theilweise seiner bewusst seyn; er kann handeln, sich beobachten, über sich reflektiren, ja es sogar überlegen, ob er dies alles im Traume oder als Wachender thue. Doch wacht er nicht und er- kennt es erst in dem Moment des Erwachens, wo die Normal-Sympathie der Getriebe des Mi- krokosmus hergestellt wird, dass er nicht ge- wacht habe. Wir können die sublimsten Werke der höheren Seelenkräfte mit Bewusstseyn, aber auch ohne dasselbe, als blosse Automaten, ver- richten. Wir können als Somnambülen die ge- fährlichsten Oerter ersteigen, durch reissende Ströme schwimmen, die trefflichsten Dichtungen entwerfen und in fremden Sprachen reden. Der Canarienvogel, den wir pfeifen gelehrt haben, weiss nichts von dem Verhältniss der Oscillationen, von dem Rythmus des Tacts und hat keine Er- götzung an der Modulation der Töne. Wir ha- ben Gruppen und Züge des künstlichsten und ver- wickeltesten Muskelspiels in eine fremde Maschi- ne hineingetragen, die sie mechanisch wieder- hallt, wie die Aeols Harfe ihre Gesänge, wenn der Wind in ihre Saiten bläst. Der Virtuose spielt schön, weil er eine Seele hat. Aber eine Flötenuhr spielt ohne dieselbe eben so schön. Sie hatte freilich ihren Meister, aber auch ihr Mei- ster hatte den seinigen. Der letzte Ring in der Kette der Wesen hängt an dem Bette des Jupi- ters. Auch Maschinen müssen die zufälligen Ver- hältnisse äusserer Einflüsse wiederhallen, wenn sie
G
theilweiſe ſeiner bewuſst ſeyn; er kann handeln, ſich beobachten, über ſich reflektiren, ja es ſogar überlegen, ob er dies alles im Traume oder als Wachender thue. Doch wacht er nicht und er- kennt es erſt in dem Moment des Erwachens, wo die Normal-Sympathie der Getriebe des Mi- krokosmus hergeſtellt wird, daſs er nicht ge- wacht habe. Wir können die ſublimſten Werke der höheren Seelenkräfte mit Bewuſstſeyn, aber auch ohne daſſelbe, als bloſse Automaten, ver- richten. Wir können als Somnambülen die ge- fährlichſten Oerter erſteigen, durch reiſsende Ströme ſchwimmen, die trefflichſten Dichtungen entwerfen und in fremden Sprachen reden. Der Canarienvogel, den wir pfeifen gelehrt haben, weiſs nichts von dem Verhältniſs der Oſcillationen, von dem Rythmus des Tacts und hat keine Er- götzung an der Modulation der Töne. Wir ha- ben Gruppen und Züge des künſtlichſten und ver- wickelteſten Muskelſpiels in eine fremde Maſchi- ne hineingetragen, die ſie mechaniſch wieder- hallt, wie die Aeols Harfe ihre Geſänge, wenn der Wind in ihre Saiten bläſt. Der Virtuoſe ſpielt ſchön, weil er eine Seele hat. Aber eine Flötenuhr ſpielt ohne dieſelbe eben ſo ſchön. Sie hatte freilich ihren Meiſter, aber auch ihr Mei- ſter hatte den ſeinigen. Der letzte Ring in der Kette der Weſen hängt an dem Bette des Jupi- ters. Auch Maſchinen müſſen die zufälligen Ver- hältniſſe äuſserer Einflüſſe wiederhallen, wenn ſie
G
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0102"n="97"/>
theilweiſe ſeiner bewuſst ſeyn; er kann handeln,<lb/>ſich beobachten, über ſich reflektiren, ja es ſogar<lb/>
überlegen, ob er dies alles im Traume oder als<lb/>
Wachender thue. Doch wacht er nicht und er-<lb/>
kennt es erſt in dem Moment des Erwachens,<lb/>
wo die Normal-Sympathie der Getriebe des Mi-<lb/>
krokosmus hergeſtellt wird, daſs er nicht ge-<lb/>
wacht habe. Wir können die ſublimſten Werke<lb/>
der höheren Seelenkräfte mit Bewuſstſeyn, aber<lb/>
auch ohne daſſelbe, als bloſse Automaten, ver-<lb/>
richten. Wir können als Somnambülen die ge-<lb/>
fährlichſten Oerter erſteigen, durch reiſsende<lb/>
Ströme ſchwimmen, die trefflichſten Dichtungen<lb/>
entwerfen und in fremden Sprachen reden. Der<lb/>
Canarienvogel, den wir pfeifen gelehrt haben,<lb/>
weiſs nichts von dem Verhältniſs der Oſcillationen,<lb/>
von dem Rythmus des Tacts und hat keine Er-<lb/>
götzung an der Modulation der Töne. Wir ha-<lb/>
ben Gruppen und Züge des künſtlichſten und ver-<lb/>
wickelteſten Muskelſpiels in eine fremde Maſchi-<lb/>
ne hineingetragen, die ſie mechaniſch wieder-<lb/>
hallt, wie die Aeols Harfe ihre Geſänge, wenn<lb/>
der Wind in ihre Saiten bläſt. Der Virtuoſe<lb/>ſpielt ſchön, weil er eine Seele hat. Aber eine<lb/>
Flötenuhr ſpielt ohne dieſelbe eben ſo ſchön. Sie<lb/>
hatte freilich ihren Meiſter, aber auch ihr Mei-<lb/>ſter hatte den ſeinigen. Der letzte Ring in der<lb/>
Kette der Weſen hängt an dem Bette des Jupi-<lb/>
ters. Auch Maſchinen müſſen die zufälligen Ver-<lb/>
hältniſſe äuſserer Einflüſſe wiederhallen, wenn ſie<lb/><fwplace="bottom"type="sig">G</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[97/0102]
theilweiſe ſeiner bewuſst ſeyn; er kann handeln,
ſich beobachten, über ſich reflektiren, ja es ſogar
überlegen, ob er dies alles im Traume oder als
Wachender thue. Doch wacht er nicht und er-
kennt es erſt in dem Moment des Erwachens,
wo die Normal-Sympathie der Getriebe des Mi-
krokosmus hergeſtellt wird, daſs er nicht ge-
wacht habe. Wir können die ſublimſten Werke
der höheren Seelenkräfte mit Bewuſstſeyn, aber
auch ohne daſſelbe, als bloſse Automaten, ver-
richten. Wir können als Somnambülen die ge-
fährlichſten Oerter erſteigen, durch reiſsende
Ströme ſchwimmen, die trefflichſten Dichtungen
entwerfen und in fremden Sprachen reden. Der
Canarienvogel, den wir pfeifen gelehrt haben,
weiſs nichts von dem Verhältniſs der Oſcillationen,
von dem Rythmus des Tacts und hat keine Er-
götzung an der Modulation der Töne. Wir ha-
ben Gruppen und Züge des künſtlichſten und ver-
wickelteſten Muskelſpiels in eine fremde Maſchi-
ne hineingetragen, die ſie mechaniſch wieder-
hallt, wie die Aeols Harfe ihre Geſänge, wenn
der Wind in ihre Saiten bläſt. Der Virtuoſe
ſpielt ſchön, weil er eine Seele hat. Aber eine
Flötenuhr ſpielt ohne dieſelbe eben ſo ſchön. Sie
hatte freilich ihren Meiſter, aber auch ihr Mei-
ſter hatte den ſeinigen. Der letzte Ring in der
Kette der Weſen hängt an dem Bette des Jupi-
ters. Auch Maſchinen müſſen die zufälligen Ver-
hältniſſe äuſserer Einflüſſe wiederhallen, wenn ſie
G
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/102>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.