oder endlich als sinnlose Automaten, die ohne alles Bewusstseyn handeln. Bey diesen nieder- schlagenden Leidenschaften kömmt es sehr darauf an, ob der Kranke geheilt seyn will. Dann kann er des Sieges gewiss seyn. Ein weiser Freund, nicht zu voreiliger Trost, der den Schmerz schärft, Zerstreuungen, die dem Seelen- leiden angemessen sind, können wenigstens soviel thun, dass Zeit gewonnen wird. Und ist diese gewonnen, so entsteht kein Wahnsinn, denn sie tröstet über jeden Verlust. Gegen Geisteszerrüt- tungen vom Verlust der Habe wirken zuweilen Vorspiegelungen neuer Hoffnungen. Schwerer sind die Eindrücke gekränkter Ehre zu tilgen. Heimliche Entfernung in ein unbekanntes Land ist wol das beste Mittel, wenn keine Genugthu- ung möglich ist. Denn der Harm gründet sich darauf, dass die Makel gekränkter Ehre bekannt geworden und nicht getilgt ist. Ein Mann fiel durch unverschuldete Misshandlungen in den fixen Wahn, die ganze Menschheit habe sich wi- der ihn verschworen. Er musste deswegen seines Dienstes entsetzt werden, welches ihn von neuem in seiner vorgefassten Meinung bestätigte. Allein durch eine leutselige Behandlung in dem Kran- kenhause und durch die Versprechung einer an- deren Versorgung wurde er geheilt. Er bekam wirklich nach seiner Herstellung eine andere Stelle, und ist dadurch wahrscheinlich für Rück- fälle gesichert.
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oder endlich als ſinnloſe Automaten, die ohne alles Bewuſstſeyn handeln. Bey dieſen nieder- ſchlagenden Leidenſchaften kömmt es ſehr darauf an, ob der Kranke geheilt ſeyn will. Dann kann er des Sieges gewiſs ſeyn. Ein weiſer Freund, nicht zu voreiliger Troſt, der den Schmerz ſchärft, Zerſtreuungen, die dem Seelen- leiden angemeſſen ſind, können wenigſtens ſoviel thun, daſs Zeit gewonnen wird. Und iſt dieſe gewonnen, ſo entſteht kein Wahnſinn, denn ſie tröſtet über jeden Verluſt. Gegen Geiſteszerrüt- tungen vom Verluſt der Habe wirken zuweilen Vorſpiegelungen neuer Hoffnungen. Schwerer ſind die Eindrücke gekränkter Ehre zu tilgen. Heimliche Entfernung in ein unbekanntes Land iſt wol das beſte Mittel, wenn keine Genugthu- ung möglich iſt. Denn der Harm gründet ſich darauf, daſs die Makel gekränkter Ehre bekannt geworden und nicht getilgt iſt. Ein Mann fiel durch unverſchuldete Miſshandlungen in den fixen Wahn, die ganze Menſchheit habe ſich wi- der ihn verſchworen. Er muſste deswegen ſeines Dienſtes entſetzt werden, welches ihn von neuem in ſeiner vorgefaſsten Meinung beſtätigte. Allein durch eine leutſelige Behandlung in dem Kran- kenhauſe und durch die Verſprechung einer an- deren Verſorgung wurde er geheilt. Er bekam wirklich nach ſeiner Herſtellung eine andere Stelle, und iſt dadurch wahrſcheinlich für Rück- fälle geſichert.
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oder endlich als ſinnloſe Automaten, die ohne
alles Bewuſstſeyn handeln. Bey dieſen nieder-
ſchlagenden Leidenſchaften kömmt es ſehr darauf
an, ob der Kranke geheilt ſeyn will. Dann
kann er des Sieges gewiſs ſeyn. Ein weiſer
Freund, nicht zu voreiliger Troſt, der den
Schmerz ſchärft, Zerſtreuungen, die dem Seelen-
leiden angemeſſen ſind, können wenigſtens ſoviel
thun, daſs Zeit gewonnen wird. Und iſt dieſe
gewonnen, ſo entſteht kein Wahnſinn, denn ſie
tröſtet über jeden Verluſt. Gegen Geiſteszerrüt-
tungen vom Verluſt der Habe wirken zuweilen
Vorſpiegelungen neuer Hoffnungen. Schwerer
ſind die Eindrücke gekränkter Ehre zu tilgen.
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iſt wol das beſte Mittel, wenn keine Genugthu-
ung möglich iſt. Denn der Harm gründet ſich
darauf, daſs die Makel gekränkter Ehre bekannt
geworden und nicht getilgt iſt. Ein Mann fiel
durch unverſchuldete Miſshandlungen in den
fixen Wahn, die ganze Menſchheit habe ſich wi-
der ihn verſchworen. Er muſste deswegen ſeines
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in ſeiner vorgefaſsten Meinung beſtätigte. Allein
durch eine leutſelige Behandlung in dem Kran-
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/296>, abgerufen am 23.11.2024.
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