die Temperatur der Kräfte des Gehirns gesteigert, das Kraftverhältniss seiner Theile aufgelöst, die Angel der Verbindung abgezogen ist, die Ge- triebe einzeln und in dem Grade stärker wirken, als die übrige Maschine ruht; so müssen aller- dings auch eben solche eigenartige Wirkungen erfolgen, und dunkle Parthieen in Klarheit her- vorgehn, die bey einer anderen Erleuchtung des Seelenorgans nicht sichtbar werden konnten.
3) Sofern die Seelenkräfte nicht permanent sind, sondern erst durch die Vegetation geschaf- fen werden, lässt es sich begreifen, warum dazu eine Weile erfordert werde, wenn ein Gegenstand vermittelst der Besonnenheit zum klaren Bewusstseyn gelangen, und durch die Auf- merksamkeit gehalten werden soll. In einer weiten Landschaft erkennen wir bey einer raschen Uebersicht alles verworren, und nur die Gegen- stände deutlich, auf welchen wir länger haften. Eine Kanonenkugel im Fluge wird nicht vorge- stellt, ob sie gleich Fläche genug hat, weil sie in jedem Punkt des Raums eine unendlich kleine Zeit verweilt.
4) Eine Handlung in einem Theil des Nervensystems wirkt als Erre- gungsmittel auf einen anderen. Das Gehirn erregt den Nerven, dieser das Muskelsy- stem; der äussere Sinn die Thätigkeit des inne- ren; eine Vorstellung die andere. Die letzte Art successiver Erregungen im Seelenorgan, sofern es
die Temperatur der Kräfte des Gehirns geſteigert, das Kraftverhältniſs ſeiner Theile aufgelöſt, die Angel der Verbindung abgezogen iſt, die Ge- triebe einzeln und in dem Grade ſtärker wirken, als die übrige Maſchine ruht; ſo müſſen aller- dings auch eben ſolche eigenartige Wirkungen erfolgen, und dunkle Parthieen in Klarheit her- vorgehn, die bey einer anderen Erleuchtung des Seelenorgans nicht ſichtbar werden konnten.
3) Sofern die Seelenkräfte nicht permanent ſind, ſondern erſt durch die Vegetation geſchaf- fen werden, läſst es ſich begreifen, warum dazu eine Weile erfordert werde, wenn ein Gegenſtand vermittelſt der Beſonnenheit zum klaren Bewuſstſeyn gelangen, und durch die Auf- merkſamkeit gehalten werden ſoll. In einer weiten Landſchaft erkennen wir bey einer raſchen Ueberſicht alles verworren, und nur die Gegen- ſtände deutlich, auf welchen wir länger haften. Eine Kanonenkugel im Fluge wird nicht vorge- ſtellt, ob ſie gleich Fläche genug hat, weil ſie in jedem Punkt des Raums eine unendlich kleine Zeit verweilt.
4) Eine Handlung in einem Theil des Nervenſyſtems wirkt als Erre- gungsmittel auf einen anderen. Das Gehirn erregt den Nerven, dieſer das Muskelſy- ſtem; der äuſsere Sinn die Thätigkeit des inne- ren; eine Vorſtellung die andere. Die letzte Art ſucceſſiver Erregungen im Seelenorgan, ſofern es
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die Temperatur der Kräfte des Gehirns geſteigert,
das Kraftverhältniſs ſeiner Theile aufgelöſt, die
Angel der Verbindung abgezogen iſt, die Ge-
triebe einzeln und in dem Grade ſtärker wirken,
als die übrige Maſchine ruht; ſo müſſen aller-
dings auch eben ſolche eigenartige Wirkungen
erfolgen, und dunkle Parthieen in Klarheit her-
vorgehn, die bey einer anderen Erleuchtung des
Seelenorgans nicht ſichtbar werden konnten.
3) Sofern die Seelenkräfte nicht permanent
ſind, ſondern erſt durch die Vegetation geſchaf-
fen werden, läſst es ſich begreifen, warum
dazu eine Weile erfordert werde, wenn
ein Gegenſtand vermittelſt der Beſonnenheit zum
klaren Bewuſstſeyn gelangen, und durch die Auf-
merkſamkeit gehalten werden ſoll. In einer
weiten Landſchaft erkennen wir bey einer raſchen
Ueberſicht alles verworren, und nur die Gegen-
ſtände deutlich, auf welchen wir länger haften.
Eine Kanonenkugel im Fluge wird nicht vorge-
ſtellt, ob ſie gleich Fläche genug hat, weil ſie in
jedem Punkt des Raums eine unendlich kleine
Zeit verweilt.
4) Eine Handlung in einem Theil
des Nervenſyſtems wirkt als Erre-
gungsmittel auf einen anderen. Das
Gehirn erregt den Nerven, dieſer das Muskelſy-
ſtem; der äuſsere Sinn die Thätigkeit des inne-
ren; eine Vorſtellung die andere. Die letzte Art
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/122>, abgerufen am 23.11.2024.
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