Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

verliert. Ursprünglich liegt ihr wol eine physi-
sche oder moralische Angst zum Grunde, die
endlich eine gänzliche Verwirrung des Verstandes
nach sich zieht. Oft kann auch Stolz, der sich
nirgends gefällt, oder habituelle Zerstreuung,
oder eitle Furcht für Verfolgungen und Nachstel-
lungen, oder das Gefühl der Erleichterung kör-
perlicher Beschwerden durch Bewegung Ursache
seyn. Man vertilge die Furcht des Kranken, und
binde ihn an Beschäfftigungen, die ihn anziehen.

2. Tobsucht, Raserey, Furor, Mania.

Der Hauptcharakter der Raserey, vielleicht
ihr einziger, ist übereilte, rastlose, im
höchsten Grade gespannte Thatkraft,
die sich in scheinbar eigenmächtigen
Handlungen, aber ohne alles Bewusst-
seyn eines sinnlichen oder verständi-
gen Zwecks äussert, und Product ei-
ner abnormen Umwälzung der Orga-
nisation ist
. Verkehrte Handlungen, die we-
der in reinen Vorstellungen gegründet sind, noch
in Gefühlen, die mit den Handlungen einen psy-
chischen Zusammenhang haben, charakterisiren
also die Tobsucht. Das Vorstellungsvermögen
ist ohne Einfluss auf die Funktionen des Willens,
wenigstens in Beziehung der Handlungen, die der
Kranke als Rasender begeht. Er handelt ver-
möge eines Impulses, der durch eine specifische
Verletzung des Organismus hervorgebracht wird,

verliert. Urſprünglich liegt ihr wol eine phyſi-
ſche oder moraliſche Angſt zum Grunde, die
endlich eine gänzliche Verwirrung des Verſtandes
nach ſich zieht. Oft kann auch Stolz, der ſich
nirgends gefällt, oder habituelle Zerſtreuung,
oder eitle Furcht für Verfolgungen und Nachſtel-
lungen, oder das Gefühl der Erleichterung kör-
perlicher Beſchwerden durch Bewegung Urſache
ſeyn. Man vertilge die Furcht des Kranken, und
binde ihn an Beſchäfftigungen, die ihn anziehen.

2. Tobſucht, Raſerey, Furor, Mania.

Der Hauptcharakter der Raſerey, vielleicht
ihr einziger, iſt übereilte, raſtloſe, im
höchſten Grade geſpannte Thatkraft,
die ſich in ſcheinbar eigenmächtigen
Handlungen, aber ohne alles Bewuſst-
ſeyn eines ſinnlichen oder verſtändi-
gen Zwecks äuſsert, und Product ei-
ner abnormen Umwälzung der Orga-
niſation iſt
. Verkehrte Handlungen, die we-
der in reinen Vorſtellungen gegründet ſind, noch
in Gefühlen, die mit den Handlungen einen pſy-
chiſchen Zuſammenhang haben, charakteriſiren
alſo die Tobſucht. Das Vorſtellungsvermögen
iſt ohne Einfluſs auf die Funktionen des Willens,
wenigſtens in Beziehung der Handlungen, die der
Kranke als Raſender begeht. Er handelt ver-
möge eines Impulſes, der durch eine ſpecifiſche
Verletzung des Organiſmus hervorgebracht wird,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0369" n="364"/>
verliert. Ur&#x017F;prünglich liegt ihr wol eine phy&#x017F;i-<lb/>
&#x017F;che oder morali&#x017F;che Ang&#x017F;t zum Grunde, die<lb/>
endlich eine gänzliche Verwirrung des Ver&#x017F;tandes<lb/>
nach &#x017F;ich zieht. Oft kann auch Stolz, der &#x017F;ich<lb/>
nirgends gefällt, oder habituelle Zer&#x017F;treuung,<lb/>
oder eitle Furcht für Verfolgungen und Nach&#x017F;tel-<lb/>
lungen, oder das Gefühl der Erleichterung kör-<lb/>
perlicher Be&#x017F;chwerden durch Bewegung Ur&#x017F;ache<lb/>
&#x017F;eyn. Man vertilge die Furcht des Kranken, und<lb/>
binde ihn an Be&#x017F;chäfftigungen, die ihn anziehen.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>2. <hi rendition="#g">Tob&#x017F;ucht, Ra&#x017F;erey, Furor, Mania</hi>.</head><lb/>
            <p>Der Hauptcharakter der Ra&#x017F;erey, vielleicht<lb/>
ihr einziger, i&#x017F;t <hi rendition="#g">übereilte, ra&#x017F;tlo&#x017F;e, im<lb/>
höch&#x017F;ten Grade ge&#x017F;pannte Thatkraft,<lb/>
die &#x017F;ich in &#x017F;cheinbar eigenmächtigen<lb/>
Handlungen, aber ohne alles Bewu&#x017F;st-<lb/>
&#x017F;eyn eines &#x017F;innlichen oder ver&#x017F;tändi-<lb/>
gen Zwecks äu&#x017F;sert, und Product ei-<lb/>
ner abnormen Umwälzung der Orga-<lb/>
ni&#x017F;ation i&#x017F;t</hi>. Verkehrte Handlungen, die we-<lb/>
der in reinen Vor&#x017F;tellungen gegründet &#x017F;ind, noch<lb/>
in Gefühlen, die mit den Handlungen einen p&#x017F;y-<lb/>
chi&#x017F;chen Zu&#x017F;ammenhang haben, charakteri&#x017F;iren<lb/>
al&#x017F;o die Tob&#x017F;ucht. Das Vor&#x017F;tellungsvermögen<lb/>
i&#x017F;t ohne Einflu&#x017F;s auf die Funktionen des Willens,<lb/>
wenig&#x017F;tens in Beziehung der Handlungen, die der<lb/>
Kranke als Ra&#x017F;ender begeht. Er handelt ver-<lb/>
möge eines Impul&#x017F;es, der durch eine &#x017F;pecifi&#x017F;che<lb/>
Verletzung des Organi&#x017F;mus hervorgebracht wird,<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[364/0369] verliert. Urſprünglich liegt ihr wol eine phyſi- ſche oder moraliſche Angſt zum Grunde, die endlich eine gänzliche Verwirrung des Verſtandes nach ſich zieht. Oft kann auch Stolz, der ſich nirgends gefällt, oder habituelle Zerſtreuung, oder eitle Furcht für Verfolgungen und Nachſtel- lungen, oder das Gefühl der Erleichterung kör- perlicher Beſchwerden durch Bewegung Urſache ſeyn. Man vertilge die Furcht des Kranken, und binde ihn an Beſchäfftigungen, die ihn anziehen. 2. Tobſucht, Raſerey, Furor, Mania. Der Hauptcharakter der Raſerey, vielleicht ihr einziger, iſt übereilte, raſtloſe, im höchſten Grade geſpannte Thatkraft, die ſich in ſcheinbar eigenmächtigen Handlungen, aber ohne alles Bewuſst- ſeyn eines ſinnlichen oder verſtändi- gen Zwecks äuſsert, und Product ei- ner abnormen Umwälzung der Orga- niſation iſt. Verkehrte Handlungen, die we- der in reinen Vorſtellungen gegründet ſind, noch in Gefühlen, die mit den Handlungen einen pſy- chiſchen Zuſammenhang haben, charakteriſiren alſo die Tobſucht. Das Vorſtellungsvermögen iſt ohne Einfluſs auf die Funktionen des Willens, wenigſtens in Beziehung der Handlungen, die der Kranke als Raſender begeht. Er handelt ver- möge eines Impulſes, der durch eine ſpecifiſche Verletzung des Organiſmus hervorgebracht wird,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/369
Zitationshilfe: Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 364. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/369>, abgerufen am 23.11.2024.