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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803.

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eine Frau, die sich einbildete, sie habe ein leben-
diges Mondkalb bey sich, dadurch, dass er ihr
eine Arzney gab, die dasselbe austreiben sollte.
Einem Mahler, der sich einbildete, seine Knochen
seyen so weich wie Wachs geworden, sagte er, dass
diese Krankheit den Aerzten hinlänglich bekannt,
aber auch heilbar sey. Er versprach, ihn binnen
sechs Tagen zu heilen, wenn er folgen würde,
doch müsse er anfangs liegen, am dritten Tage
einen Versuch zum Stehen machen, und endlich
erst am sechsten Tage zu gehen anfangen, wenn
die Festigkeit der Knochen hergestellt sey. Dieser
Kurplan überredete den Kranken, dass sein Arzt
ihm glaube; er glaubte daher auch dem Arzte,
dass er nach sechs Tagen gesund seyn würde, und
weiter war nichts zu seiner Genesung nöthig. So
ward in England eine wahnsinnige Person, die
aus Liebe zum Esq. Stith verrückt geworden
war, durch die Vermählung mit demselben wie-
derhergestellt. Der bereits angezogne Jesuit
Sgambari bildete sich ein, er sey zum Kardinal
erwählt, und liess sich durch nichts vom Gegen-
theil seines süssen Wahns überzeugen. Diese
einzige Thorheit abgerechnet, war sein Verstand
gesund und zu wissenschaftlichen Untersuchungen
aufgelegt. Er schloss jedem, der um seine Be-
lehrung bat, den Vorrath seiner Kenntnisse auf,
wenn er ihn nur mit dem Titel der Eminenz be-
ehrte. Wahrscheinlich wäre er genesen, wenn

eine Frau, die ſich einbildete, ſie habe ein leben-
diges Mondkalb bey ſich, dadurch, daſs er ihr
eine Arzney gab, die daſſelbe austreiben ſollte.
Einem Mahler, der ſich einbildete, ſeine Knochen
ſeyen ſo weich wie Wachs geworden, ſagte er, daſs
dieſe Krankheit den Aerzten hinlänglich bekannt,
aber auch heilbar ſey. Er verſprach, ihn binnen
ſechs Tagen zu heilen, wenn er folgen würde,
doch müſſe er anfangs liegen, am dritten Tage
einen Verſuch zum Stehen machen, und endlich
erſt am ſechſten Tage zu gehen anfangen, wenn
die Feſtigkeit der Knochen hergeſtellt ſey. Dieſer
Kurplan überredete den Kranken, daſs ſein Arzt
ihm glaube; er glaubte daher auch dem Arzte,
daſs er nach ſechs Tagen geſund ſeyn würde, und
weiter war nichts zu ſeiner Geneſung nöthig. So
ward in England eine wahnſinnige Perſon, die
aus Liebe zum Esq. Stith verrückt geworden
war, durch die Vermählung mit demſelben wie-
derhergeſtellt. Der bereits angezogne Jeſuit
Sgambari bildete ſich ein, er ſey zum Kardinal
erwählt, und lieſs ſich durch nichts vom Gegen-
theil ſeines ſüſsen Wahns überzeugen. Dieſe
einzige Thorheit abgerechnet, war ſein Verſtand
geſund und zu wiſſenſchaftlichen Unterſuchungen
aufgelegt. Er ſchloſs jedem, der um ſeine Be-
lehrung bat, den Vorrath ſeiner Kenntniſſe auf,
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[331/0336] eine Frau, die ſich einbildete, ſie habe ein leben- diges Mondkalb bey ſich, dadurch, daſs er ihr eine Arzney gab, die daſſelbe austreiben ſollte. Einem Mahler, der ſich einbildete, ſeine Knochen ſeyen ſo weich wie Wachs geworden, ſagte er, daſs dieſe Krankheit den Aerzten hinlänglich bekannt, aber auch heilbar ſey. Er verſprach, ihn binnen ſechs Tagen zu heilen, wenn er folgen würde, doch müſſe er anfangs liegen, am dritten Tage einen Verſuch zum Stehen machen, und endlich erſt am ſechſten Tage zu gehen anfangen, wenn die Feſtigkeit der Knochen hergeſtellt ſey. Dieſer Kurplan überredete den Kranken, daſs ſein Arzt ihm glaube; er glaubte daher auch dem Arzte, daſs er nach ſechs Tagen geſund ſeyn würde, und weiter war nichts zu ſeiner Geneſung nöthig. So ward in England eine wahnſinnige Perſon, die aus Liebe zum Esq. Stith verrückt geworden war, durch die Vermählung mit demſelben wie- derhergeſtellt. Der bereits angezogne Jeſuit Sgambari bildete ſich ein, er ſey zum Kardinal erwählt, und lieſs ſich durch nichts vom Gegen- theil ſeines ſüſsen Wahns überzeugen. Dieſe einzige Thorheit abgerechnet, war ſein Verſtand geſund und zu wiſſenſchaftlichen Unterſuchungen aufgelegt. Er ſchloſs jedem, der um ſeine Be- lehrung bat, den Vorrath ſeiner Kenntniſſe auf, wenn er ihn nur mit dem Titel der Eminenz be- ehrte. Wahrſcheinlich wäre er geneſen, wenn

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Zitationshilfe: Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/336>, abgerufen am 22.11.2024.