Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843.Zehntes Buch. Erstes Capitel. zu bewillkommen: die Bürger mit ihren Rüstungen oder inihren besten Kleidern bildeten ein Spalier; auf den Märk- ten warteten die Geistlichen mit der männlichen Jugend auf der einen Seite, auf der andern die eisgrauesten Bürger mit den jungen Mädchen, die in fliegenden Haaren mit dem Rautenkranz erschienen; die Knaben stimmten das Tedeum lateinisch an, die jungen Mädchen antworteten mit dem deut- schen: Herr Gott dich loben wir; der Fürst, der ihrem Ge- bet seine Rückkehr zuschrieb, zog mit entblößtem Haupte, dan- kend und gnädig, sie alle vorüber; -- neben ihm sein Sohn und Meister Lucas Cranach, der aus herzlicher Liebe, die ihm auch erwiedert ward, die Entbehrungen der Gefangen- schaft freiwillig mit ihm getheilt --; wenn er dann abge- stiegen, brachte ihm wohl ein in die Hoffarbe gekleideter Knabe aufgesparte Goldstücke der Bürgerschaft in einem künstlichen Pokale dar. Johann Friedrich erschien wie ein Märtyrer und Heiliger. Als er in Weimar einzog, meinte man ein langes weißes Kreuz über ihm zu sehen. 1 Melanchthon -- denn auch aus dem verlornen Lande, von Wittenberg her versäumte man nicht ihn zu begrüßen -- verglich ihn mit Daniel unter den Löwen, oder jenen drei gläubigen Israeliten im feurigen Ofen; Gott, der ihm diese Seelenstärke verliehen, und ihn nunmehr freigemacht, habe dadurch gezeigt, daß er wahrhaftig Gott sey, der in diesem sterblichen Leben sich eine ewige Kirche sammle, ihr Bitten und Seufzen erhöre. 2 1 Johann Förster: Custodia et liberatio des durchlauchti- gen etc. Hortleder III, n, 88, nr. 55. Müller sächsische Annales a. h. a. Schultes Coburg-Saalfeldische Geschichte I, 41. 2 Schreiben vom 14 Sept. Vgl. Dedication des vierten Theils
der lutherischen Schriften vom 29 Sept. (Corp. Ref. VII, 1072, 78.) Zehntes Buch. Erſtes Capitel. zu bewillkommen: die Bürger mit ihren Rüſtungen oder inihren beſten Kleidern bildeten ein Spalier; auf den Märk- ten warteten die Geiſtlichen mit der männlichen Jugend auf der einen Seite, auf der andern die eisgraueſten Bürger mit den jungen Mädchen, die in fliegenden Haaren mit dem Rautenkranz erſchienen; die Knaben ſtimmten das Tedeum lateiniſch an, die jungen Mädchen antworteten mit dem deut- ſchen: Herr Gott dich loben wir; der Fürſt, der ihrem Ge- bet ſeine Rückkehr zuſchrieb, zog mit entblößtem Haupte, dan- kend und gnädig, ſie alle vorüber; — neben ihm ſein Sohn und Meiſter Lucas Cranach, der aus herzlicher Liebe, die ihm auch erwiedert ward, die Entbehrungen der Gefangen- ſchaft freiwillig mit ihm getheilt —; wenn er dann abge- ſtiegen, brachte ihm wohl ein in die Hoffarbe gekleideter Knabe aufgeſparte Goldſtücke der Bürgerſchaft in einem künſtlichen Pokale dar. Johann Friedrich erſchien wie ein Märtyrer und Heiliger. Als er in Weimar einzog, meinte man ein langes weißes Kreuz über ihm zu ſehen. 1 Melanchthon — denn auch aus dem verlornen Lande, von Wittenberg her verſäumte man nicht ihn zu begrüßen — verglich ihn mit Daniel unter den Löwen, oder jenen drei gläubigen Iſraeliten im feurigen Ofen; Gott, der ihm dieſe Seelenſtärke verliehen, und ihn nunmehr freigemacht, habe dadurch gezeigt, daß er wahrhaftig Gott ſey, der in dieſem ſterblichen Leben ſich eine ewige Kirche ſammle, ihr Bitten und Seufzen erhöre. 2 1 Johann Foͤrſter: Custodia et liberatio des durchlauchti- gen ꝛc. Hortleder III, n, 88, nr. 55. Muͤller ſaͤchſiſche Annales a. h. a. Schultes Coburg-Saalfeldiſche Geſchichte I, 41. 2 Schreiben vom 14 Sept. Vgl. Dedication des vierten Theils
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Zehntes Buch. Erſtes Capitel.
zu bewillkommen: die Bürger mit ihren Rüſtungen oder in
ihren beſten Kleidern bildeten ein Spalier; auf den Märk-
ten warteten die Geiſtlichen mit der männlichen Jugend auf
der einen Seite, auf der andern die eisgraueſten Bürger mit
den jungen Mädchen, die in fliegenden Haaren mit dem
Rautenkranz erſchienen; die Knaben ſtimmten das Tedeum
lateiniſch an, die jungen Mädchen antworteten mit dem deut-
ſchen: Herr Gott dich loben wir; der Fürſt, der ihrem Ge-
bet ſeine Rückkehr zuſchrieb, zog mit entblößtem Haupte, dan-
kend und gnädig, ſie alle vorüber; — neben ihm ſein Sohn
und Meiſter Lucas Cranach, der aus herzlicher Liebe, die
ihm auch erwiedert ward, die Entbehrungen der Gefangen-
ſchaft freiwillig mit ihm getheilt —; wenn er dann abge-
ſtiegen, brachte ihm wohl ein in die Hoffarbe gekleideter Knabe
aufgeſparte Goldſtücke der Bürgerſchaft in einem künſtlichen
Pokale dar. Johann Friedrich erſchien wie ein Märtyrer
und Heiliger. Als er in Weimar einzog, meinte man ein
langes weißes Kreuz über ihm zu ſehen. 1 Melanchthon —
denn auch aus dem verlornen Lande, von Wittenberg her
verſäumte man nicht ihn zu begrüßen — verglich ihn mit
Daniel unter den Löwen, oder jenen drei gläubigen Iſraeliten
im feurigen Ofen; Gott, der ihm dieſe Seelenſtärke verliehen,
und ihn nunmehr freigemacht, habe dadurch gezeigt, daß er
wahrhaftig Gott ſey, der in dieſem ſterblichen Leben ſich eine
ewige Kirche ſammle, ihr Bitten und Seufzen erhöre. 2
1 Johann Foͤrſter: Custodia et liberatio des durchlauchti-
gen ꝛc. Hortleder III, n, 88, nr. 55. Muͤller ſaͤchſiſche Annales a.
h. a. Schultes Coburg-Saalfeldiſche Geſchichte I, 41.
2 Schreiben vom 14 Sept. Vgl. Dedication des vierten Theils
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