sich der Widerspruch von einer andern Seite her in tumul- tuarischer Aufwallung.
In einer ähnlichen Stellung wie damals die Zwinglia- ner in Bern, welche die lutherischen Meinungen verdrängt hatten, waren die Lutheraner in den niederdeutschen Städten: ihre Herrschaft gründete sich auf eine Unterdrückung zwinglia- nisirender Meinungen, die hier einmal sehr stark gewesen, und jetzt, sobald nur eine Annäherung dazu in Bremen hervor- tauchte, sich plötzlich wieder lebhaft regten. Dafür, daß Cal- vin eine vermittelnde Richtung verfolgt, der diesseitigen Auf- fassung in ihrem Wesen bei den alten Gegnern Raum ge- macht, hatten die Niederdeutschen keine Augen. Sie bemerk- ten nur die Hinneigungen nach der Zwinglischen Seite, sie faßten einige anzügliche Ausdrücke auf, durch welche ihnen das Gedächtniß Luthers verunglimpft zu seyn schien, das vielleicht auch mehr hätte geschont werden können: mit hef- tiger Leidenschaft begannen sie den Krieg. Die frühern, schon in Gang gesetzten Streitigkeiten strömten bald mit die- ser zusammen: Melanchthon meinte von Anfang, er sey es hauptsächlich, dem auch dieser Angriff gelte. 1 Mochte denn nun auch Calvin sie auf den wahren Stand der Dinge aufmerksam machen, 2 so blieben sie dabei, ihn mit Zwingli gleich zu achten. Sie ihrerseits forderten jetzt die schrofferen Ausdrücke der ungeänderten augsburgischen Confession zu-
1Scito quosdam praecipue odio mei eam disputationem movere, ut habeant plausibilem causam ad me opprimendum. An Calvin 14 Oct. 1554. Corp. Ref. VIII, 362.
2 Calvin bezeigt in der Defensio ad Westphalum, Opp. VIII, 785, sein Erstaunen darüber. Mihine, qui piae sacraeque concilia- tioni semper dedi operam, haec merces nunc referenda est? Eben dieß Mißverständniß der Gegner gab ihm aber die Überlegenheit, die in jener Streitschrift unverkennbar ist.
Zehntes Buch. Siebentes Capitel.
ſich der Widerſpruch von einer andern Seite her in tumul- tuariſcher Aufwallung.
In einer ähnlichen Stellung wie damals die Zwinglia- ner in Bern, welche die lutheriſchen Meinungen verdrängt hatten, waren die Lutheraner in den niederdeutſchen Städten: ihre Herrſchaft gründete ſich auf eine Unterdrückung zwinglia- niſirender Meinungen, die hier einmal ſehr ſtark geweſen, und jetzt, ſobald nur eine Annäherung dazu in Bremen hervor- tauchte, ſich plötzlich wieder lebhaft regten. Dafür, daß Cal- vin eine vermittelnde Richtung verfolgt, der dieſſeitigen Auf- faſſung in ihrem Weſen bei den alten Gegnern Raum ge- macht, hatten die Niederdeutſchen keine Augen. Sie bemerk- ten nur die Hinneigungen nach der Zwingliſchen Seite, ſie faßten einige anzügliche Ausdrücke auf, durch welche ihnen das Gedächtniß Luthers verunglimpft zu ſeyn ſchien, das vielleicht auch mehr hätte geſchont werden können: mit hef- tiger Leidenſchaft begannen ſie den Krieg. Die frühern, ſchon in Gang geſetzten Streitigkeiten ſtrömten bald mit die- ſer zuſammen: Melanchthon meinte von Anfang, er ſey es hauptſächlich, dem auch dieſer Angriff gelte. 1 Mochte denn nun auch Calvin ſie auf den wahren Stand der Dinge aufmerkſam machen, 2 ſo blieben ſie dabei, ihn mit Zwingli gleich zu achten. Sie ihrerſeits forderten jetzt die ſchrofferen Ausdrücke der ungeänderten augsburgiſchen Confeſſion zu-
1Scito quosdam praecipue odio mei eam disputationem movere, ut habeant plausibilem causam ad me opprimendum. An Calvin 14 Oct. 1554. Corp. Ref. VIII, 362.
2 Calvin bezeigt in der Defensio ad Westphalum, Opp. VIII, 785, ſein Erſtaunen daruͤber. Mihine, qui piae sacraeque concilia- tioni semper dedi operam, haec merces nunc referenda est? Eben dieß Mißverſtaͤndniß der Gegner gab ihm aber die Uͤberlegenheit, die in jener Streitſchrift unverkennbar iſt.
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Zehntes Buch. Siebentes Capitel.
ſich der Widerſpruch von einer andern Seite her in tumul-
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In einer ähnlichen Stellung wie damals die Zwinglia-
ner in Bern, welche die lutheriſchen Meinungen verdrängt
hatten, waren die Lutheraner in den niederdeutſchen Städten:
ihre Herrſchaft gründete ſich auf eine Unterdrückung zwinglia-
niſirender Meinungen, die hier einmal ſehr ſtark geweſen, und
jetzt, ſobald nur eine Annäherung dazu in Bremen hervor-
tauchte, ſich plötzlich wieder lebhaft regten. Dafür, daß Cal-
vin eine vermittelnde Richtung verfolgt, der dieſſeitigen Auf-
faſſung in ihrem Weſen bei den alten Gegnern Raum ge-
macht, hatten die Niederdeutſchen keine Augen. Sie bemerk-
ten nur die Hinneigungen nach der Zwingliſchen Seite, ſie
faßten einige anzügliche Ausdrücke auf, durch welche ihnen
das Gedächtniß Luthers verunglimpft zu ſeyn ſchien, das
vielleicht auch mehr hätte geſchont werden können: mit hef-
tiger Leidenſchaft begannen ſie den Krieg. Die frühern,
ſchon in Gang geſetzten Streitigkeiten ſtrömten bald mit die-
ſer zuſammen: Melanchthon meinte von Anfang, er ſey
es hauptſächlich, dem auch dieſer Angriff gelte. 1 Mochte
denn nun auch Calvin ſie auf den wahren Stand der Dinge
aufmerkſam machen, 2 ſo blieben ſie dabei, ihn mit Zwingli
gleich zu achten. Sie ihrerſeits forderten jetzt die ſchrofferen
Ausdrücke der ungeänderten augsburgiſchen Confeſſion zu-
1 Scito quosdam praecipue odio mei eam disputationem
movere, ut habeant plausibilem causam ad me opprimendum. An
Calvin 14 Oct. 1554. Corp. Ref. VIII, 362.
2 Calvin bezeigt in der Defensio ad Westphalum, Opp. VIII,
785, ſein Erſtaunen daruͤber. Mihine, qui piae sacraeque concilia-
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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843, S. 458. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843/470>, abgerufen am 16.02.2025.
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