Durch Erinnerungen an seine Vollkommenheiten, an seinen Verstand, seine Schönheit und Gelehr- samkeit, an Aussenverhältnisse, die seinen Nei- gungen entsprechen, werden angenehme; durch das Gegentheil unangenehme Gefühle geweckt. Auch das Ehrgefühl des Kranken kann auf verschiedne Art geübt werden. Man bemerkt ihn nicht, behandelt ihn gleichgültig und verach- tet ihn, wenn er sich unartig beträgt; zieht ihn den andern vor, wenn er gut handelt. In einem Narrenhause, sagt Erhard*) wurden die Un- reinlichen an eine Säule gestellt. Dies wirkte; sie fürchteten sich sehr vor dieser Schmach. Wir halten dem Kranken Muster grosser Tugenden vor, aus der alten und neuen Geschichte, machen ihn aufmerksam auf Abschnitte seines eignen Lebens, wo er vernünftig war, bringen ihn mit Menschen zusammen, die seine guten Handlungen loben, seine Narrenstreiche verachten. Andere, die noch viel moralisches Gefühl für Gutes und Böses haben, müssen mit Schonung und Weisheit behandelt, und für die Ansicht solcher Handlun- gen gehütet werden, die sie für unsittlich halten. Dies ist besonders in Beziehung auf Religions- schwärmer wichtig.
Uebungen des Verstandes werden der Fassungskraft des Kranken gemäss eingerichtet. Er muss anfangs leichte Versuche im Bilden der Begriffe, Urtheile und Schlüsse machen, Vor-
*)Wagner's Beiträge etc. 1. Bd. 137 S.
Durch Erinnerungen an ſeine Vollkommenheiten, an ſeinen Verſtand, ſeine Schönheit und Gelehr- ſamkeit, an Auſsenverhältniſſe, die ſeinen Nei- gungen entſprechen, werden angenehme; durch das Gegentheil unangenehme Gefühle geweckt. Auch das Ehrgefühl des Kranken kann auf verſchiedne Art geübt werden. Man bemerkt ihn nicht, behandelt ihn gleichgültig und verach- tet ihn, wenn er ſich unartig beträgt; zieht ihn den andern vor, wenn er gut handelt. In einem Narrenhauſe, ſagt Erhard*) wurden die Un- reinlichen an eine Säule geſtellt. Dies wirkte; ſie fürchteten ſich ſehr vor dieſer Schmach. Wir halten dem Kranken Muſter groſser Tugenden vor, aus der alten und neuen Geſchichte, machen ihn aufmerkſam auf Abſchnitte ſeines eignen Lebens, wo er vernünftig war, bringen ihn mit Menſchen zuſammen, die ſeine guten Handlungen loben, ſeine Narrenſtreiche verachten. Andere, die noch viel moraliſches Gefühl für Gutes und Böſes haben, müſſen mit Schonung und Weisheit behandelt, und für die Anſicht ſolcher Handlun- gen gehütet werden, die ſie für unſittlich halten. Dies iſt beſonders in Beziehung auf Religions- ſchwärmer wichtig.
Uebungen des Verſtandes werden der Faſſungskraft des Kranken gemäſs eingerichtet. Er muſs anfangs leichte Verſuche im Bilden der Begriffe, Urtheile und Schlüſſe machen, Vor-
*)Wagner’s Beiträge etc. 1. Bd. 137 S.
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Durch Erinnerungen an ſeine Vollkommenheiten,
an ſeinen Verſtand, ſeine Schönheit und Gelehr-
ſamkeit, an Auſsenverhältniſſe, die ſeinen Nei-
gungen entſprechen, werden angenehme; durch
das Gegentheil unangenehme Gefühle geweckt.
Auch das Ehrgefühl des Kranken kann auf
verſchiedne Art geübt werden. Man bemerkt
ihn nicht, behandelt ihn gleichgültig und verach-
tet ihn, wenn er ſich unartig beträgt; zieht ihn
den andern vor, wenn er gut handelt. In einem
Narrenhauſe, ſagt Erhard *) wurden die Un-
reinlichen an eine Säule geſtellt. Dies wirkte;
ſie fürchteten ſich ſehr vor dieſer Schmach. Wir
halten dem Kranken Muſter groſser Tugenden
vor, aus der alten und neuen Geſchichte, machen
ihn aufmerkſam auf Abſchnitte ſeines eignen
Lebens, wo er vernünftig war, bringen ihn mit
Menſchen zuſammen, die ſeine guten Handlungen
loben, ſeine Narrenſtreiche verachten. Andere,
die noch viel moraliſches Gefühl für Gutes und
Böſes haben, müſſen mit Schonung und Weisheit
behandelt, und für die Anſicht ſolcher Handlun-
gen gehütet werden, die ſie für unſittlich halten.
Dies iſt beſonders in Beziehung auf Religions-
ſchwärmer wichtig.
Uebungen des Verſtandes werden der
Faſſungskraft des Kranken gemäſs eingerichtet.
Er muſs anfangs leichte Verſuche im Bilden der
Begriffe, Urtheile und Schlüſſe machen, Vor-
*) Wagner’s Beiträge etc. 1. Bd. 137 S.
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/256>, abgerufen am 18.12.2024.
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