lokalen Impulsen des Nervensystems. Während dieser Vorgänge im Nervensystem schaut die Seele ihr Werkzeug, in seinen Operationen, als taug- liches oder untaugliches Werkzeug an; dies mit Wohlgefallen oder mit Missvergnügen.
Dass Krankheiten des Körpers überhaupt, Krankheiten der Nerven und besonders Krank- heiten derjenigen Organe, die zunächst zur Her- vorbringung der Vorstellungen mitwirken, die Funktionen der Seele auf verschiedene Art stören, ja gar Verrücktheit veranlassen können, ist Resul- tat der Erfahrung. Wem sind nicht die auffallen- den Gemüthsveränderungen bekannt, die bey dem Eintritt der Pubertät erscheinen? Wer kennt nicht die wechselnden Launen hypochondrischer Per- sonen? Die schüchterne Niedergeschlagenheit der Onanisten, die zum Selbstmord führt? Den Trieb, der mit dem Pelagra Behafteten, sich ins Wasser zu stürzen? Reize im Unterleibe, Krank- heiten der Eingeweide dieser Höhle, eine anoma- lische Vitalität der splanchnischen Nerven erregen ungewöhnliche Appetite, ängstliche Spiele der Phantasie, Hang zu traurigen Leidenschaften, um- nebeln den Verstand und bestimmen den Willen, nach dunklen Gefühlen zu handeln. Noch mehr Einfluss auf die Seele haben Krankheiten des Ge- meingefühls und der Sinnorgane. Diese Zustände sind für sich im Stande, Wahnsinn zu erregen. Und gesetzt sie haben ihn nicht hervorgebracht, so unterhalten sie ihn, wenn er einmal entstanden
lokalen Impulſen des Nervenſyſtems. Während dieſer Vorgänge im Nervenſyſtem ſchaut die Seele ihr Werkzeug, in ſeinen Operationen, als taug- liches oder untaugliches Werkzeug an; dies mit Wohlgefallen oder mit Miſsvergnügen.
Daſs Krankheiten des Körpers überhaupt, Krankheiten der Nerven und beſonders Krank- heiten derjenigen Organe, die zunächſt zur Her- vorbringung der Vorſtellungen mitwirken, die Funktionen der Seele auf verſchiedene Art ſtören, ja gar Verrücktheit veranlaſſen können, iſt Reſul- tat der Erfahrung. Wem ſind nicht die auffallen- den Gemüthsveränderungen bekannt, die bey dem Eintritt der Pubertät erſcheinen? Wer kennt nicht die wechſelnden Launen hypochondriſcher Per- ſonen? Die ſchüchterne Niedergeſchlagenheit der Onaniſten, die zum Selbſtmord führt? Den Trieb, der mit dem Pelagra Behafteten, ſich ins Waſſer zu ſtürzen? Reize im Unterleibe, Krank- heiten der Eingeweide dieſer Höhle, eine anoma- liſche Vitalität der ſplanchniſchen Nerven erregen ungewöhnliche Appetite, ängſtliche Spiele der Phantaſie, Hang zu traurigen Leidenſchaften, um- nebeln den Verſtand und beſtimmen den Willen, nach dunklen Gefühlen zu handeln. Noch mehr Einfluſs auf die Seele haben Krankheiten des Ge- meingefühls und der Sinnorgane. Dieſe Zuſtände ſind für ſich im Stande, Wahnſinn zu erregen. Und geſetzt ſie haben ihn nicht hervorgebracht, ſo unterhalten ſie ihn, wenn er einmal entſtanden
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lokalen Impulſen des Nervenſyſtems. Während
dieſer Vorgänge im Nervenſyſtem ſchaut die Seele
ihr Werkzeug, in ſeinen Operationen, als taug-
liches oder untaugliches Werkzeug an; dies mit
Wohlgefallen oder mit Miſsvergnügen.
Daſs Krankheiten des Körpers überhaupt,
Krankheiten der Nerven und beſonders Krank-
heiten derjenigen Organe, die zunächſt zur Her-
vorbringung der Vorſtellungen mitwirken, die
Funktionen der Seele auf verſchiedene Art ſtören,
ja gar Verrücktheit veranlaſſen können, iſt Reſul-
tat der Erfahrung. Wem ſind nicht die auffallen-
den Gemüthsveränderungen bekannt, die bey dem
Eintritt der Pubertät erſcheinen? Wer kennt nicht
die wechſelnden Launen hypochondriſcher Per-
ſonen? Die ſchüchterne Niedergeſchlagenheit der
Onaniſten, die zum Selbſtmord führt? Den
Trieb, der mit dem Pelagra Behafteten, ſich ins
Waſſer zu ſtürzen? Reize im Unterleibe, Krank-
heiten der Eingeweide dieſer Höhle, eine anoma-
liſche Vitalität der ſplanchniſchen Nerven erregen
ungewöhnliche Appetite, ängſtliche Spiele der
Phantaſie, Hang zu traurigen Leidenſchaften, um-
nebeln den Verſtand und beſtimmen den Willen,
nach dunklen Gefühlen zu handeln. Noch mehr
Einfluſs auf die Seele haben Krankheiten des Ge-
meingefühls und der Sinnorgane. Dieſe Zuſtände
ſind für ſich im Stande, Wahnſinn zu erregen.
Und geſetzt ſie haben ihn nicht hervorgebracht,
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/263>, abgerufen am 25.11.2024.
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