Dem Kaiser hatten seine Ärzte längst gerathen, sich nach einem wärmeren Himmelsstrich, in reinere Luft zurückzuziehen. Den jungen König würde dagegen eine Entfernung vom Mit- telpunct der Geschäfte, an denen er kaum Antheil zu nehmen begonnen hatte, um allen Einfluß darauf und auch um sein Ansehen in Europa gebracht haben: die Gegner des Hau- ses wünschten nichts Besseres. Wenn sich aber der Kaiser entfernte und Philipp in den Niederlanden blieb, wie er denn daselbst im September 1555 erschien, so war nichts na- türlicher als daß die Regierung auch dieser Lande wie der italienischen an ihn übergieng. Die bisherige Verwaltung hätte ohnehin neben seinen Ministern keinen Augenblick be- stehn können.
Noch im Laufe des September wurden die Ritter des goldnen Vließes und die Stände der niederländischen Pro- vinzen eingeladen, auf den bestimmten Tag des folgenden Monats in Brüssel zu erscheinen, um den König Philipp als ihren Herrn und Fürsten zu empfangen. 1
Am 21sten October 1555 begann der feierliche Act der Abdication in der Versammlung der Ritter des goldenen Vließes. Der Kaiser zeigte sich weder kirchlich noch poli- tisch sehr friedfertig gestimmt. Er eröffnete dem Capitel, daß er dem König Heinrich II von Frankreich den Michaelsorden zurückzuschicken gedenke, nicht allein wegen der andauernden Feindseligkeit die ihm derselbe beweise, sondern auch weil er Ketzer und Verräther in denselben aufgenommen. Die Frage ward erhoben, ob Churfürst Friedrich von der Pfalz, der
1Le Prince a la Princesse d'Orange 28 Spt. Bei Grön v. Prinsterer Archives de la maison d'Orange Nassau I, p. 17.
Abdankung des Kaiſers. (Niederlande.)
Dem Kaiſer hatten ſeine Ärzte längſt gerathen, ſich nach einem wärmeren Himmelsſtrich, in reinere Luft zurückzuziehen. Den jungen König würde dagegen eine Entfernung vom Mit- telpunct der Geſchäfte, an denen er kaum Antheil zu nehmen begonnen hatte, um allen Einfluß darauf und auch um ſein Anſehen in Europa gebracht haben: die Gegner des Hau- ſes wünſchten nichts Beſſeres. Wenn ſich aber der Kaiſer entfernte und Philipp in den Niederlanden blieb, wie er denn daſelbſt im September 1555 erſchien, ſo war nichts na- türlicher als daß die Regierung auch dieſer Lande wie der italieniſchen an ihn übergieng. Die bisherige Verwaltung hätte ohnehin neben ſeinen Miniſtern keinen Augenblick be- ſtehn können.
Noch im Laufe des September wurden die Ritter des goldnen Vließes und die Stände der niederländiſchen Pro- vinzen eingeladen, auf den beſtimmten Tag des folgenden Monats in Brüſſel zu erſcheinen, um den König Philipp als ihren Herrn und Fürſten zu empfangen. 1
Am 21ſten October 1555 begann der feierliche Act der Abdication in der Verſammlung der Ritter des goldenen Vließes. Der Kaiſer zeigte ſich weder kirchlich noch poli- tiſch ſehr friedfertig geſtimmt. Er eröffnete dem Capitel, daß er dem König Heinrich II von Frankreich den Michaelsorden zurückzuſchicken gedenke, nicht allein wegen der andauernden Feindſeligkeit die ihm derſelbe beweiſe, ſondern auch weil er Ketzer und Verräther in denſelben aufgenommen. Die Frage ward erhoben, ob Churfürſt Friedrich von der Pfalz, der
1Le Prince à la Princesse d’Orange 28 Spt. Bei Groͤn v. Prinſterer Archives de la maison d’Orange Nassau I, p. 17.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0417"n="405"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Abdankung des Kaiſers. (Niederlande.)</hi></fw><lb/><p>Dem Kaiſer hatten ſeine Ärzte längſt gerathen, ſich nach<lb/>
einem wärmeren Himmelsſtrich, in reinere Luft zurückzuziehen.<lb/>
Den jungen König würde dagegen eine Entfernung vom Mit-<lb/>
telpunct der Geſchäfte, an denen er kaum Antheil zu nehmen<lb/>
begonnen hatte, um allen Einfluß darauf und auch um ſein<lb/>
Anſehen in Europa gebracht haben: die Gegner des Hau-<lb/>ſes wünſchten nichts Beſſeres. Wenn ſich aber der Kaiſer<lb/>
entfernte und Philipp in den Niederlanden blieb, wie er denn<lb/>
daſelbſt im September 1555 erſchien, ſo war nichts na-<lb/>
türlicher als daß die Regierung auch dieſer Lande wie der<lb/>
italieniſchen an ihn übergieng. Die bisherige Verwaltung<lb/>
hätte ohnehin neben ſeinen Miniſtern keinen Augenblick be-<lb/>ſtehn können.</p><lb/><p>Noch im Laufe des September wurden die Ritter des<lb/>
goldnen Vließes und die Stände der niederländiſchen Pro-<lb/>
vinzen eingeladen, auf den beſtimmten Tag des folgenden<lb/>
Monats in Brüſſel zu erſcheinen, um den König Philipp als<lb/>
ihren Herrn und Fürſten zu empfangen. <noteplace="foot"n="1"><hirendition="#aq">Le Prince à la Princesse d’Orange</hi> 28 Spt. Bei Groͤn<lb/>
v. Prinſterer <hirendition="#aq">Archives de la maison d’Orange Nassau I, p.</hi> 17.</note></p><lb/><p>Am 21ſten October 1555 begann der feierliche Act der<lb/>
Abdication in der Verſammlung der Ritter des goldenen<lb/>
Vließes. Der Kaiſer zeigte ſich weder kirchlich noch poli-<lb/>
tiſch ſehr friedfertig geſtimmt. Er eröffnete dem Capitel, daß<lb/>
er dem König Heinrich <hirendition="#aq">II</hi> von Frankreich den Michaelsorden<lb/>
zurückzuſchicken gedenke, nicht allein wegen der andauernden<lb/>
Feindſeligkeit die ihm derſelbe beweiſe, ſondern auch weil er<lb/>
Ketzer und Verräther in denſelben aufgenommen. Die Frage<lb/>
ward erhoben, ob Churfürſt Friedrich von der Pfalz, der<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[405/0417]
Abdankung des Kaiſers. (Niederlande.)
Dem Kaiſer hatten ſeine Ärzte längſt gerathen, ſich nach
einem wärmeren Himmelsſtrich, in reinere Luft zurückzuziehen.
Den jungen König würde dagegen eine Entfernung vom Mit-
telpunct der Geſchäfte, an denen er kaum Antheil zu nehmen
begonnen hatte, um allen Einfluß darauf und auch um ſein
Anſehen in Europa gebracht haben: die Gegner des Hau-
ſes wünſchten nichts Beſſeres. Wenn ſich aber der Kaiſer
entfernte und Philipp in den Niederlanden blieb, wie er denn
daſelbſt im September 1555 erſchien, ſo war nichts na-
türlicher als daß die Regierung auch dieſer Lande wie der
italieniſchen an ihn übergieng. Die bisherige Verwaltung
hätte ohnehin neben ſeinen Miniſtern keinen Augenblick be-
ſtehn können.
Noch im Laufe des September wurden die Ritter des
goldnen Vließes und die Stände der niederländiſchen Pro-
vinzen eingeladen, auf den beſtimmten Tag des folgenden
Monats in Brüſſel zu erſcheinen, um den König Philipp als
ihren Herrn und Fürſten zu empfangen. 1
Am 21ſten October 1555 begann der feierliche Act der
Abdication in der Verſammlung der Ritter des goldenen
Vließes. Der Kaiſer zeigte ſich weder kirchlich noch poli-
tiſch ſehr friedfertig geſtimmt. Er eröffnete dem Capitel, daß
er dem König Heinrich II von Frankreich den Michaelsorden
zurückzuſchicken gedenke, nicht allein wegen der andauernden
Feindſeligkeit die ihm derſelbe beweiſe, ſondern auch weil er
Ketzer und Verräther in denſelben aufgenommen. Die Frage
ward erhoben, ob Churfürſt Friedrich von der Pfalz, der
1 Le Prince à la Princesse d’Orange 28 Spt. Bei Groͤn
v. Prinſterer Archives de la maison d’Orange Nassau I, p. 17.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843, S. 405. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843/417>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.