Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

Zehntes Buch. Achtes Capitel.
zu beschränken gedachte, den Mißbrauch der Privilegien rügte,
eine Menge Übelstände zur Sprache brachte, die noch lange
fortgedauert haben. Gabriel Mudäus, einer der ausgezeich-
netsten Lehrer auf der sehr besuchten Rechtsschule zu Lö-
wen, erwarb sich das Verdienst, von seinem civilrechtli-
chen Standpunct aus den Gewaltsamkeiten der Inquisition
entgegenzutreten.

Genug, mit dem Studium empfieng zugleich die Praxis
eine neue starke Anregung, die dann besonders auf die deut-
sche Provinzialgesetzgebung von größtem Einfluß gewesen ist.

Und wenden wir unsern Blick auf eine dritte Facul-
tätswissenschaft, die Arzneikunde, so traten auch in diesem
Gebiete durchgreifende Umwandlungen ein.

Die Medicin hieng von viel verderbterer Überlieferung
ab als das Recht. Die griechische Heilkunde, wie sie einst
Galen systematischer als seine Vorgänger, aber schon nicht
mehr in voller Originalität zusammenfaßte, hatte einen wei-
ten Weg gemacht um nach Deutschland zu gelangen: --
wie sie von arabischen Sammlern begriffen, dann durch Ver-
mittelung des Castilianischen in ein barbarisches Latein über-
tragen, und etwa von italienischen Commentatoren dem Be-
dürfniß der Zeiten angenähert worden, so ward sie damals

werten breuchlichen Rechten, Gesetzen, Ordnungen vnd Gewonheyten,
Oder nach eygner Vernunfft, Sinn, Witz - - zu regieren, zu Vrtey-
len etc. Getruckt zu Marpurg. 1542. C iij: "man findet, die lust dazu
haben leute zustöcken vnd peinigen, suchen allerley newe künstlein
vnmenschlicher marter, dar durch sie auch den aller vnschuldigsten da-
hin engstigen könnenn, das er was sie wöllen, vnd das jme nie ge-
treumet oder in sinne gefallen, verjehen müsse, meynen sie haben jr
ampt damit wol außgericht, Wie offt sein leute also getödtet wor-
den? wie offt sein leuth auff solche bekentnus gericht worden, deren
vnschuld sich hernach befunden hat?"

Zehntes Buch. Achtes Capitel.
zu beſchränken gedachte, den Mißbrauch der Privilegien rügte,
eine Menge Übelſtände zur Sprache brachte, die noch lange
fortgedauert haben. Gabriel Mudäus, einer der ausgezeich-
netſten Lehrer auf der ſehr beſuchten Rechtsſchule zu Lö-
wen, erwarb ſich das Verdienſt, von ſeinem civilrechtli-
chen Standpunct aus den Gewaltſamkeiten der Inquiſition
entgegenzutreten.

Genug, mit dem Studium empfieng zugleich die Praxis
eine neue ſtarke Anregung, die dann beſonders auf die deut-
ſche Provinzialgeſetzgebung von größtem Einfluß geweſen iſt.

Und wenden wir unſern Blick auf eine dritte Facul-
tätswiſſenſchaft, die Arzneikunde, ſo traten auch in dieſem
Gebiete durchgreifende Umwandlungen ein.

Die Medicin hieng von viel verderbterer Überlieferung
ab als das Recht. Die griechiſche Heilkunde, wie ſie einſt
Galen ſyſtematiſcher als ſeine Vorgänger, aber ſchon nicht
mehr in voller Originalität zuſammenfaßte, hatte einen wei-
ten Weg gemacht um nach Deutſchland zu gelangen: —
wie ſie von arabiſchen Sammlern begriffen, dann durch Ver-
mittelung des Caſtilianiſchen in ein barbariſches Latein über-
tragen, und etwa von italieniſchen Commentatoren dem Be-
dürfniß der Zeiten angenähert worden, ſo ward ſie damals

werten breuchlichen Rechten, Geſetzen, Ordnungen vnd Gewonheyten,
Oder nach eygner Vernunfft, Sinn, Witz ‒ ‒ zu regieren, zu Vrtey-
len ꝛc. Getruckt zu Marpurg. 1542. C iij: „man findet, die luſt dazu
haben leute zuſtoͤcken vnd peinigen, ſuchen allerley newe kuͤnſtlein
vnmenſchlicher marter, dar durch ſie auch den aller vnſchuldigſten da-
hin engſtigen koͤnnenn, das er was ſie woͤllen, vnd das jme nie ge-
treumet oder in ſinne gefallen, verjehen muͤſſe, meynen ſie haben jr
ampt damit wol außgericht, Wie offt ſein leute alſo getoͤdtet wor-
den? wie offt ſein leuth auff ſolche bekentnus gericht worden, deren
vnſchuld ſich hernach befunden hat?“
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0486" n="474"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zehntes Buch. Achtes Capitel</hi>.</fw><lb/>
zu be&#x017F;chränken gedachte, den Mißbrauch der Privilegien rügte,<lb/>
eine Menge Übel&#x017F;tände zur Sprache brachte, die noch lange<lb/>
fortgedauert haben. Gabriel Mudäus, einer der ausgezeich-<lb/>
net&#x017F;ten Lehrer auf der &#x017F;ehr be&#x017F;uchten Rechts&#x017F;chule zu Lö-<lb/>
wen, erwarb &#x017F;ich das Verdien&#x017F;t, von &#x017F;einem civilrechtli-<lb/>
chen Standpunct aus den Gewalt&#x017F;amkeiten der Inqui&#x017F;ition<lb/>
entgegenzutreten.</p><lb/>
          <p>Genug, mit dem Studium empfieng zugleich die Praxis<lb/>
eine neue &#x017F;tarke Anregung, die dann be&#x017F;onders auf die deut-<lb/>
&#x017F;che Provinzialge&#x017F;etzgebung von größtem Einfluß gewe&#x017F;en i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Und wenden wir un&#x017F;ern Blick auf eine dritte Facul-<lb/>
tätswi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft, die Arzneikunde, &#x017F;o traten auch in die&#x017F;em<lb/>
Gebiete durchgreifende Umwandlungen ein.</p><lb/>
          <p>Die Medicin hieng von viel verderbterer Überlieferung<lb/>
ab als das Recht. Die griechi&#x017F;che Heilkunde, wie &#x017F;ie ein&#x017F;t<lb/>
Galen &#x017F;y&#x017F;temati&#x017F;cher als &#x017F;eine Vorgänger, aber &#x017F;chon nicht<lb/>
mehr in voller Originalität zu&#x017F;ammenfaßte, hatte einen wei-<lb/>
ten Weg gemacht um nach Deut&#x017F;chland zu gelangen: &#x2014;<lb/>
wie &#x017F;ie von arabi&#x017F;chen Sammlern begriffen, dann durch Ver-<lb/>
mittelung des Ca&#x017F;tiliani&#x017F;chen in ein barbari&#x017F;ches Latein über-<lb/>
tragen, und etwa von italieni&#x017F;chen Commentatoren dem Be-<lb/>
dürfniß der Zeiten angenähert worden, &#x017F;o ward &#x017F;ie damals<lb/><note xml:id="seg2pn_32_2" prev="#seg2pn_32_1" place="foot" n="3">werten breuchlichen Rechten, Ge&#x017F;etzen, Ordnungen vnd Gewonheyten,<lb/>
Oder nach eygner Vernunfft, Sinn, Witz &#x2012; &#x2012; zu regieren, zu Vrtey-<lb/>
len &#xA75B;c. Getruckt zu Marpurg. 1542. <hi rendition="#aq">C iij:</hi> &#x201E;man findet, die lu&#x017F;t dazu<lb/>
haben leute zu&#x017F;to&#x0364;cken vnd peinigen, &#x017F;uchen allerley newe ku&#x0364;n&#x017F;tlein<lb/>
vnmen&#x017F;chlicher marter, dar durch &#x017F;ie auch den aller vn&#x017F;chuldig&#x017F;ten da-<lb/>
hin eng&#x017F;tigen ko&#x0364;nnenn, das er was &#x017F;ie wo&#x0364;llen, vnd das jme nie ge-<lb/>
treumet oder in &#x017F;inne gefallen, verjehen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, meynen &#x017F;ie haben jr<lb/>
ampt damit wol außgericht, Wie offt &#x017F;ein leute al&#x017F;o geto&#x0364;dtet wor-<lb/>
den? wie offt &#x017F;ein leuth auff &#x017F;olche bekentnus gericht worden, deren<lb/>
vn&#x017F;chuld &#x017F;ich hernach befunden hat?&#x201C;</note><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[474/0486] Zehntes Buch. Achtes Capitel. zu beſchränken gedachte, den Mißbrauch der Privilegien rügte, eine Menge Übelſtände zur Sprache brachte, die noch lange fortgedauert haben. Gabriel Mudäus, einer der ausgezeich- netſten Lehrer auf der ſehr beſuchten Rechtsſchule zu Lö- wen, erwarb ſich das Verdienſt, von ſeinem civilrechtli- chen Standpunct aus den Gewaltſamkeiten der Inquiſition entgegenzutreten. Genug, mit dem Studium empfieng zugleich die Praxis eine neue ſtarke Anregung, die dann beſonders auf die deut- ſche Provinzialgeſetzgebung von größtem Einfluß geweſen iſt. Und wenden wir unſern Blick auf eine dritte Facul- tätswiſſenſchaft, die Arzneikunde, ſo traten auch in dieſem Gebiete durchgreifende Umwandlungen ein. Die Medicin hieng von viel verderbterer Überlieferung ab als das Recht. Die griechiſche Heilkunde, wie ſie einſt Galen ſyſtematiſcher als ſeine Vorgänger, aber ſchon nicht mehr in voller Originalität zuſammenfaßte, hatte einen wei- ten Weg gemacht um nach Deutſchland zu gelangen: — wie ſie von arabiſchen Sammlern begriffen, dann durch Ver- mittelung des Caſtilianiſchen in ein barbariſches Latein über- tragen, und etwa von italieniſchen Commentatoren dem Be- dürfniß der Zeiten angenähert worden, ſo ward ſie damals 3 3 werten breuchlichen Rechten, Geſetzen, Ordnungen vnd Gewonheyten, Oder nach eygner Vernunfft, Sinn, Witz ‒ ‒ zu regieren, zu Vrtey- len ꝛc. Getruckt zu Marpurg. 1542. C iij: „man findet, die luſt dazu haben leute zuſtoͤcken vnd peinigen, ſuchen allerley newe kuͤnſtlein vnmenſchlicher marter, dar durch ſie auch den aller vnſchuldigſten da- hin engſtigen koͤnnenn, das er was ſie woͤllen, vnd das jme nie ge- treumet oder in ſinne gefallen, verjehen muͤſſe, meynen ſie haben jr ampt damit wol außgericht, Wie offt ſein leute alſo getoͤdtet wor- den? wie offt ſein leuth auff ſolche bekentnus gericht worden, deren vnſchuld ſich hernach befunden hat?“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843/486
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843, S. 474. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843/486>, abgerufen am 22.11.2024.