Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843.Leipziger Interim. wagten noch immer nicht zu widersprechen. Ganz verän-dert und umgekehrt zeigte sich das Verhältniß, als die Stände nach Leipzig berufen und diese Festsetzungen ihnen mitgetheilt wurden. 1 Die Stände erhoben Bedenken: die Theologen, weniger eifrig als ihre Pflegbefohlenen, suchten dieselben zu heben. Sie versicherten, daß die Messe doch nie ohne Communicanten Statt finden, das Frohnleichnamsfest mit keiner Procession verbunden, dem Öl keine abergläubi- sche Bedeutung beigelegt werden solle. Nach Maaßgabe der zu Pegau und zu Celle getroffenen Vergleichungen ward eine Schrift verfaßt, die unter dem Namen des Leipziger Interim bekannt ist, und als Norm für die Religionsübung in den sächsischen Landen dienen sollte. 2 Als die Theolo- gen ihr Werk ansahen, machte es sie selber bestürzt, daß sie sich so weit hatten führen lassen: sie klagten, sie seyen durch die Meinungen der Machthaber unterdrückt; ihr Trost war, 1 Schreiben der Bischöfe in Weller Altes aus allen Theilen der Geschichte Bd I, p. 607, wie denn die auf die Religion bezüg- lichen Acten dieser Landtage dort überhaupt zuerst mitgetheilt sind. Aus einer andern Handschrift finden sie sich jetzt im Corp. Ref. VII, 254 ff.; mit einigen Zusätzen, die sich auf den magdeburgischen Krieg und die dem Kaiser zu leistende Geldhülfe beziehen, im Berli- ner Archiv. Auch in den schon bekannt gemachten Stücken zeigen sich da einige merkwürdige Varianten: z. B. bei dem Bedenken ber Theo- logen der Zusatz "gebührlichen und schuldigen" Gehorsam, der also nicht ein späterer Nachtrag ist, sondern dem ersten Entwurfe angehört. 2 Joh. Bugenhagen versichert, er habe seinen grauen Kopf dargeboten, "ehe ich wolt annehmen die lästerlichen Pfaffenunction, Consecrationen etc."; noch ward da (zu Leipzig) vorgetragen die "extrema unctio nomine theologorum." Voigt, Briefe der Gelehrten an H. Albrecht p. 93. Melanchthon an Hardenberg 18 März 1549 (er will nicht beurtheilt seyn "ex pagellis, quibus quac- dam inserta sunt quae non sunt nostra"). Corp. Ref. VII, 351. 6*
Leipziger Interim. wagten noch immer nicht zu widerſprechen. Ganz verän-dert und umgekehrt zeigte ſich das Verhältniß, als die Stände nach Leipzig berufen und dieſe Feſtſetzungen ihnen mitgetheilt wurden. 1 Die Stände erhoben Bedenken: die Theologen, weniger eifrig als ihre Pflegbefohlenen, ſuchten dieſelben zu heben. Sie verſicherten, daß die Meſſe doch nie ohne Communicanten Statt finden, das Frohnleichnamsfeſt mit keiner Proceſſion verbunden, dem Öl keine abergläubi- ſche Bedeutung beigelegt werden ſolle. Nach Maaßgabe der zu Pegau und zu Celle getroffenen Vergleichungen ward eine Schrift verfaßt, die unter dem Namen des Leipziger Interim bekannt iſt, und als Norm für die Religionsübung in den ſächſiſchen Landen dienen ſollte. 2 Als die Theolo- gen ihr Werk anſahen, machte es ſie ſelber beſtürzt, daß ſie ſich ſo weit hatten führen laſſen: ſie klagten, ſie ſeyen durch die Meinungen der Machthaber unterdrückt; ihr Troſt war, 1 Schreiben der Biſchoͤfe in Weller Altes aus allen Theilen der Geſchichte Bd I, p. 607, wie denn die auf die Religion bezuͤg- lichen Acten dieſer Landtage dort uͤberhaupt zuerſt mitgetheilt ſind. Aus einer andern Handſchrift finden ſie ſich jetzt im Corp. Ref. VII, 254 ff.; mit einigen Zuſaͤtzen, die ſich auf den magdeburgiſchen Krieg und die dem Kaiſer zu leiſtende Geldhuͤlfe beziehen, im Berli- ner Archiv. Auch in den ſchon bekannt gemachten Stuͤcken zeigen ſich da einige merkwuͤrdige Varianten: z. B. bei dem Bedenken ber Theo- logen der Zuſatz „gebuͤhrlichen und ſchuldigen“ Gehorſam, der alſo nicht ein ſpaͤterer Nachtrag iſt, ſondern dem erſten Entwurfe angehoͤrt. 2 Joh. Bugenhagen verſichert, er habe ſeinen grauen Kopf dargeboten, „ehe ich wolt annehmen die laͤſterlichen Pfaffenunction, Conſecrationen ꝛc.“; noch ward da (zu Leipzig) vorgetragen die „extrema unctio nomine theologorum.“ Voigt, Briefe der Gelehrten an H. Albrecht p. 93. Melanchthon an Hardenberg 18 Maͤrz 1549 (er will nicht beurtheilt ſeyn „ex pagellis, quibus quac- dam inserta sunt quae non sunt nostra“). Corp. Ref. VII, 351. 6*
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Leipziger Interim.
wagten noch immer nicht zu widerſprechen. Ganz verän-
dert und umgekehrt zeigte ſich das Verhältniß, als die
Stände nach Leipzig berufen und dieſe Feſtſetzungen ihnen
mitgetheilt wurden. 1 Die Stände erhoben Bedenken: die
Theologen, weniger eifrig als ihre Pflegbefohlenen, ſuchten
dieſelben zu heben. Sie verſicherten, daß die Meſſe doch nie
ohne Communicanten Statt finden, das Frohnleichnamsfeſt
mit keiner Proceſſion verbunden, dem Öl keine abergläubi-
ſche Bedeutung beigelegt werden ſolle. Nach Maaßgabe
der zu Pegau und zu Celle getroffenen Vergleichungen ward
eine Schrift verfaßt, die unter dem Namen des Leipziger
Interim bekannt iſt, und als Norm für die Religionsübung
in den ſächſiſchen Landen dienen ſollte. 2 Als die Theolo-
gen ihr Werk anſahen, machte es ſie ſelber beſtürzt, daß ſie
ſich ſo weit hatten führen laſſen: ſie klagten, ſie ſeyen durch
die Meinungen der Machthaber unterdrückt; ihr Troſt war,
1 Schreiben der Biſchoͤfe in Weller Altes aus allen Theilen
der Geſchichte Bd I, p. 607, wie denn die auf die Religion bezuͤg-
lichen Acten dieſer Landtage dort uͤberhaupt zuerſt mitgetheilt ſind.
Aus einer andern Handſchrift finden ſie ſich jetzt im Corp. Ref. VII,
254 ff.; mit einigen Zuſaͤtzen, die ſich auf den magdeburgiſchen
Krieg und die dem Kaiſer zu leiſtende Geldhuͤlfe beziehen, im Berli-
ner Archiv. Auch in den ſchon bekannt gemachten Stuͤcken zeigen ſich
da einige merkwuͤrdige Varianten: z. B. bei dem Bedenken ber Theo-
logen der Zuſatz „gebuͤhrlichen und ſchuldigen“ Gehorſam, der alſo
nicht ein ſpaͤterer Nachtrag iſt, ſondern dem erſten Entwurfe angehoͤrt.
2 Joh. Bugenhagen verſichert, er habe ſeinen grauen Kopf
dargeboten, „ehe ich wolt annehmen die laͤſterlichen Pfaffenunction,
Conſecrationen ꝛc.“; noch ward da (zu Leipzig) vorgetragen die
„extrema unctio nomine theologorum.“ Voigt, Briefe der
Gelehrten an H. Albrecht p. 93. Melanchthon an Hardenberg 18
Maͤrz 1549 (er will nicht beurtheilt ſeyn „ex pagellis, quibus quac-
dam inserta sunt quae non sunt nostra“). Corp. Ref. VII, 351.
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