des Mangels an Besonnenheit wieder in ihre na- türliche Verhältnisse tritt. Der Rasende zerstört also in der Regel, aber ohne Zweck. Daher ist auch sein innerer blinder Drang nicht bloss auf Mordlust beschränkt, sondern er zerstört todte und lebendige Wesen. Er zerreisst seine Kleider und Betten, zerschlägt die Fenster und zertrüm- mert die Geräthe seines Zimmers. Dass er or- ganische Wesen und unter diesen die Menschen am häufigsten zerstört, mag wahrscheinlich von der dunklen Vorstellung herrühren, dass sie nur Ursachen von Quaalen, und Hindernisse von Zwecken seyn können, gegen welche der Zorn sich mit Grund empören könne. Doch zuweilen äussert sich die Raserey auch durch wilde und unzusammenhängende Ausbrüche eines joviali- schen Muthwillens; oft sind die Handlungen in Rücksicht ihres absoluten Gehalts gleichgültig. Der Kranke lacht heftig und ohne alle Veranlas- sung, schreit, heult, brüllt, springt, läuft, wälzt sich auf der Erde, in seinem eignen Koth, macht die sonderbarsten Gestikulationen, schüttelt die Kette ohne Nachlass. Einige weigern sich hart- näckig zu essen und zu trinken, andere schlingen alles begierig hinter, was ihnen vorkommt, selbst ihren eigenen Koth *).
*) Vidi maniacum omnia corporis integumenta la- cerasse et nudum stramini incubuisse in loco lapidibus strato, dum asperrima saeviebat hyems, per plures septimanas; quandoque
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des Mangels an Beſonnenheit wieder in ihre na- türliche Verhältniſſe tritt. Der Raſende zerſtört alſo in der Regel, aber ohne Zweck. Daher iſt auch ſein innerer blinder Drang nicht bloſs auf Mordluſt beſchränkt, ſondern er zerſtört todte und lebendige Weſen. Er zerreiſst ſeine Kleider und Betten, zerſchlägt die Fenſter und zertrüm- mert die Geräthe ſeines Zimmers. Daſs er or- ganiſche Weſen und unter dieſen die Menſchen am häufigſten zerſtört, mag wahrſcheinlich von der dunklen Vorſtellung herrühren, daſs ſie nur Urſachen von Quaalen, und Hinderniſſe von Zwecken ſeyn können, gegen welche der Zorn ſich mit Grund empören könne. Doch zuweilen äuſsert ſich die Raſerey auch durch wilde und unzuſammenhängende Ausbrüche eines joviali- ſchen Muthwillens; oft ſind die Handlungen in Rückſicht ihres abſoluten Gehalts gleichgültig. Der Kranke lacht heftig und ohne alle Veranlaſ- ſung, ſchreit, heult, brüllt, ſpringt, läuft, wälzt ſich auf der Erde, in ſeinem eignen Koth, macht die ſonderbarſten Geſtikulationen, ſchüttelt die Kette ohne Nachlaſs. Einige weigern ſich hart- näckig zu eſſen und zu trinken, andere ſchlingen alles begierig hinter, was ihnen vorkommt, ſelbſt ihren eigenen Koth *).
*) Vidi maniacum omnia corporis integumenta la- ceraſſe et nudum ſtramini incubuiſſe in loco lapidibus ſtrato, dum asperrima ſaeviebat hyems, per plures ſeptimanas; quandoque
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des Mangels an Beſonnenheit wieder in ihre na-
türliche Verhältniſſe tritt. Der Raſende zerſtört
alſo in der Regel, aber ohne Zweck. Daher iſt
auch ſein innerer blinder Drang nicht bloſs auf
Mordluſt beſchränkt, ſondern er zerſtört todte
und lebendige Weſen. Er zerreiſst ſeine Kleider
und Betten, zerſchlägt die Fenſter und zertrüm-
mert die Geräthe ſeines Zimmers. Daſs er or-
ganiſche Weſen und unter dieſen die Menſchen
am häufigſten zerſtört, mag wahrſcheinlich von
der dunklen Vorſtellung herrühren, daſs ſie nur
Urſachen von Quaalen, und Hinderniſſe von
Zwecken ſeyn können, gegen welche der Zorn
ſich mit Grund empören könne. Doch zuweilen
äuſsert ſich die Raſerey auch durch wilde und
unzuſammenhängende Ausbrüche eines joviali-
ſchen Muthwillens; oft ſind die Handlungen in
Rückſicht ihres abſoluten Gehalts gleichgültig.
Der Kranke lacht heftig und ohne alle Veranlaſ-
ſung, ſchreit, heult, brüllt, ſpringt, läuft, wälzt
ſich auf der Erde, in ſeinem eignen Koth, macht
die ſonderbarſten Geſtikulationen, ſchüttelt die
Kette ohne Nachlaſs. Einige weigern ſich hart-
näckig zu eſſen und zu trinken, andere ſchlingen
alles begierig hinter, was ihnen vorkommt, ſelbſt
ihren eigenen Koth *).
*) Vidi maniacum omnia corporis integumenta la-
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 369. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/374>, abgerufen am 27.11.2024.
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