Durch seine Haltung in der Gefangenschaft hatte Jo- hann Friedrich erst recht gezeigt, wie Ernst es ihm auch in glücklicheren Zeiten damit gewesen war, seinem Kaiser Ge- horsam zu beweisen. Es ist immer derselbe Gedanke, -- bei aller einem Reichsfürsten geziemenden Hingebung, doch in Beziehung auf göttliche Dinge, wo man einer andern Welt angehört, die volle Unabhängigkeit des Gewissens zu bewahren. Früher, bei den Conflicten, in welche die strei- tigen Rechtsverhältnisse brachten, konnte diese Gesinnung nicht immer hell und zweifellos erscheinen: in der Gefan- genschaft, wo sich die Gegensätze reiner und einfacher ge- stalteten, leuchtete sie dann in vollem Glanze hervor. Und recht naturgemäß entsprang sie in ihrer doppelten Richtung aus der deutschen Geschichte. Auf das tiefste hatte die Idee des Reichs und seiner Ordnung die Gemüther durchdrun- gen; eben so lebendig waren sie jetzt von dem göttlichen Ursprung der heiligen Schrift und der unbedingten Gültig- keit einer freieren Auffassung derselben ergriffen; beides zu vereinigen hätte Große und Geringe befriedigt. Aber Carl V verstand das entweder nicht, oder wollte doch nichts davon hören; er wollte sich Gehorsam in göttlichen und menschlichen Dingen erzwingen. Damit erzog er sich eben Die, die ihm endlich den einen wie den andern versagten, und die Waf- fen der Politik und des Krieges, die sie von ihm führen ge- lernt, nun gegen ihn selber wandten. Johann Friedrich da- gegen beobachtete auch in seiner Gefangenschaft vollkommene Treue. Er wollte nicht einmal zugeben, daß jene Fürbitte der Reichsfürsten für den Landgrafen auch auf ihn erstreckt würde; es machte ihm Sorgen, daß die Stände seines Landes und
Zehntes Buch. Erſtes Capitel.
Durch ſeine Haltung in der Gefangenſchaft hatte Jo- hann Friedrich erſt recht gezeigt, wie Ernſt es ihm auch in glücklicheren Zeiten damit geweſen war, ſeinem Kaiſer Ge- horſam zu beweiſen. Es iſt immer derſelbe Gedanke, — bei aller einem Reichsfürſten geziemenden Hingebung, doch in Beziehung auf göttliche Dinge, wo man einer andern Welt angehört, die volle Unabhängigkeit des Gewiſſens zu bewahren. Früher, bei den Conflicten, in welche die ſtrei- tigen Rechtsverhältniſſe brachten, konnte dieſe Geſinnung nicht immer hell und zweifellos erſcheinen: in der Gefan- genſchaft, wo ſich die Gegenſätze reiner und einfacher ge- ſtalteten, leuchtete ſie dann in vollem Glanze hervor. Und recht naturgemäß entſprang ſie in ihrer doppelten Richtung aus der deutſchen Geſchichte. Auf das tiefſte hatte die Idee des Reichs und ſeiner Ordnung die Gemüther durchdrun- gen; eben ſo lebendig waren ſie jetzt von dem göttlichen Urſprung der heiligen Schrift und der unbedingten Gültig- keit einer freieren Auffaſſung derſelben ergriffen; beides zu vereinigen hätte Große und Geringe befriedigt. Aber Carl V verſtand das entweder nicht, oder wollte doch nichts davon hören; er wollte ſich Gehorſam in göttlichen und menſchlichen Dingen erzwingen. Damit erzog er ſich eben Die, die ihm endlich den einen wie den andern verſagten, und die Waf- fen der Politik und des Krieges, die ſie von ihm führen ge- lernt, nun gegen ihn ſelber wandten. Johann Friedrich da- gegen beobachtete auch in ſeiner Gefangenſchaft vollkommene Treue. Er wollte nicht einmal zugeben, daß jene Fürbitte der Reichsfürſten für den Landgrafen auch auf ihn erſtreckt würde; es machte ihm Sorgen, daß die Stände ſeines Landes und
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Zehntes Buch. Erſtes Capitel.
Durch ſeine Haltung in der Gefangenſchaft hatte Jo-
hann Friedrich erſt recht gezeigt, wie Ernſt es ihm auch
in glücklicheren Zeiten damit geweſen war, ſeinem Kaiſer Ge-
horſam zu beweiſen. Es iſt immer derſelbe Gedanke, —
bei aller einem Reichsfürſten geziemenden Hingebung, doch
in Beziehung auf göttliche Dinge, wo man einer andern
Welt angehört, die volle Unabhängigkeit des Gewiſſens zu
bewahren. Früher, bei den Conflicten, in welche die ſtrei-
tigen Rechtsverhältniſſe brachten, konnte dieſe Geſinnung
nicht immer hell und zweifellos erſcheinen: in der Gefan-
genſchaft, wo ſich die Gegenſätze reiner und einfacher ge-
ſtalteten, leuchtete ſie dann in vollem Glanze hervor. Und
recht naturgemäß entſprang ſie in ihrer doppelten Richtung
aus der deutſchen Geſchichte. Auf das tiefſte hatte die Idee
des Reichs und ſeiner Ordnung die Gemüther durchdrun-
gen; eben ſo lebendig waren ſie jetzt von dem göttlichen
Urſprung der heiligen Schrift und der unbedingten Gültig-
keit einer freieren Auffaſſung derſelben ergriffen; beides zu
vereinigen hätte Große und Geringe befriedigt. Aber Carl V
verſtand das entweder nicht, oder wollte doch nichts davon
hören; er wollte ſich Gehorſam in göttlichen und menſchlichen
Dingen erzwingen. Damit erzog er ſich eben Die, die ihm
endlich den einen wie den andern verſagten, und die Waf-
fen der Politik und des Krieges, die ſie von ihm führen ge-
lernt, nun gegen ihn ſelber wandten. Johann Friedrich da-
gegen beobachtete auch in ſeiner Gefangenſchaft vollkommene
Treue. Er wollte nicht einmal zugeben, daß jene Fürbitte der
Reichsfürſten für den Landgrafen auch auf ihn erſtreckt würde;
es machte ihm Sorgen, daß die Stände ſeines Landes und
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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843/292>, abgerufen am 27.11.2024.
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