ziehung hat dieser Heerd noch auf die Haare, Federn, Nägel, Hörner und andere hornartige Organe. Der Hirsch bekömmt kein Geweih, wenn er vor; wirft es nicht ab, wenn er nach der Pubertät castrirt wird. Es verkrüppelt sich auf der nemlichen Seite, wo man ihm einen Testikel nimmt. Metamorphosen der Geschlechts- theile, ihre Ausbildung in der Pubertät, ihre Decrescenz im Alter, Steigerungen ihrer Reiz- barkeit in der Brunst, Veränderungen ihrer Zu- stände in der Schwangerschaft und endlich die mannichfaltigen Krankheiten derselben erregen die sonderbarsten Erscheinungen, besondere Lau- nen, Idiosyncrasieen, Spannungen der Phantasie, eigne Triebe und Gelüste, die um so heftiger sind, je weniger sie dem Verstande unterworfen werden können. Mit der Pubertät entsteht erst die Ge- schlechtsliebe, Sucht zu gefallen und das Gefühl der Schaam, wovon der Mensch vorher nichts wusste. Das weibliche Geschlecht beharrt mit einer Standhaftigkeit auf seine Entschlüsse, die ihm sonst ungewöhnlich ist. Es ereignen sich merk- würdige Reactionen im Gehirn, die sich als Irre- sinn, Raserey, Exstasen, Zuckungen u. s. w. äussern und meistens das Eigenthümliche haben, dass die Kranken schnell, mit lachender Miene von ihrer Geistesabwesenheit wieder zum vollen Bewusstseyn gelangen. Zuverlässig sind diese Zu- stände Symptome grosser Evolutionen im Körper, die meistens nach einigen Wochen und Monaten
ziehung hat dieſer Heerd noch auf die Haare, Federn, Nägel, Hörner und andere hornartige Organe. Der Hirſch bekömmt kein Geweih, wenn er vor; wirft es nicht ab, wenn er nach der Pubertät caſtrirt wird. Es verkrüppelt ſich auf der nemlichen Seite, wo man ihm einen Teſtikel nimmt. Metamorphoſen der Geſchlechts- theile, ihre Ausbildung in der Pubertät, ihre Decrescenz im Alter, Steigerungen ihrer Reiz- barkeit in der Brunſt, Veränderungen ihrer Zu- ſtände in der Schwangerſchaft und endlich die mannichfaltigen Krankheiten derſelben erregen die ſonderbarſten Erſcheinungen, beſondere Lau- nen, Idioſyncraſieen, Spannungen der Phantaſie, eigne Triebe und Gelüſte, die um ſo heftiger ſind, je weniger ſie dem Verſtande unterworfen werden können. Mit der Pubertät entſteht erſt die Ge- ſchlechtsliebe, Sucht zu gefallen und das Gefühl der Schaam, wovon der Menſch vorher nichts wuſste. Das weibliche Geſchlecht beharrt mit einer Standhaftigkeit auf ſeine Entſchlüſſe, die ihm ſonſt ungewöhnlich iſt. Es ereignen ſich merk- würdige Reactionen im Gehirn, die ſich als Irre- ſinn, Raſerey, Exſtaſen, Zuckungen u. ſ. w. äuſsern und meiſtens das Eigenthümliche haben, daſs die Kranken ſchnell, mit lachender Miene von ihrer Geiſtesabweſenheit wieder zum vollen Bewuſstſeyn gelangen. Zuverläſſig ſind dieſe Zu- ſtände Symptome groſser Evolutionen im Körper, die meiſtens nach einigen Wochen und Monaten
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ziehung hat dieſer Heerd noch auf die Haare,
Federn, Nägel, Hörner und andere hornartige
Organe. Der Hirſch bekömmt kein Geweih,
wenn er vor; wirft es nicht ab, wenn er nach
der Pubertät caſtrirt wird. Es verkrüppelt ſich
auf der nemlichen Seite, wo man ihm einen
Teſtikel nimmt. Metamorphoſen der Geſchlechts-
theile, ihre Ausbildung in der Pubertät, ihre
Decrescenz im Alter, Steigerungen ihrer Reiz-
barkeit in der Brunſt, Veränderungen ihrer Zu-
ſtände in der Schwangerſchaft und endlich die
mannichfaltigen Krankheiten derſelben erregen
die ſonderbarſten Erſcheinungen, beſondere Lau-
nen, Idioſyncraſieen, Spannungen der Phantaſie,
eigne Triebe und Gelüſte, die um ſo heftiger ſind,
je weniger ſie dem Verſtande unterworfen werden
können. Mit der Pubertät entſteht erſt die Ge-
ſchlechtsliebe, Sucht zu gefallen und das Gefühl
der Schaam, wovon der Menſch vorher nichts
wuſste. Das weibliche Geſchlecht beharrt mit
einer Standhaftigkeit auf ſeine Entſchlüſſe, die ihm
ſonſt ungewöhnlich iſt. Es ereignen ſich merk-
würdige Reactionen im Gehirn, die ſich als Irre-
ſinn, Raſerey, Exſtaſen, Zuckungen u. ſ. w.
äuſsern und meiſtens das Eigenthümliche haben,
daſs die Kranken ſchnell, mit lachender Miene
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/267>, abgerufen am 25.11.2024.
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