Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

Zehntes Buch. Siebentes Capitel.
Theologie zu beweisen sucht. Sein Sinn ist, daß Christi
Leiden und Sterben, auf das man gleichwohl allein zu trauen
habe, durch den Glauben ergriffen, den Leib der Sünde in
uns zerstöre und allmählig den alten Menschen tödte: eben
wie Major die innere Nothwendigkeit der guten Werke be-
hauptete, nicht die äußere.

Man wird nicht leugnen, daß diese Ansichten von ho-
her Wichtigkeit, einer weiteren Ausbildung höchst würdig wa-
ren: wie sie denn auch gleich damals nicht ohne Rückwir-
kung blieben; 1 aber durchdringen konnten sie nicht, schon
darum nicht, weil sie wenigstens das Ansehen hatten als
näherten sie sich dem in Trident ergriffenen System: zu
einer Zeit wo nach kurzem Vermittelungsversuch das Prin-
zip der Absonderung und des Gegensatzes wieder die Ober-
hand gewonnen hatte. Man wollte keine Annäherung mehr,
weil dadurch diesseit nur Schwanken und Entzweiung, jenseit
Bestärkung und neue Umgriffe veranlaßt würden. Melanch-
thon selbst verwarf die Ausdrucksweise Majors, weil es
doch scheinen könne, als werde den Werken Verdienst zuge-
schrieben, 2 und Major mußte sie endlich fallen lassen. Auch
die Osiandristen unterlagen, wiewohl sie mächtige Unterstützung
gefunden hatten. Aber der strenger orthodoxen Partei, die
hier den Sieg behalten, wurde darum doch nicht gestattet
ihr Prinzip zu weit auszudehnen. Übertreibende Behauptun-

1 Osiander selbst behauptet dieß: Widerlegung der ungegrund-
ten undienstlichen Antwort Philippi Melanthonis: "warumb hat er
aber solchs in allen seinen Püchern nie gelehrt, noch bekennet, bis
ichs ihm in diesem 1551 jar mit der h. schrift abgedrungen hab."
2 Vgl. s. Brief an die Nordhauser 13 Jan. 1555. Er gab
nur zu, die Werke seyen nöthig: nicht aber "nöthig zur Seligkeit."

Zehntes Buch. Siebentes Capitel.
Theologie zu beweiſen ſucht. Sein Sinn iſt, daß Chriſti
Leiden und Sterben, auf das man gleichwohl allein zu trauen
habe, durch den Glauben ergriffen, den Leib der Sünde in
uns zerſtöre und allmählig den alten Menſchen tödte: eben
wie Major die innere Nothwendigkeit der guten Werke be-
hauptete, nicht die äußere.

Man wird nicht leugnen, daß dieſe Anſichten von ho-
her Wichtigkeit, einer weiteren Ausbildung höchſt würdig wa-
ren: wie ſie denn auch gleich damals nicht ohne Rückwir-
kung blieben; 1 aber durchdringen konnten ſie nicht, ſchon
darum nicht, weil ſie wenigſtens das Anſehen hatten als
näherten ſie ſich dem in Trident ergriffenen Syſtem: zu
einer Zeit wo nach kurzem Vermittelungsverſuch das Prin-
zip der Abſonderung und des Gegenſatzes wieder die Ober-
hand gewonnen hatte. Man wollte keine Annäherung mehr,
weil dadurch dieſſeit nur Schwanken und Entzweiung, jenſeit
Beſtärkung und neue Umgriffe veranlaßt würden. Melanch-
thon ſelbſt verwarf die Ausdrucksweiſe Majors, weil es
doch ſcheinen könne, als werde den Werken Verdienſt zuge-
ſchrieben, 2 und Major mußte ſie endlich fallen laſſen. Auch
die Oſiandriſten unterlagen, wiewohl ſie mächtige Unterſtützung
gefunden hatten. Aber der ſtrenger orthodoxen Partei, die
hier den Sieg behalten, wurde darum doch nicht geſtattet
ihr Prinzip zu weit auszudehnen. Übertreibende Behauptun-

1 Oſiander ſelbſt behauptet dieß: Widerlegung der ungegrund-
ten undienſtlichen Antwort Philippi Melanthonis: „warumb hat er
aber ſolchs in allen ſeinen Puͤchern nie gelehrt, noch bekennet, bis
ichs ihm in dieſem 1551 jar mit der h. ſchrift abgedrungen hab.“
2 Vgl. ſ. Brief an die Nordhauſer 13 Jan. 1555. Er gab
nur zu, die Werke ſeyen noͤthig: nicht aber „noͤthig zur Seligkeit.“
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0462" n="450"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zehntes Buch. Siebentes Capitel</hi>.</fw><lb/>
Theologie zu bewei&#x017F;en &#x017F;ucht. Sein Sinn i&#x017F;t, daß Chri&#x017F;ti<lb/>
Leiden und Sterben, auf das man gleichwohl allein zu trauen<lb/>
habe, durch den Glauben ergriffen, den Leib der Sünde in<lb/>
uns zer&#x017F;töre und allmählig den alten Men&#x017F;chen tödte: eben<lb/>
wie Major die innere Nothwendigkeit der guten Werke be-<lb/>
hauptete, nicht die äußere.</p><lb/>
            <p>Man wird nicht leugnen, daß die&#x017F;e An&#x017F;ichten von ho-<lb/>
her Wichtigkeit, einer weiteren Ausbildung höch&#x017F;t würdig wa-<lb/>
ren: wie &#x017F;ie denn auch gleich damals nicht ohne Rückwir-<lb/>
kung blieben; <note place="foot" n="1">O&#x017F;iander &#x017F;elb&#x017F;t behauptet dieß: Widerlegung der ungegrund-<lb/>
ten undien&#x017F;tlichen Antwort Philippi Melanthonis: &#x201E;warumb hat er<lb/>
aber &#x017F;olchs in allen &#x017F;einen Pu&#x0364;chern nie gelehrt, noch bekennet, bis<lb/>
ichs ihm in die&#x017F;em 1551 jar mit der h. &#x017F;chrift abgedrungen hab.&#x201C;</note> aber durchdringen konnten &#x017F;ie nicht, &#x017F;chon<lb/>
darum nicht, weil &#x017F;ie wenig&#x017F;tens das An&#x017F;ehen hatten als<lb/>
näherten &#x017F;ie &#x017F;ich dem in Trident ergriffenen Sy&#x017F;tem: zu<lb/>
einer Zeit wo nach kurzem Vermittelungsver&#x017F;uch das Prin-<lb/>
zip der Ab&#x017F;onderung und des Gegen&#x017F;atzes wieder die Ober-<lb/>
hand gewonnen hatte. Man wollte keine Annäherung mehr,<lb/>
weil dadurch die&#x017F;&#x017F;eit nur Schwanken und Entzweiung, jen&#x017F;eit<lb/>
Be&#x017F;tärkung und neue Umgriffe veranlaßt würden. Melanch-<lb/>
thon &#x017F;elb&#x017F;t verwarf die Ausdruckswei&#x017F;e Majors, weil es<lb/>
doch &#x017F;cheinen könne, als werde den Werken Verdien&#x017F;t zuge-<lb/>
&#x017F;chrieben, <note place="foot" n="2">Vgl. &#x017F;. Brief an die Nordhau&#x017F;er 13 Jan. 1555. Er gab<lb/>
nur zu, die Werke &#x017F;eyen no&#x0364;thig: nicht aber &#x201E;no&#x0364;thig zur Seligkeit.&#x201C;</note> und Major mußte &#x017F;ie endlich fallen la&#x017F;&#x017F;en. Auch<lb/>
die O&#x017F;iandri&#x017F;ten unterlagen, wiewohl &#x017F;ie mächtige Unter&#x017F;tützung<lb/>
gefunden hatten. Aber der &#x017F;trenger orthodoxen Partei, die<lb/>
hier den Sieg behalten, wurde darum doch nicht ge&#x017F;tattet<lb/>
ihr Prinzip zu weit auszudehnen. Übertreibende Behauptun-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[450/0462] Zehntes Buch. Siebentes Capitel. Theologie zu beweiſen ſucht. Sein Sinn iſt, daß Chriſti Leiden und Sterben, auf das man gleichwohl allein zu trauen habe, durch den Glauben ergriffen, den Leib der Sünde in uns zerſtöre und allmählig den alten Menſchen tödte: eben wie Major die innere Nothwendigkeit der guten Werke be- hauptete, nicht die äußere. Man wird nicht leugnen, daß dieſe Anſichten von ho- her Wichtigkeit, einer weiteren Ausbildung höchſt würdig wa- ren: wie ſie denn auch gleich damals nicht ohne Rückwir- kung blieben; 1 aber durchdringen konnten ſie nicht, ſchon darum nicht, weil ſie wenigſtens das Anſehen hatten als näherten ſie ſich dem in Trident ergriffenen Syſtem: zu einer Zeit wo nach kurzem Vermittelungsverſuch das Prin- zip der Abſonderung und des Gegenſatzes wieder die Ober- hand gewonnen hatte. Man wollte keine Annäherung mehr, weil dadurch dieſſeit nur Schwanken und Entzweiung, jenſeit Beſtärkung und neue Umgriffe veranlaßt würden. Melanch- thon ſelbſt verwarf die Ausdrucksweiſe Majors, weil es doch ſcheinen könne, als werde den Werken Verdienſt zuge- ſchrieben, 2 und Major mußte ſie endlich fallen laſſen. Auch die Oſiandriſten unterlagen, wiewohl ſie mächtige Unterſtützung gefunden hatten. Aber der ſtrenger orthodoxen Partei, die hier den Sieg behalten, wurde darum doch nicht geſtattet ihr Prinzip zu weit auszudehnen. Übertreibende Behauptun- 1 Oſiander ſelbſt behauptet dieß: Widerlegung der ungegrund- ten undienſtlichen Antwort Philippi Melanthonis: „warumb hat er aber ſolchs in allen ſeinen Puͤchern nie gelehrt, noch bekennet, bis ichs ihm in dieſem 1551 jar mit der h. ſchrift abgedrungen hab.“ 2 Vgl. ſ. Brief an die Nordhauſer 13 Jan. 1555. Er gab nur zu, die Werke ſeyen noͤthig: nicht aber „noͤthig zur Seligkeit.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843/462
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843, S. 450. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843/462>, abgerufen am 22.11.2024.