Reich, Moses Josef: Mammon im Gebirge. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–45. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.den Boden herab. Sommer schlich leise heran, erhörte, wie sie ein Lied vor sich hinsummte: "Die Thür ist geschlossen, die Fenster sind zu -- wer stört mich in meiner nächtigen Ruh'? Es klopft in der Kammer, es raschelt im Stroh -- es sinkt mir's Herze, und ich war doch so froh!" -- Da hielt ihr Jemand von hinten die Augen zu, sie schrie: Das ist der Martin! und riß sich los -- als sie Sommern erblickte, sagte sie ärgerlich: Ihr solltet jetzt nicht an solche Späße denken! und zerriß die Rose vorn an ihrem Busen und streute sie in den Wind. -- Närrlein! sagte Sommer demüthig, der Martin ist wer weiß wo in der Welt, oder gar gefallen -- und du kennst ihn ja gar nicht -- laß dir vom Schuster drüben kein X für ein U vormachen! -- 's geht Euch nichts an, ich kann denken an wen ich will! rief Trude gereizt und wollte fort. -- Sommer hielt sie am Kleide zurück und bat sie recht demüthig, auf ihn zu hören. Nun gut, ich höre schon! sagte sie barsch und stellte sich stramm auf die Beine. So nicht! bat Sommer, komm herein und laß uns recht vom Herzen reden! -- Widerstrebend folgte ihm Trude in die Stube, er schloß die Fenster, hieß das Mädchen feierlich niedersitzen, setzte sich auch, ihr gegenüber, und begann: Ich bin zu Ostern zweiundvierzig Jahr' alt geworden. -- Das glaub' ich nicht! unterbrach ihn Trude, Ihr seid zum wenigsten sechzig! -- Sommer zog eine bereitgehaltene Schrift aus der Schublade. -- Da sieh! hiemit hielt er ihr seinen den Boden herab. Sommer schlich leise heran, erhörte, wie sie ein Lied vor sich hinsummte: „Die Thür ist geschlossen, die Fenster sind zu — wer stört mich in meiner nächtigen Ruh'? Es klopft in der Kammer, es raschelt im Stroh — es sinkt mir's Herze, und ich war doch so froh!“ — Da hielt ihr Jemand von hinten die Augen zu, sie schrie: Das ist der Martin! und riß sich los — als sie Sommern erblickte, sagte sie ärgerlich: Ihr solltet jetzt nicht an solche Späße denken! und zerriß die Rose vorn an ihrem Busen und streute sie in den Wind. — Närrlein! sagte Sommer demüthig, der Martin ist wer weiß wo in der Welt, oder gar gefallen — und du kennst ihn ja gar nicht — laß dir vom Schuster drüben kein X für ein U vormachen! — 's geht Euch nichts an, ich kann denken an wen ich will! rief Trude gereizt und wollte fort. — Sommer hielt sie am Kleide zurück und bat sie recht demüthig, auf ihn zu hören. Nun gut, ich höre schon! sagte sie barsch und stellte sich stramm auf die Beine. So nicht! bat Sommer, komm herein und laß uns recht vom Herzen reden! — Widerstrebend folgte ihm Trude in die Stube, er schloß die Fenster, hieß das Mädchen feierlich niedersitzen, setzte sich auch, ihr gegenüber, und begann: Ich bin zu Ostern zweiundvierzig Jahr' alt geworden. — Das glaub' ich nicht! unterbrach ihn Trude, Ihr seid zum wenigsten sechzig! — Sommer zog eine bereitgehaltene Schrift aus der Schublade. — Da sieh! hiemit hielt er ihr seinen <TEI> <text> <body> <div n="0"> <p><pb facs="#f0023"/> den Boden herab. Sommer schlich leise heran, erhörte, wie sie ein Lied vor sich hinsummte: „Die Thür ist geschlossen, die Fenster sind zu — wer stört mich in meiner nächtigen Ruh'? Es klopft in der Kammer, es raschelt im Stroh — es sinkt mir's Herze, und ich war doch so froh!“ — Da hielt ihr Jemand von hinten die Augen zu, sie schrie: Das ist der Martin! und riß sich los — als sie Sommern erblickte, sagte sie ärgerlich: Ihr solltet jetzt nicht an solche Späße denken! und zerriß die Rose vorn an ihrem Busen und streute sie in den Wind. — Närrlein! sagte Sommer demüthig, der Martin ist wer weiß wo in der Welt, oder gar gefallen — und du kennst ihn ja gar nicht — laß dir vom Schuster drüben kein X für ein U vormachen! — 's geht Euch nichts an, ich kann denken an wen ich will! rief Trude gereizt und wollte fort. — Sommer hielt sie am Kleide zurück und bat sie recht demüthig, auf ihn zu hören. Nun gut, ich höre schon! sagte sie barsch und stellte sich stramm auf die Beine. So nicht! bat Sommer, komm herein und laß uns recht vom Herzen reden! —</p><lb/> <p>Widerstrebend folgte ihm Trude in die Stube, er schloß die Fenster, hieß das Mädchen feierlich niedersitzen, setzte sich auch, ihr gegenüber, und begann: Ich bin zu Ostern zweiundvierzig Jahr' alt geworden. — Das glaub' ich nicht! unterbrach ihn Trude, Ihr seid zum wenigsten sechzig! — Sommer zog eine bereitgehaltene Schrift aus der Schublade. — Da sieh! hiemit hielt er ihr seinen<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0023]
den Boden herab. Sommer schlich leise heran, erhörte, wie sie ein Lied vor sich hinsummte: „Die Thür ist geschlossen, die Fenster sind zu — wer stört mich in meiner nächtigen Ruh'? Es klopft in der Kammer, es raschelt im Stroh — es sinkt mir's Herze, und ich war doch so froh!“ — Da hielt ihr Jemand von hinten die Augen zu, sie schrie: Das ist der Martin! und riß sich los — als sie Sommern erblickte, sagte sie ärgerlich: Ihr solltet jetzt nicht an solche Späße denken! und zerriß die Rose vorn an ihrem Busen und streute sie in den Wind. — Närrlein! sagte Sommer demüthig, der Martin ist wer weiß wo in der Welt, oder gar gefallen — und du kennst ihn ja gar nicht — laß dir vom Schuster drüben kein X für ein U vormachen! — 's geht Euch nichts an, ich kann denken an wen ich will! rief Trude gereizt und wollte fort. — Sommer hielt sie am Kleide zurück und bat sie recht demüthig, auf ihn zu hören. Nun gut, ich höre schon! sagte sie barsch und stellte sich stramm auf die Beine. So nicht! bat Sommer, komm herein und laß uns recht vom Herzen reden! —
Widerstrebend folgte ihm Trude in die Stube, er schloß die Fenster, hieß das Mädchen feierlich niedersitzen, setzte sich auch, ihr gegenüber, und begann: Ich bin zu Ostern zweiundvierzig Jahr' alt geworden. — Das glaub' ich nicht! unterbrach ihn Trude, Ihr seid zum wenigsten sechzig! — Sommer zog eine bereitgehaltene Schrift aus der Schublade. — Da sieh! hiemit hielt er ihr seinen
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Zitationshilfe: | Reich, Moses Josef: Mammon im Gebirge. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–45. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reich_mammon_1910/23>, abgerufen am 16.07.2024. |