samkeit sie nicht festhalten, der Wille sie nicht zü- geln, das Associationsvermögen sie in keine Ver- bindung bringen und das Gedächtniss sie nicht reproduciren kann. Es entstehn Verspätungen der Handlungen, weil der Wille und das Vermö- gen zu handlen nicht nachkommen, sondern erst von dem Stosse einer Idee wirken, wenn dieselbe längst durch eine andere verdrängt und im Ge- dächtniss erloschen ist. Daher das wilde und zügellose Aufbrausen und der blinde Trieb zu eben so momentanen, isolirten, unzusammenhän- genden, gleichsam convulsivischen Handlungen, die in dem Augenblick, wo sie geschehen, ohne Vorstellung eines Zwecks geschehen. Der Kran- ke ist ohne Besonnenheit, Aufmerksamkeit und Urtheilskraft, weil dazu eine Weile erfordert wird, die ihm fehlt; er nimmt keine oder höch- stens nur solche Eindrücke von Dingen wahr, die ihm als Hindernisse in dem Drang zum Handeln erscheinen. In den milderen Graden wählt er zuweilen Mittel zur Erreichung eines Zwecks mit Ueberlegung, z. B. die Mittel zur Ausfüh- rung eines Mordes, aber die Handlung selbst ist ohne Bewusstseyn eines Zwecks. In gewissen Fällen kann er gar den Schein der Ruhe anneh- men, wenn die äusseren Umstände der Befrie- digung seines inneren blinden Drangs ungünstig sind, er kann sich verstellen, zur List seine Zu- flucht nehmen, um sich und andern zu schaden, wenn er ein äusseres Hinderniss zu bemerken scheint. Allein lange hält dieser Zustand der
ſamkeit ſie nicht feſthalten, der Wille ſie nicht zü- geln, das Aſſociationsvermögen ſie in keine Ver- bindung bringen und das Gedächtniſs ſie nicht reproduciren kann. Es entſtehn Verſpätungen der Handlungen, weil der Wille und das Vermö- gen zu handlen nicht nachkommen, ſondern erſt von dem Stoſse einer Idee wirken, wenn dieſelbe längſt durch eine andere verdrängt und im Ge- dächtniſs erloſchen iſt. Daher das wilde und zügelloſe Aufbrauſen und der blinde Trieb zu eben ſo momentanen, iſolirten, unzuſammenhän- genden, gleichſam convulſiviſchen Handlungen, die in dem Augenblick, wo ſie geſchehen, ohne Vorſtellung eines Zwecks geſchehen. Der Kran- ke iſt ohne Beſonnenheit, Aufmerkſamkeit und Urtheilskraft, weil dazu eine Weile erfordert wird, die ihm fehlt; er nimmt keine oder höch- ſtens nur ſolche Eindrücke von Dingen wahr, die ihm als Hinderniſſe in dem Drang zum Handeln erſcheinen. In den milderen Graden wählt er zuweilen Mittel zur Erreichung eines Zwecks mit Ueberlegung, z. B. die Mittel zur Ausfüh- rung eines Mordes, aber die Handlung ſelbſt iſt ohne Bewuſstſeyn eines Zwecks. In gewiſſen Fällen kann er gar den Schein der Ruhe anneh- men, wenn die äuſseren Umſtände der Befrie- digung ſeines inneren blinden Drangs ungünſtig ſind, er kann ſich verſtellen, zur Liſt ſeine Zu- flucht nehmen, um ſich und andern zu ſchaden, wenn er ein äuſseres Hinderniſs zu bemerken ſcheint. Allein lange hält dieſer Zuſtand der
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ſamkeit ſie nicht feſthalten, der Wille ſie nicht zü-
geln, das Aſſociationsvermögen ſie in keine Ver-
bindung bringen und das Gedächtniſs ſie nicht
reproduciren kann. Es entſtehn Verſpätungen
der Handlungen, weil der Wille und das Vermö-
gen zu handlen nicht nachkommen, ſondern erſt
von dem Stoſse einer Idee wirken, wenn dieſelbe
längſt durch eine andere verdrängt und im Ge-
dächtniſs erloſchen iſt. Daher das wilde und
zügelloſe Aufbrauſen und der blinde Trieb zu
eben ſo momentanen, iſolirten, unzuſammenhän-
genden, gleichſam convulſiviſchen Handlungen,
die in dem Augenblick, wo ſie geſchehen, ohne
Vorſtellung eines Zwecks geſchehen. Der Kran-
ke iſt ohne Beſonnenheit, Aufmerkſamkeit und
Urtheilskraft, weil dazu eine Weile erfordert
wird, die ihm fehlt; er nimmt keine oder höch-
ſtens nur ſolche Eindrücke von Dingen wahr, die
ihm als Hinderniſſe in dem Drang zum Handeln
erſcheinen. In den milderen Graden wählt er
zuweilen Mittel zur Erreichung eines Zwecks
mit Ueberlegung, z. B. die Mittel zur Ausfüh-
rung eines Mordes, aber die Handlung ſelbſt iſt
ohne Bewuſstſeyn eines Zwecks. In gewiſſen
Fällen kann er gar den Schein der Ruhe anneh-
men, wenn die äuſseren Umſtände der Befrie-
digung ſeines inneren blinden Drangs ungünſtig
ſind, er kann ſich verſtellen, zur Liſt ſeine Zu-
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wenn er ein äuſseres Hinderniſs zu bemerken
ſcheint. Allein lange hält dieſer Zuſtand der
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 372. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/377>, abgerufen am 24.11.2024.
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