Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

andere sind davon redende Beweise. Man muss
diese Kranke salben, reiben, zur Bewegung an-
halten. Die Gymnastik, welche Herodikus
zuerst zu einem Zweige der Heilkunst gemacht hat,
leistet ihnen einen doppelten Vortheil, zerstreut
ihr Gemüth und heilt die Stockungen ihres Unter-
leibes. Gern fehlt ihnen der Schlaf, den man
durch Arbeit und Mohnsaft herbeilockt. Sie müssen
entweder einer vollkommnen Seelenruhe genie-
ssen, oder ihren Geist mit leichten Gegenständen
beschäfftigen und mit denselben wechseln, damit
allmälich alle Theile des Seelenorgans in Thätig-
keit gesetzt werden. Das Gehirn gleicht einem
Acker, der durch die Brache neue Kräfte samm-
let. Ihre Diät muss erquickend, nahrhaft und
leicht verdaulich seyn.

§. 20.

Neben der Kur der entfernten Ursachen, wo-
durch den Geisteszerrüttungen gleichsam die Wur-
zeln behauen werden, muss die psychische
Behandlung ihnen selbst, mit Rück-
sicht auf ihre verschiedne Natur, an-
gepasst werden
. Zu diesem Behuf ist es zu-
vörderst nothwendig, dass die eigenthümli-
chen Formen
derselben aufgesucht und nach
ihren generischen und specifischen Differenzen be-
stimmt werden. Denn dadurch gelangen wir zur
Erkenntniss ihrer wesentlichen Verschiedenheit
und haben zugleich den Vortheil, die grosse Man-

andere ſind davon redende Beweiſe. Man muſs
dieſe Kranke ſalben, reiben, zur Bewegung an-
halten. Die Gymnaſtik, welche Herodikus
zuerſt zu einem Zweige der Heilkunſt gemacht hat,
leiſtet ihnen einen doppelten Vortheil, zerſtreut
ihr Gemüth und heilt die Stockungen ihres Unter-
leibes. Gern fehlt ihnen der Schlaf, den man
durch Arbeit und Mohnſaft herbeilockt. Sie müſſen
entweder einer vollkommnen Seelenruhe genie-
ſsen, oder ihren Geiſt mit leichten Gegenſtänden
beſchäfftigen und mit denſelben wechſeln, damit
allmälich alle Theile des Seelenorgans in Thätig-
keit geſetzt werden. Das Gehirn gleicht einem
Acker, der durch die Brache neue Kräfte ſamm-
let. Ihre Diät muſs erquickend, nahrhaft und
leicht verdaulich ſeyn.

§. 20.

Neben der Kur der entfernten Urſachen, wo-
durch den Geiſteszerrüttungen gleichſam die Wur-
zeln behauen werden, muſs die pſychiſche
Behandlung ihnen ſelbſt, mit Rück-
ſicht auf ihre verſchiedne Natur, an-
gepaſst werden
. Zu dieſem Behuf iſt es zu-
vörderſt nothwendig, daſs die eigenthümli-
chen Formen
derſelben aufgeſucht und nach
ihren generiſchen und ſpecifiſchen Differenzen be-
ſtimmt werden. Denn dadurch gelangen wir zur
Erkenntniſs ihrer weſentlichen Verſchiedenheit
und haben zugleich den Vortheil, die groſse Man-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0303" n="298"/>
andere &#x017F;ind davon redende Bewei&#x017F;e. Man mu&#x017F;s<lb/>
die&#x017F;e Kranke &#x017F;alben, reiben, zur Bewegung an-<lb/>
halten. Die Gymna&#x017F;tik, welche <hi rendition="#g">Herodikus</hi><lb/>
zuer&#x017F;t zu einem Zweige der Heilkun&#x017F;t gemacht hat,<lb/>
lei&#x017F;tet ihnen einen doppelten Vortheil, zer&#x017F;treut<lb/>
ihr Gemüth und heilt die Stockungen ihres Unter-<lb/>
leibes. Gern fehlt ihnen der Schlaf, den man<lb/>
durch Arbeit und Mohn&#x017F;aft herbeilockt. Sie mü&#x017F;&#x017F;en<lb/>
entweder einer vollkommnen Seelenruhe genie-<lb/>
&#x017F;sen, oder ihren Gei&#x017F;t mit leichten Gegen&#x017F;tänden<lb/>
be&#x017F;chäfftigen und mit den&#x017F;elben wech&#x017F;eln, damit<lb/>
allmälich alle Theile des Seelenorgans in Thätig-<lb/>
keit ge&#x017F;etzt werden. Das Gehirn gleicht einem<lb/>
Acker, der durch die Brache neue Kräfte &#x017F;amm-<lb/>
let. Ihre Diät mu&#x017F;s erquickend, nahrhaft und<lb/>
leicht verdaulich &#x017F;eyn.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 20.</head><lb/>
          <p>Neben der Kur der entfernten Ur&#x017F;achen, wo-<lb/>
durch den Gei&#x017F;teszerrüttungen gleich&#x017F;am die Wur-<lb/>
zeln behauen werden, mu&#x017F;s <hi rendition="#g">die p&#x017F;ychi&#x017F;che<lb/>
Behandlung ihnen &#x017F;elb&#x017F;t, mit Rück-<lb/>
&#x017F;icht auf ihre ver&#x017F;chiedne Natur, an-<lb/>
gepa&#x017F;st werden</hi>. Zu die&#x017F;em Behuf i&#x017F;t es zu-<lb/>
vörder&#x017F;t nothwendig, da&#x017F;s die <hi rendition="#g">eigenthümli-<lb/>
chen Formen</hi> der&#x017F;elben aufge&#x017F;ucht und nach<lb/>
ihren generi&#x017F;chen und &#x017F;pecifi&#x017F;chen Differenzen be-<lb/>
&#x017F;timmt werden. Denn dadurch gelangen wir zur<lb/>
Erkenntni&#x017F;s ihrer we&#x017F;entlichen Ver&#x017F;chiedenheit<lb/>
und haben zugleich den Vortheil, die gro&#x017F;se Man-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[298/0303] andere ſind davon redende Beweiſe. Man muſs dieſe Kranke ſalben, reiben, zur Bewegung an- halten. Die Gymnaſtik, welche Herodikus zuerſt zu einem Zweige der Heilkunſt gemacht hat, leiſtet ihnen einen doppelten Vortheil, zerſtreut ihr Gemüth und heilt die Stockungen ihres Unter- leibes. Gern fehlt ihnen der Schlaf, den man durch Arbeit und Mohnſaft herbeilockt. Sie müſſen entweder einer vollkommnen Seelenruhe genie- ſsen, oder ihren Geiſt mit leichten Gegenſtänden beſchäfftigen und mit denſelben wechſeln, damit allmälich alle Theile des Seelenorgans in Thätig- keit geſetzt werden. Das Gehirn gleicht einem Acker, der durch die Brache neue Kräfte ſamm- let. Ihre Diät muſs erquickend, nahrhaft und leicht verdaulich ſeyn. §. 20. Neben der Kur der entfernten Urſachen, wo- durch den Geiſteszerrüttungen gleichſam die Wur- zeln behauen werden, muſs die pſychiſche Behandlung ihnen ſelbſt, mit Rück- ſicht auf ihre verſchiedne Natur, an- gepaſst werden. Zu dieſem Behuf iſt es zu- vörderſt nothwendig, daſs die eigenthümli- chen Formen derſelben aufgeſucht und nach ihren generiſchen und ſpecifiſchen Differenzen be- ſtimmt werden. Denn dadurch gelangen wir zur Erkenntniſs ihrer weſentlichen Verſchiedenheit und haben zugleich den Vortheil, die groſse Man-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/303
Zitationshilfe: Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/303>, abgerufen am 25.11.2024.