Vertheilung seiner Kräfte gegründet und durch das Auffassen bestimmter Objekte im Selbstbe- wusstseyn und der Besonnenheit angekündiget wird. Sobald dies Verhältniss der dynamischen Temperatur im Seelenorgan wankt, so wankt auch die normale Receptivität für äussere Gegen- stände; es weicht die Ausbreitung der bewirkten Erregungen ab von den Gesetzen der Association. Die Angel der Verbindung ist abgezogen, ein- zelne Getriebe wirken für sich, Nebelsterne drin- gen aus der Tiefe zur Klarheit hervor, und es wird in uns eine Welt sichtbar, von der wir nicht ahndeten, dass sie in uns vorhanden sey.
Was sind dunkele Vorstellungen, Vorstellungen ohne Bewusstseyn? Chi- mären. Doch haben Leibnitzens Anhänger ihr Daseyn sogar durch Schlüsse bewiesen. "Eine Kraft, sagen sie, sey ohne Thätigkeit nicht ge- denkbar, da ihr Wesen im Wirken bestehe. Nun äussere sich das Seelenvermögen durch Vorstel- len; es müsse also auch im Schlafe vorstellen. Weil wir uns aber dessen nicht bewusst sind, so folge daraus, dass wir im Schlafe Vorstel- lungen ohne Bewusstseyn haben müs- sen." So richtig der Obersatz seyn mag, so hypothetisch ist der Untersatz, der eine perma- nente Seelenkraft als unbedingt nothwendig vor- aussetzt. Die Seele wird und vergeht in jedem Moment, wie der Körper wird und vergeht und doch derselbe bleibt Nur wenn wir Vorstellun-
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Vertheilung ſeiner Kräfte gegründet und durch das Auffaſſen beſtimmter Objekte im Selbſtbe- wuſstſeyn und der Beſonnenheit angekündiget wird. Sobald dies Verhältniſs der dynamiſchen Temperatur im Seelenorgan wankt, ſo wankt auch die normale Receptivität für äuſsere Gegen- ſtände; es weicht die Ausbreitung der bewirkten Erregungen ab von den Geſetzen der Aſſociation. Die Angel der Verbindung iſt abgezogen, ein- zelne Getriebe wirken für ſich, Nebelſterne drin- gen aus der Tiefe zur Klarheit hervor, und es wird in uns eine Welt ſichtbar, von der wir nicht ahndeten, daſs ſie in uns vorhanden ſey.
Was ſind dunkele Vorſtellungen, Vorſtellungen ohne Bewuſstſeyn? Chi- mären. Doch haben Leibnitzens Anhänger ihr Daſeyn ſogar durch Schlüſſe bewieſen. „Eine Kraft, ſagen ſie, ſey ohne Thätigkeit nicht ge- denkbar, da ihr Weſen im Wirken beſtehe. Nun äuſsere ſich das Seelenvermögen durch Vorſtel- len; es müſſe alſo auch im Schlafe vorſtellen. Weil wir uns aber deſſen nicht bewuſst ſind, ſo folge daraus, daſs wir im Schlafe Vorſtel- lungen ohne Bewuſstſeyn haben müſ- ſen.“ So richtig der Oberſatz ſeyn mag, ſo hypothetiſch iſt der Unterſatz, der eine perma- nente Seelenkraft als unbedingt nothwendig vor- ausſetzt. Die Seele wird und vergeht in jedem Moment, wie der Körper wird und vergeht und doch derſelbe bleibt Nur wenn wir Vorſtellun-
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Vertheilung ſeiner Kräfte gegründet und durch
das Auffaſſen beſtimmter Objekte im Selbſtbe-
wuſstſeyn und der Beſonnenheit angekündiget
wird. Sobald dies Verhältniſs der dynamiſchen
Temperatur im Seelenorgan wankt, ſo wankt
auch die normale Receptivität für äuſsere Gegen-
ſtände; es weicht die Ausbreitung der bewirkten
Erregungen ab von den Geſetzen der Aſſociation.
Die Angel der Verbindung iſt abgezogen, ein-
zelne Getriebe wirken für ſich, Nebelſterne drin-
gen aus der Tiefe zur Klarheit hervor, und es
wird in uns eine Welt ſichtbar, von der wir nicht
ahndeten, daſs ſie in uns vorhanden ſey.
Was ſind dunkele Vorſtellungen,
Vorſtellungen ohne Bewuſstſeyn? Chi-
mären. Doch haben Leibnitzens Anhänger
ihr Daſeyn ſogar durch Schlüſſe bewieſen. „Eine
Kraft, ſagen ſie, ſey ohne Thätigkeit nicht ge-
denkbar, da ihr Weſen im Wirken beſtehe. Nun
äuſsere ſich das Seelenvermögen durch Vorſtel-
len; es müſſe alſo auch im Schlafe vorſtellen.
Weil wir uns aber deſſen nicht bewuſst ſind, ſo
folge daraus, daſs wir im Schlafe Vorſtel-
lungen ohne Bewuſstſeyn haben müſ-
ſen.“ So richtig der Oberſatz ſeyn mag, ſo
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doch derſelbe bleibt Nur wenn wir Vorſtellun-
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/120>, abgerufen am 23.11.2024.
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