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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843.

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Widerstand des Kaisers.
Stände augsburgischer Confession an die kriegführenden an-
schließen möchten. Man machte den Kaiser aufmerksam, daß
weder der Papst, noch der König von Frankreich, noch irgend
ein andrer Fürst von Europa an die Pflicht denke, die Ketze-
reien auszurotten, daß die ganze Last einer solchen Unterneh-
mung auf ihn allein fallen würde. Auch liege wohl so viel
an Tag, daß man wider die neuen Meinungen mit dem
Schwerte nichts ausrichten könne: die Deutschen würden
ihre Hand nicht dazu bieten, durch fremde Nationen lasse
es sich nicht thun.

Im Angesicht der Kämpfe welche die Welt erfüllen, der
Kräfte die dazu von beiden Seiten in Anwendung gesetzt
werden und der Erfolge die sich ergeben, bilden sich Über-
zeugungen, die plötzlich hervortreten und Jedermann ergrei-
fen, weil sie aus dem Geschehenen mit Nothwendigkeit ent-
springen; man kann sagen: sie enthalten Gesetze für eine,
wenn auch erst ferne Zukunft in sich. So fühlte man jetzt
die Unmöglichkeit, das alte System der dogmatischen und
kirchlichen Einheit in der abendländischen Christenheit aufrecht
zu erhalten, die Gemüther mit dem Schwert zu regieren.

Und davon hängt die Wirksamkeit eines hochgestellten
Menschen mit am meisten ab, in welches Verhältniß er zu
Überzeugungen dieser Art tritt, ob er sie annimmt oder sich
ihnen entgegensetzt.

Carl V hielt unerschütterlich an dem einmal ergriffenen
Systeme fest.

Es war der Gedanke seines Lebens; daß er in einem
unglücklichen Augenblick vor einem plötzlichen Anfall hatte zu-
rückweichen müssen, konnte ihn darin nicht irre machen.

Die Einheit der Christenheit aufrecht zu halten galt ihm

Widerſtand des Kaiſers.
Stände augsburgiſcher Confeſſion an die kriegführenden an-
ſchließen möchten. Man machte den Kaiſer aufmerkſam, daß
weder der Papſt, noch der König von Frankreich, noch irgend
ein andrer Fürſt von Europa an die Pflicht denke, die Ketze-
reien auszurotten, daß die ganze Laſt einer ſolchen Unterneh-
mung auf ihn allein fallen würde. Auch liege wohl ſo viel
an Tag, daß man wider die neuen Meinungen mit dem
Schwerte nichts ausrichten könne: die Deutſchen würden
ihre Hand nicht dazu bieten, durch fremde Nationen laſſe
es ſich nicht thun.

Im Angeſicht der Kämpfe welche die Welt erfüllen, der
Kräfte die dazu von beiden Seiten in Anwendung geſetzt
werden und der Erfolge die ſich ergeben, bilden ſich Über-
zeugungen, die plötzlich hervortreten und Jedermann ergrei-
fen, weil ſie aus dem Geſchehenen mit Nothwendigkeit ent-
ſpringen; man kann ſagen: ſie enthalten Geſetze für eine,
wenn auch erſt ferne Zukunft in ſich. So fühlte man jetzt
die Unmöglichkeit, das alte Syſtem der dogmatiſchen und
kirchlichen Einheit in der abendländiſchen Chriſtenheit aufrecht
zu erhalten, die Gemüther mit dem Schwert zu regieren.

Und davon hängt die Wirkſamkeit eines hochgeſtellten
Menſchen mit am meiſten ab, in welches Verhältniß er zu
Überzeugungen dieſer Art tritt, ob er ſie annimmt oder ſich
ihnen entgegenſetzt.

Carl V hielt unerſchütterlich an dem einmal ergriffenen
Syſteme feſt.

Es war der Gedanke ſeines Lebens; daß er in einem
unglücklichen Augenblick vor einem plötzlichen Anfall hatte zu-
rückweichen müſſen, konnte ihn darin nicht irre machen.

Die Einheit der Chriſtenheit aufrecht zu halten galt ihm

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[269/0281] Widerſtand des Kaiſers. Stände augsburgiſcher Confeſſion an die kriegführenden an- ſchließen möchten. Man machte den Kaiſer aufmerkſam, daß weder der Papſt, noch der König von Frankreich, noch irgend ein andrer Fürſt von Europa an die Pflicht denke, die Ketze- reien auszurotten, daß die ganze Laſt einer ſolchen Unterneh- mung auf ihn allein fallen würde. Auch liege wohl ſo viel an Tag, daß man wider die neuen Meinungen mit dem Schwerte nichts ausrichten könne: die Deutſchen würden ihre Hand nicht dazu bieten, durch fremde Nationen laſſe es ſich nicht thun. Im Angeſicht der Kämpfe welche die Welt erfüllen, der Kräfte die dazu von beiden Seiten in Anwendung geſetzt werden und der Erfolge die ſich ergeben, bilden ſich Über- zeugungen, die plötzlich hervortreten und Jedermann ergrei- fen, weil ſie aus dem Geſchehenen mit Nothwendigkeit ent- ſpringen; man kann ſagen: ſie enthalten Geſetze für eine, wenn auch erſt ferne Zukunft in ſich. So fühlte man jetzt die Unmöglichkeit, das alte Syſtem der dogmatiſchen und kirchlichen Einheit in der abendländiſchen Chriſtenheit aufrecht zu erhalten, die Gemüther mit dem Schwert zu regieren. Und davon hängt die Wirkſamkeit eines hochgeſtellten Menſchen mit am meiſten ab, in welches Verhältniß er zu Überzeugungen dieſer Art tritt, ob er ſie annimmt oder ſich ihnen entgegenſetzt. Carl V hielt unerſchütterlich an dem einmal ergriffenen Syſteme feſt. Es war der Gedanke ſeines Lebens; daß er in einem unglücklichen Augenblick vor einem plötzlichen Anfall hatte zu- rückweichen müſſen, konnte ihn darin nicht irre machen. Die Einheit der Chriſtenheit aufrecht zu halten galt ihm

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843/281>, abgerufen am 28.11.2024.