der Thür vorbey gieng, um nach einem Decennium von den Verbrechern da zurückzukehren, wo er bequem hätte anfangen können, halten wir gern sei- ner Kunstliebe für die Heilung moralischer Krank- heiten zu Gute. Jene schwarzen Patienten gehö- ren freilich allein für den schwarzen Rock, der ihre Laster und seine fruchtlosen Bemühungen be- trauert. Allein hier thut er wohl, ein Hülfskorps unter seine Fahne zu nehmen, das er zu Streif- zügen und in gefährliche Defilees mit Vortheil gebrauchen kann. Dazu empfehle ich ihm die Zunft der Aerzte. Sie haben Muth und Kraft, weil jeder ihrer bedarf. Sie sind Zöglinge aus der Schule der grossen Natur, die den Menschen vom Menschen nicht trennt, und sehn daher den Kränkungen seiner Rechte mit Unwillen zu. Sie werden grau im Jammer, den sie täglich in seinen grellsten Farben anschaun und sind daher zum Handeln bereit, wenn es auf Beistand der leiden- den Menschheit ankömmt. Sie kennen endlich den Menschen, den sie leider zu oft hinter dem Vorhang schaun, wenn er es im Drange der Um- stände vergisst, die Maske fest zu halten. Der Betrogne entlarvt den Betrüger; der Sünder beich- tet seine eigne Schande, wenn ihm dadurch ge- holfen werden muss; und der Barbar entblödet sich nicht, selbst in dem Angesicht des Todes, zu seyn, was er nicht scheinen mag, sobald der sinn- lose Kranke die Härte seines Herzens zu brand- marken ausser Stande ist. So ist leider meistens
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der Thür vorbey gieng, um nach einem Decennium von den Verbrechern da zurückzukehren, wo er bequem hätte anfangen können, halten wir gern ſei- ner Kunſtliebe für die Heilung moraliſcher Krank- heiten zu Gute. Jene ſchwarzen Patienten gehö- ren freilich allein für den ſchwarzen Rock, der ihre Laſter und ſeine fruchtloſen Bemühungen be- trauert. Allein hier thut er wohl, ein Hülfskorps unter ſeine Fahne zu nehmen, das er zu Streif- zügen und in gefährliche Defilees mit Vortheil gebrauchen kann. Dazu empfehle ich ihm die Zunft der Aerzte. Sie haben Muth und Kraft, weil jeder ihrer bedarf. Sie ſind Zöglinge aus der Schule der groſsen Natur, die den Menſchen vom Menſchen nicht trennt, und ſehn daher den Kränkungen ſeiner Rechte mit Unwillen zu. Sie werden grau im Jammer, den ſie täglich in ſeinen grellſten Farben anſchaun und ſind daher zum Handeln bereit, wenn es auf Beiſtand der leiden- den Menſchheit ankömmt. Sie kennen endlich den Menſchen, den ſie leider zu oft hinter dem Vorhang ſchaun, wenn er es im Drange der Um- ſtände vergiſst, die Maske feſt zu halten. Der Betrogne entlarvt den Betrüger; der Sünder beich- tet ſeine eigne Schande, wenn ihm dadurch ge- holfen werden muſs; und der Barbar entblödet ſich nicht, ſelbſt in dem Angeſicht des Todes, zu ſeyn, was er nicht ſcheinen mag, ſobald der ſinn- loſe Kranke die Härte ſeines Herzens zu brand- marken auſser Stande iſt. So iſt leider meiſtens
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der Thür vorbey gieng, um nach einem Decennium
von den Verbrechern da zurückzukehren, wo er
bequem hätte anfangen können, halten wir gern ſei-
ner Kunſtliebe für die Heilung moraliſcher Krank-
heiten zu Gute. Jene ſchwarzen Patienten gehö-
ren freilich allein für den ſchwarzen Rock, der
ihre Laſter und ſeine fruchtloſen Bemühungen be-
trauert. Allein hier thut er wohl, ein Hülfskorps
unter ſeine Fahne zu nehmen, das er zu Streif-
zügen und in gefährliche Defilees mit Vortheil
gebrauchen kann. Dazu empfehle ich ihm die
Zunft der Aerzte. Sie haben Muth und Kraft,
weil jeder ihrer bedarf. Sie ſind Zöglinge aus
der Schule der groſsen Natur, die den Menſchen
vom Menſchen nicht trennt, und ſehn daher den
Kränkungen ſeiner Rechte mit Unwillen zu. Sie
werden grau im Jammer, den ſie täglich in ſeinen
grellſten Farben anſchaun und ſind daher zum
Handeln bereit, wenn es auf Beiſtand der leiden-
den Menſchheit ankömmt. Sie kennen endlich
den Menſchen, den ſie leider zu oft hinter dem
Vorhang ſchaun, wenn er es im Drange der Um-
ſtände vergiſst, die Maske feſt zu halten. Der
Betrogne entlarvt den Betrüger; der Sünder beich-
tet ſeine eigne Schande, wenn ihm dadurch ge-
holfen werden muſs; und der Barbar entblödet
ſich nicht, ſelbſt in dem Angeſicht des Todes, zu
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/22>, abgerufen am 24.11.2024.
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