Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843.Theologische Streitigkeiten. (Osiander.) Meinung eben dahin: nur daß er sie tiefer ergriff, und nichtohne Anklang an die deutsche Mystik und die taulerischen Lehren, von denen auch Luther einst ausgegangen, entschie- dener ausbildete. Das Eigenthümliche seiner Meinung ist, daß er, an dem Mittleramt Christi und der Lehre von der Genugthuung durch dessen Leiden und Sterben festhaltend, doch den Artikel von der Erneuung und Heiligung, die er mit dem Worte Rechtfertigung bezeichnete, stärker hervor- hob als es gewöhnlich geschah, und zu größerer Bedeu- tung auszubilden suchte. Er war mit dem Begriffe von der Einwirkung des heiligen Geistes nicht zufrieden, indem diese nichts als ein creatürliches Leben wirke und nur uneigent- lich als ein Einwohnen Gottes bezeichnet werden könne: er lehrte vielmehr, daß die Gottheit in ihrer Fülle in De- nen wohne welche lebendige Glieder Christi seyen, wie in Christo selbst. Die Rechtfertigung bezeichnet er als die in uns wirkende wesentliche Gerechtigkeit Gottes, die ein ge- rechtes Wollen und gerechte Werke hervorbringt: das gött- liche Licht, das dem Menschen zu Theil wird, als das- selbe das den Tod überwindet, das Leben und Wort Got- tes, Christus, Gott selbst. Im Wesentlichen das Nemliche was Tauler lehrt, daß Gott sein Wort im Grunde der See- len spricht, das Wort, in welchem alle Dinge geschaffen sind. Nur daß Osiander seine Sätze dem Sprachgebrauch der Zeit annähert und mit aller Gelehrsamkeit schriftmäßiger Staphylus über eine Bevorzugung Osianders in der Professur den Anlaß zum Streit gegeben habe. Arnold hat längst gezeigt, daß Staphylus bereits resignirt hatte, ehe Osiander ernannt ward. Kir- chengesch. p. 413. Ranke D. Gesch. V. 29
Theologiſche Streitigkeiten. (Oſiander.) Meinung eben dahin: nur daß er ſie tiefer ergriff, und nichtohne Anklang an die deutſche Myſtik und die tauleriſchen Lehren, von denen auch Luther einſt ausgegangen, entſchie- dener ausbildete. Das Eigenthümliche ſeiner Meinung iſt, daß er, an dem Mittleramt Chriſti und der Lehre von der Genugthuung durch deſſen Leiden und Sterben feſthaltend, doch den Artikel von der Erneuung und Heiligung, die er mit dem Worte Rechtfertigung bezeichnete, ſtärker hervor- hob als es gewöhnlich geſchah, und zu größerer Bedeu- tung auszubilden ſuchte. Er war mit dem Begriffe von der Einwirkung des heiligen Geiſtes nicht zufrieden, indem dieſe nichts als ein creatürliches Leben wirke und nur uneigent- lich als ein Einwohnen Gottes bezeichnet werden könne: er lehrte vielmehr, daß die Gottheit in ihrer Fülle in De- nen wohne welche lebendige Glieder Chriſti ſeyen, wie in Chriſto ſelbſt. Die Rechtfertigung bezeichnet er als die in uns wirkende weſentliche Gerechtigkeit Gottes, die ein ge- rechtes Wollen und gerechte Werke hervorbringt: das gött- liche Licht, das dem Menſchen zu Theil wird, als daſ- ſelbe das den Tod überwindet, das Leben und Wort Got- tes, Chriſtus, Gott ſelbſt. Im Weſentlichen das Nemliche was Tauler lehrt, daß Gott ſein Wort im Grunde der See- len ſpricht, das Wort, in welchem alle Dinge geſchaffen ſind. Nur daß Oſiander ſeine Sätze dem Sprachgebrauch der Zeit annähert und mit aller Gelehrſamkeit ſchriftmäßiger Staphylus uͤber eine Bevorzugung Oſianders in der Profeſſur den Anlaß zum Streit gegeben habe. Arnold hat laͤngſt gezeigt, daß Staphylus bereits reſignirt hatte, ehe Oſiander ernannt ward. Kir- chengeſch. p. 413. Ranke D. Geſch. V. 29
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0461" n="449"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Theologiſche Streitigkeiten. (Oſiander.)</hi></fw><lb/> Meinung eben dahin: nur daß er ſie tiefer ergriff, und nicht<lb/> ohne Anklang an die deutſche Myſtik und die tauleriſchen<lb/> Lehren, von denen auch Luther einſt ausgegangen, entſchie-<lb/> dener ausbildete. Das Eigenthümliche ſeiner Meinung iſt,<lb/> daß er, an dem Mittleramt Chriſti und der Lehre von der<lb/> Genugthuung durch deſſen Leiden und Sterben feſthaltend,<lb/> doch den Artikel von der Erneuung und Heiligung, die er<lb/> mit dem Worte Rechtfertigung bezeichnete, ſtärker hervor-<lb/> hob als es gewöhnlich geſchah, und zu größerer Bedeu-<lb/> tung auszubilden ſuchte. Er war mit dem Begriffe von der<lb/> Einwirkung des heiligen Geiſtes nicht zufrieden, indem dieſe<lb/> nichts als ein creatürliches Leben wirke und nur uneigent-<lb/> lich als ein Einwohnen Gottes bezeichnet werden könne:<lb/> er lehrte vielmehr, daß die Gottheit in ihrer Fülle in De-<lb/> nen wohne welche lebendige Glieder Chriſti ſeyen, wie in<lb/> Chriſto ſelbſt. Die Rechtfertigung bezeichnet er als die in<lb/> uns wirkende weſentliche Gerechtigkeit Gottes, die ein ge-<lb/> rechtes Wollen und gerechte Werke hervorbringt: das gött-<lb/> liche Licht, das dem Menſchen zu Theil wird, als daſ-<lb/> ſelbe das den Tod überwindet, das Leben und Wort Got-<lb/> tes, Chriſtus, Gott ſelbſt. Im Weſentlichen das Nemliche<lb/> was Tauler lehrt, daß Gott ſein Wort im Grunde der See-<lb/> len ſpricht, das Wort, in welchem alle Dinge geſchaffen<lb/> ſind. Nur daß Oſiander ſeine Sätze dem Sprachgebrauch<lb/> der Zeit annähert und mit aller Gelehrſamkeit ſchriftmäßiger<lb/><note xml:id="seg2pn_30_2" prev="#seg2pn_30_1" place="foot" n="1">Staphylus uͤber eine Bevorzugung Oſianders in der Profeſſur den<lb/> Anlaß zum Streit gegeben habe. Arnold hat laͤngſt gezeigt, daß<lb/> Staphylus bereits reſignirt hatte, ehe Oſiander ernannt ward. Kir-<lb/> chengeſch. <hi rendition="#aq">p.</hi> 413.</note><lb/> <fw place="bottom" type="sig">Ranke D. Geſch. <hi rendition="#aq">V.</hi> 29</fw><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [449/0461]
Theologiſche Streitigkeiten. (Oſiander.)
Meinung eben dahin: nur daß er ſie tiefer ergriff, und nicht
ohne Anklang an die deutſche Myſtik und die tauleriſchen
Lehren, von denen auch Luther einſt ausgegangen, entſchie-
dener ausbildete. Das Eigenthümliche ſeiner Meinung iſt,
daß er, an dem Mittleramt Chriſti und der Lehre von der
Genugthuung durch deſſen Leiden und Sterben feſthaltend,
doch den Artikel von der Erneuung und Heiligung, die er
mit dem Worte Rechtfertigung bezeichnete, ſtärker hervor-
hob als es gewöhnlich geſchah, und zu größerer Bedeu-
tung auszubilden ſuchte. Er war mit dem Begriffe von der
Einwirkung des heiligen Geiſtes nicht zufrieden, indem dieſe
nichts als ein creatürliches Leben wirke und nur uneigent-
lich als ein Einwohnen Gottes bezeichnet werden könne:
er lehrte vielmehr, daß die Gottheit in ihrer Fülle in De-
nen wohne welche lebendige Glieder Chriſti ſeyen, wie in
Chriſto ſelbſt. Die Rechtfertigung bezeichnet er als die in
uns wirkende weſentliche Gerechtigkeit Gottes, die ein ge-
rechtes Wollen und gerechte Werke hervorbringt: das gött-
liche Licht, das dem Menſchen zu Theil wird, als daſ-
ſelbe das den Tod überwindet, das Leben und Wort Got-
tes, Chriſtus, Gott ſelbſt. Im Weſentlichen das Nemliche
was Tauler lehrt, daß Gott ſein Wort im Grunde der See-
len ſpricht, das Wort, in welchem alle Dinge geſchaffen
ſind. Nur daß Oſiander ſeine Sätze dem Sprachgebrauch
der Zeit annähert und mit aller Gelehrſamkeit ſchriftmäßiger
1
1 Staphylus uͤber eine Bevorzugung Oſianders in der Profeſſur den
Anlaß zum Streit gegeben habe. Arnold hat laͤngſt gezeigt, daß
Staphylus bereits reſignirt hatte, ehe Oſiander ernannt ward. Kir-
chengeſch. p. 413.
Ranke D. Geſch. V. 29
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |