ist. Dann schätzt sie die wahrgenommenen Ein- drücke auf der Flucht, hemmt ihre gegenwär- tige Thätigkeit und richtet sie auf die neuen Ge- genstände, wenn sie von Erheblichkeit sind. Ihr Abstraktionsvermögen ist also im eigentlichen Sinn Unvollkommenheit, die nicht zu gross seyn darf. Sie muss den obwaltenden Gegenstand fest- halten, aber nicht absolut an ihn gefesselt seyn; ihre Kraft fixiren, aber derselben doch so vielen Spiel- raum übrig lassen, dass sie augenblicklich auf an- dere angemerkte Objekte von grösserem Interesse gerichtet werden kann. So ist unser Ohr in ernst- haften Meditationen dem Sinn des benachbarten Gesprächs verschlossen, aber dem Eindruck un- sers Namens offen, wenn er in demselben ge- nennt wird. Dies Vermögen setzt theils Stärke, theils eine ausnehmende Empfindlichkeit und Mobilität der Seelenkraft voraus. Einem Men- schen, dem mitten in seinen gegenwärtigen Ge- schäfften nichts entwischt, der höchst besonnen auf alle Regungen des inneren Sinns, und auf alles ist, was von aussen kömmt und schnell von einem Object auf ein anderes überspringen kann, schreiben wir Gewandheit der Seele zu. Dahingegen besitzt derjenige, welcher mehrere Dinge zugleich mit zureichender Stärke beachten kann, der den vorgesteckten Gegenstand mit Nachdruck verfolgt und zugleich alle Verhältnisse seines äusseren und inneren Zustandes, als ein entfaltetes Buch, vor sich offen liegen sieht, sie
iſt. Dann ſchätzt ſie die wahrgenommenen Ein- drücke auf der Flucht, hemmt ihre gegenwär- tige Thätigkeit und richtet ſie auf die neuen Ge- genſtände, wenn ſie von Erheblichkeit ſind. Ihr Abſtraktionsvermögen iſt alſo im eigentlichen Sinn Unvollkommenheit, die nicht zu groſs ſeyn darf. Sie muſs den obwaltenden Gegenſtand feſt- halten, aber nicht abſolut an ihn gefeſſelt ſeyn; ihre Kraft fixiren, aber derſelben doch ſo vielen Spiel- raum übrig laſſen, daſs ſie augenblicklich auf an- dere angemerkte Objekte von gröſserem Intereſſe gerichtet werden kann. So iſt unſer Ohr in ernſt- haften Meditationen dem Sinn des benachbarten Geſprächs verſchloſſen, aber dem Eindruck un- ſers Namens offen, wenn er in demſelben ge- nennt wird. Dies Vermögen ſetzt theils Stärke, theils eine ausnehmende Empfindlichkeit und Mobilität der Seelenkraft voraus. Einem Men- ſchen, dem mitten in ſeinen gegenwärtigen Ge- ſchäfften nichts entwiſcht, der höchſt beſonnen auf alle Regungen des inneren Sinns, und auf alles iſt, was von auſsen kömmt und ſchnell von einem Object auf ein anderes überſpringen kann, ſchreiben wir Gewandheit der Seele zu. Dahingegen beſitzt derjenige, welcher mehrere Dinge zugleich mit zureichender Stärke beachten kann, der den vorgeſteckten Gegenſtand mit Nachdruck verfolgt und zugleich alle Verhältniſſe ſeines äuſseren und inneren Zuſtandes, als ein entfaltetes Buch, vor ſich offen liegen ſieht, ſie
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iſt. Dann ſchätzt ſie die wahrgenommenen Ein-
drücke auf der Flucht, hemmt ihre gegenwär-
tige Thätigkeit und richtet ſie auf die neuen Ge-
genſtände, wenn ſie von Erheblichkeit ſind. Ihr
Abſtraktionsvermögen iſt alſo im eigentlichen
Sinn Unvollkommenheit, die nicht zu groſs ſeyn
darf. Sie muſs den obwaltenden Gegenſtand feſt-
halten, aber nicht abſolut an ihn gefeſſelt ſeyn; ihre
Kraft fixiren, aber derſelben doch ſo vielen Spiel-
raum übrig laſſen, daſs ſie augenblicklich auf an-
dere angemerkte Objekte von gröſserem Intereſſe
gerichtet werden kann. So iſt unſer Ohr in ernſt-
haften Meditationen dem Sinn des benachbarten
Geſprächs verſchloſſen, aber dem Eindruck un-
ſers Namens offen, wenn er in demſelben ge-
nennt wird. Dies Vermögen ſetzt theils Stärke,
theils eine ausnehmende Empfindlichkeit und
Mobilität der Seelenkraft voraus. Einem Men-
ſchen, dem mitten in ſeinen gegenwärtigen Ge-
ſchäfften nichts entwiſcht, der höchſt beſonnen
auf alle Regungen des inneren Sinns, und auf
alles iſt, was von auſsen kömmt und ſchnell von
einem Object auf ein anderes überſpringen kann,
ſchreiben wir Gewandheit der Seele zu.
Dahingegen beſitzt derjenige, welcher mehrere
Dinge zugleich mit zureichender Stärke beachten
kann, der den vorgeſteckten Gegenſtand mit
Nachdruck verfolgt und zugleich alle Verhältniſſe
ſeines äuſseren und inneren Zuſtandes, als ein
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/126>, abgerufen am 27.11.2024.
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