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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843.

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Zehntes Buch. Achtes Capitel.
Testamentes, giebt er in Reimen wieder; daran schließen sich
die Historien von den Märtyrern; dann folgen die weltlichen
Geschichten, wo denn bei der alten Welt "der griechische Weise
Herodotus", oder Justin oder Johann Herolt abwechselnd
als die Gewährsmänner genannt werden, in der neuern die
Chronisten, die französisch Chronica, die hochburgundisch
Chronica; weiter finden sich die Erzählungen der Volksbücher,
wie vom hörnen Siegfried oder der schönen Magelone; die
Sprüche der alten Philosophen und die Thierfabel fehlen nicht;
zuweilen werden theologische Fragen aufgeworfen, wo dann
jeder Theil seine Zeugnisse aufführt, Propheten und Apostel
gewissermaßen redend erscheinen.

Indem sich aber Hans Sachs fast überall frühern Autoren
anschließt, weiß er sich doch ihrer Form zu erwehren. Sein
Verfahren steht anderer Poesie beinahe entgegen. Während
Andere dem überlieferten Stoffe neue Gestalt zu geben suchen,
führt er das Gestaltete auf den Stoff zurück. Er nimmt zu-
weilen alte Comödien herüber, aber gleichsam auszugsweise;
ihm gewinnen hauptsächlich nur die Situationen, ihre Aufein-
anderfolge und das daraus hervorgehende Ergebniß Theilnahme
ab. Seine dramatischen Arbeiten sind höchst sonderbar: man
könnte sagen, sie entbehren des Dialogs; wenigstens arbeitet
sich derselbe aus der Erzählung nur eben erst hervor. Und
selbst mit seiner Erzählung verhält es sich oft auf eine ähn-
liche Weise: er epitomirt die Volksbücher. Den großen
Inhalt der Literatur, der ihm selbst zu Handen gekommen,
rückt er in einen seinen Lesern entsprechenden Gesichtskreis.
Nur da entwickelt er dichterische Gaben, wo er sich ent-
weder in diesem Kreise schon bewegt, wie in den Schwän-

Zehntes Buch. Achtes Capitel.
Teſtamentes, giebt er in Reimen wieder; daran ſchließen ſich
die Hiſtorien von den Märtyrern; dann folgen die weltlichen
Geſchichten, wo denn bei der alten Welt „der griechiſche Weiſe
Herodotus“, oder Juſtin oder Johann Herolt abwechſelnd
als die Gewährsmänner genannt werden, in der neuern die
Chroniſten, die franzöſiſch Chronica, die hochburgundiſch
Chronica; weiter finden ſich die Erzählungen der Volksbücher,
wie vom hörnen Siegfried oder der ſchönen Magelone; die
Sprüche der alten Philoſophen und die Thierfabel fehlen nicht;
zuweilen werden theologiſche Fragen aufgeworfen, wo dann
jeder Theil ſeine Zeugniſſe aufführt, Propheten und Apoſtel
gewiſſermaßen redend erſcheinen.

Indem ſich aber Hans Sachs faſt überall frühern Autoren
anſchließt, weiß er ſich doch ihrer Form zu erwehren. Sein
Verfahren ſteht anderer Poeſie beinahe entgegen. Während
Andere dem überlieferten Stoffe neue Geſtalt zu geben ſuchen,
führt er das Geſtaltete auf den Stoff zurück. Er nimmt zu-
weilen alte Comödien herüber, aber gleichſam auszugsweiſe;
ihm gewinnen hauptſächlich nur die Situationen, ihre Aufein-
anderfolge und das daraus hervorgehende Ergebniß Theilnahme
ab. Seine dramatiſchen Arbeiten ſind höchſt ſonderbar: man
könnte ſagen, ſie entbehren des Dialogs; wenigſtens arbeitet
ſich derſelbe aus der Erzählung nur eben erſt hervor. Und
ſelbſt mit ſeiner Erzählung verhält es ſich oft auf eine ähn-
liche Weiſe: er epitomirt die Volksbücher. Den großen
Inhalt der Literatur, der ihm ſelbſt zu Handen gekommen,
rückt er in einen ſeinen Leſern entſprechenden Geſichtskreis.
Nur da entwickelt er dichteriſche Gaben, wo er ſich ent-
weder in dieſem Kreiſe ſchon bewegt, wie in den Schwän-

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[496/0508] Zehntes Buch. Achtes Capitel. Teſtamentes, giebt er in Reimen wieder; daran ſchließen ſich die Hiſtorien von den Märtyrern; dann folgen die weltlichen Geſchichten, wo denn bei der alten Welt „der griechiſche Weiſe Herodotus“, oder Juſtin oder Johann Herolt abwechſelnd als die Gewährsmänner genannt werden, in der neuern die Chroniſten, die franzöſiſch Chronica, die hochburgundiſch Chronica; weiter finden ſich die Erzählungen der Volksbücher, wie vom hörnen Siegfried oder der ſchönen Magelone; die Sprüche der alten Philoſophen und die Thierfabel fehlen nicht; zuweilen werden theologiſche Fragen aufgeworfen, wo dann jeder Theil ſeine Zeugniſſe aufführt, Propheten und Apoſtel gewiſſermaßen redend erſcheinen. Indem ſich aber Hans Sachs faſt überall frühern Autoren anſchließt, weiß er ſich doch ihrer Form zu erwehren. Sein Verfahren ſteht anderer Poeſie beinahe entgegen. Während Andere dem überlieferten Stoffe neue Geſtalt zu geben ſuchen, führt er das Geſtaltete auf den Stoff zurück. Er nimmt zu- weilen alte Comödien herüber, aber gleichſam auszugsweiſe; ihm gewinnen hauptſächlich nur die Situationen, ihre Aufein- anderfolge und das daraus hervorgehende Ergebniß Theilnahme ab. Seine dramatiſchen Arbeiten ſind höchſt ſonderbar: man könnte ſagen, ſie entbehren des Dialogs; wenigſtens arbeitet ſich derſelbe aus der Erzählung nur eben erſt hervor. Und ſelbſt mit ſeiner Erzählung verhält es ſich oft auf eine ähn- liche Weiſe: er epitomirt die Volksbücher. Den großen Inhalt der Literatur, der ihm ſelbſt zu Handen gekommen, rückt er in einen ſeinen Leſern entſprechenden Geſichtskreis. Nur da entwickelt er dichteriſche Gaben, wo er ſich ent- weder in dieſem Kreiſe ſchon bewegt, wie in den Schwän-

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843, S. 496. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843/508>, abgerufen am 24.11.2024.