſinn, oder in den Tod über.
Die Krankheit iſt einfach, in der Wuth ohne Verkehrtheit; oder zuſammengeſetzt, wenn ſie mit einem allgemeinen oder partiellen Wahn- ſinn, mit Narrheit, Blödſinn oder mit einem Ge- fäſsfieber, z. B. in der Phreneſie, verbunden iſt.
Nach dieſer Schilderung der Phänomene der Tobſucht kann ich ſie nicht für eine pſychiſche, ſondern muſs ſie vielmehr für eine körperliche Krankheit halten. Sie iſt nicht, wie Boer- haave*) will, ein höherer Grad der Melan- cholie, ſondern eine eigne, ſpecifiſch von ihr
*) Aphor. §. 1118.
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dert wird. In einem höheren Grade ſpricht er
nicht, ſondern ſchreit fürchterlich, bewegt ſich
aufs heftigſte, wenn er angeſchloſſen iſt, und
ſucht ſich und andere zu tödten. Doch hat er
noch einiges Bewuſstſeyn ſeiner Handlungen und
ihres Werths. Endlich befindet ſich der Kranke
in dem höchſten Zuſtand der ſtillen Wuth,
ſpricht und ſchreit nicht, ſteht ſtill, murmelt
und knirſcht mit den Zähnen. Seine Muskeln
ſind gleichſam wie vom Starrkrampf befallen, er
iſt ohne Schlaf. In dieſer kataleptiſchen Dumpf-
heit mordet er jeden, der ihm in Weg tritt, ohne
Zweck, und weiſs nach dem Morde nicht, was
er gethan hat. Dieſer Zuſtand der heftigen Ex-
altation kann nicht lange dauren, und geht in
eine leichtere Raſerey, in Blödſinn, oder in den
Tod über.
Die Krankheit iſt einfach, in der Wuth
ohne Verkehrtheit; oder zuſammengeſetzt, wenn
ſie mit einem allgemeinen oder partiellen Wahn-
ſinn, mit Narrheit, Blödſinn oder mit einem Ge-
fäſsfieber, z. B. in der Phreneſie, verbunden iſt.
Nach dieſer Schilderung der Phänomene der
Tobſucht kann ich ſie nicht für eine pſychiſche,
ſondern muſs ſie vielmehr für eine körperliche
Krankheit halten. Sie iſt nicht, wie Boer-
haave *) will, ein höherer Grad der Melan-
cholie, ſondern eine eigne, ſpecifiſch von ihr
*) Aphor. §. 1118.
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 376. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/381>, abgerufen am 28.11.2024.
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