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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843.

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Zehntes Buch. Achtes Capitel.
sie nicht allein eine rotirende Bewegung um sich selber, son-
dern auch eine fortschreitende habe: wie nun wenn hierin
die noch unbekannte Wahrheit lag? Copernicus ergriff die-
sen Gedanken mit aller Kraft eines die Wahrheit vorahnen-
den Genius. In seiner Wohnung am Dome zu Frauenburg,
die ihm einen großen Horizont eröffnete, betrachtete er die
Höhen der Planeten, des Mondes, der Sonne und der Fix-
sterne, mit sehr unzulänglichen Instrumenten, nicht selten von
dem aus dem frischen Haff aufsteigenden Nebel behindert,
aber im Ganzen vortrefflich; er überzeugte sich, daß die Er-
scheinungen die bisher unbegreiflich gewesen, sich wirklich
nur erklären ließen, wenn man die verworfene Hypothese,
die Bewegung der Erde annehme, und sie mit der Bewegung
der Planeten und des Mondes combinire. So erst ließen
sich die Erscheinungen der täglichen Bewegung der Himmels-
kugel, des jährlichen Laufs der Sonne in der Ekliptik, der
Wechsel der Jahreszeiten und Tageslängen, des Vor- und
Rückgehens der Planeten verstehen; die Erläuterungen die
er davon gab, kamen einem Beweise seines Hauptsatzes
nahe. 1 Wohl war dieser noch unvollständig und nicht von
allen Irrthümern riß sich Copernicus los; aber er hatte einen
Gedanken von so ächter Wahrheit ergriffen, daß Mängel der
Darstellung denselben nicht hindern konnten sich allmählig Platz
zu machen. Was man von Aristarch von Samos gesagt, das
hat in der That erst Copernicus vollbracht: er setzte den
Heerd des Kosmos in Bewegung. Die Erde erschien ihm als

quidem apud Ciceronem, primum Nicetam dixisse terram moveri
Copernicus de revolutt. orbb. coelestium. Praefatio.
1 Ideler Über das Verhältniß des Copernicus zum Alterthum.

Zehntes Buch. Achtes Capitel.
ſie nicht allein eine rotirende Bewegung um ſich ſelber, ſon-
dern auch eine fortſchreitende habe: wie nun wenn hierin
die noch unbekannte Wahrheit lag? Copernicus ergriff die-
ſen Gedanken mit aller Kraft eines die Wahrheit vorahnen-
den Genius. In ſeiner Wohnung am Dome zu Frauenburg,
die ihm einen großen Horizont eröffnete, betrachtete er die
Höhen der Planeten, des Mondes, der Sonne und der Fix-
ſterne, mit ſehr unzulänglichen Inſtrumenten, nicht ſelten von
dem aus dem friſchen Haff aufſteigenden Nebel behindert,
aber im Ganzen vortrefflich; er überzeugte ſich, daß die Er-
ſcheinungen die bisher unbegreiflich geweſen, ſich wirklich
nur erklären ließen, wenn man die verworfene Hypotheſe,
die Bewegung der Erde annehme, und ſie mit der Bewegung
der Planeten und des Mondes combinire. So erſt ließen
ſich die Erſcheinungen der täglichen Bewegung der Himmels-
kugel, des jährlichen Laufs der Sonne in der Ekliptik, der
Wechſel der Jahreszeiten und Tageslängen, des Vor- und
Rückgehens der Planeten verſtehen; die Erläuterungen die
er davon gab, kamen einem Beweiſe ſeines Hauptſatzes
nahe. 1 Wohl war dieſer noch unvollſtändig und nicht von
allen Irrthümern riß ſich Copernicus los; aber er hatte einen
Gedanken von ſo ächter Wahrheit ergriffen, daß Mängel der
Darſtellung denſelben nicht hindern konnten ſich allmählig Platz
zu machen. Was man von Ariſtarch von Samos geſagt, das
hat in der That erſt Copernicus vollbracht: er ſetzte den
Heerd des Kosmos in Bewegung. Die Erde erſchien ihm als

quidem apud Ciceronem, primum Nicetam dixisse terram moveri
Copernicus de revolutt. orbb. coelestium. Praefatio.
1 Ideler Uͤber das Verhaͤltniß des Copernicus zum Alterthum.
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[486/0498] Zehntes Buch. Achtes Capitel. ſie nicht allein eine rotirende Bewegung um ſich ſelber, ſon- dern auch eine fortſchreitende habe: wie nun wenn hierin die noch unbekannte Wahrheit lag? Copernicus ergriff die- ſen Gedanken mit aller Kraft eines die Wahrheit vorahnen- den Genius. In ſeiner Wohnung am Dome zu Frauenburg, die ihm einen großen Horizont eröffnete, betrachtete er die Höhen der Planeten, des Mondes, der Sonne und der Fix- ſterne, mit ſehr unzulänglichen Inſtrumenten, nicht ſelten von dem aus dem friſchen Haff aufſteigenden Nebel behindert, aber im Ganzen vortrefflich; er überzeugte ſich, daß die Er- ſcheinungen die bisher unbegreiflich geweſen, ſich wirklich nur erklären ließen, wenn man die verworfene Hypotheſe, die Bewegung der Erde annehme, und ſie mit der Bewegung der Planeten und des Mondes combinire. So erſt ließen ſich die Erſcheinungen der täglichen Bewegung der Himmels- kugel, des jährlichen Laufs der Sonne in der Ekliptik, der Wechſel der Jahreszeiten und Tageslängen, des Vor- und Rückgehens der Planeten verſtehen; die Erläuterungen die er davon gab, kamen einem Beweiſe ſeines Hauptſatzes nahe. 1 Wohl war dieſer noch unvollſtändig und nicht von allen Irrthümern riß ſich Copernicus los; aber er hatte einen Gedanken von ſo ächter Wahrheit ergriffen, daß Mängel der Darſtellung denſelben nicht hindern konnten ſich allmählig Platz zu machen. Was man von Ariſtarch von Samos geſagt, das hat in der That erſt Copernicus vollbracht: er ſetzte den Heerd des Kosmos in Bewegung. Die Erde erſchien ihm als 1 1 Ideler Uͤber das Verhaͤltniß des Copernicus zum Alterthum. 1 quidem apud Ciceronem, primum Nicetam dixisse terram moveri Copernicus de revolutt. orbb. coelestium. Praefatio.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843, S. 486. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843/498>, abgerufen am 22.11.2024.