det und zu weit verbreitet, als daß auch nur eine beschränkte Unterordnung unter dieselbe sich hätte wiederherstellen lassen.
Den aus der Vergangenheit aufsteigenden Ideen der formellen Einheit setzten sich Tendenzen politischer und reli- giöser Unabhängigkeit entgegen, welche den abendländischen Nationen eine neue Zukunft eröffneten.
Es bedurfte eigentlich nur einer Verbindung des poli- tischen und des religiösen Gegensatzes, um die geistlich-welt- liche Autorität zu zertrümmern, die sich über beide zu erhe- ben suchte.
Da nun aber das Kaiserthum, das zu so umfassenden Planen Anlaß und Rechtstitel gab, wie es auf der deutschen Nation beruhte, so auch die Staatsgewalt in derselben bil- dete, so trat die Gefahr ein, daß durch einen Angriff auf dasselbe auch diese zersprengt, und entweder die Anarchie wieder zurückgerufen, oder einer fremden Macht ein verderb- licher Einfluß eingeräumt werden möchte.
Glücklich die Zeiten wo ein einziger nationaler Gedanke alle Gemüther ergreift, weil er alle befriedigt: hier war dieß nicht der Fall.
Bei dem ihm selbst unerwarteten Fortgang seines Glückes gab zuweilen auch Moritz der Hofnung auf baldigen Frieden Raum: man versicherte ihm, der Kaiser werde im Reich solche Vorsehung thun, daß den Ständen augsburgischer Confession ihr Glaube, allen ihre Freiheit unangetastet bleibe: er werde sich auch mit dem König von Frankreich über dessen An- sprache an ihn vertragen, worauf alle Macht der Christenheit gegen die Türken gewandt werden könne: wie wäre das aber wirklich zu erwarten gewesen!
Zehntes Buch. Erſtes Capitel.
det und zu weit verbreitet, als daß auch nur eine beſchränkte Unterordnung unter dieſelbe ſich hätte wiederherſtellen laſſen.
Den aus der Vergangenheit aufſteigenden Ideen der formellen Einheit ſetzten ſich Tendenzen politiſcher und reli- giöſer Unabhängigkeit entgegen, welche den abendländiſchen Nationen eine neue Zukunft eröffneten.
Es bedurfte eigentlich nur einer Verbindung des poli- tiſchen und des religiöſen Gegenſatzes, um die geiſtlich-welt- liche Autorität zu zertrümmern, die ſich über beide zu erhe- ben ſuchte.
Da nun aber das Kaiſerthum, das zu ſo umfaſſenden Planen Anlaß und Rechtstitel gab, wie es auf der deutſchen Nation beruhte, ſo auch die Staatsgewalt in derſelben bil- dete, ſo trat die Gefahr ein, daß durch einen Angriff auf daſſelbe auch dieſe zerſprengt, und entweder die Anarchie wieder zurückgerufen, oder einer fremden Macht ein verderb- licher Einfluß eingeräumt werden möchte.
Glücklich die Zeiten wo ein einziger nationaler Gedanke alle Gemüther ergreift, weil er alle befriedigt: hier war dieß nicht der Fall.
Bei dem ihm ſelbſt unerwarteten Fortgang ſeines Glückes gab zuweilen auch Moritz der Hofnung auf baldigen Frieden Raum: man verſicherte ihm, der Kaiſer werde im Reich ſolche Vorſehung thun, daß den Ständen augsburgiſcher Confeſſion ihr Glaube, allen ihre Freiheit unangetaſtet bleibe: er werde ſich auch mit dem König von Frankreich über deſſen An- ſprache an ihn vertragen, worauf alle Macht der Chriſtenheit gegen die Türken gewandt werden könne: wie wäre das aber wirklich zu erwarten geweſen!
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0266"n="254"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Zehntes Buch. Erſtes Capitel</hi>.</fw><lb/>
det und zu weit verbreitet, als daß auch nur eine beſchränkte<lb/>
Unterordnung unter dieſelbe ſich hätte wiederherſtellen laſſen.</p><lb/><p>Den aus der Vergangenheit aufſteigenden Ideen der<lb/>
formellen Einheit ſetzten ſich Tendenzen politiſcher und reli-<lb/>
giöſer Unabhängigkeit entgegen, welche den abendländiſchen<lb/>
Nationen eine neue Zukunft eröffneten.</p><lb/><p>Es bedurfte eigentlich nur einer Verbindung des poli-<lb/>
tiſchen und des religiöſen Gegenſatzes, um die geiſtlich-welt-<lb/>
liche Autorität zu zertrümmern, die ſich über beide zu erhe-<lb/>
ben ſuchte.</p><lb/><p>Da nun aber das Kaiſerthum, das zu ſo umfaſſenden<lb/>
Planen Anlaß und Rechtstitel gab, wie es auf der deutſchen<lb/>
Nation beruhte, ſo auch die Staatsgewalt in derſelben bil-<lb/>
dete, ſo trat die Gefahr ein, daß durch einen Angriff auf<lb/>
daſſelbe auch dieſe zerſprengt, und entweder die Anarchie<lb/>
wieder zurückgerufen, oder einer fremden Macht ein verderb-<lb/>
licher Einfluß eingeräumt werden möchte.</p><lb/><p>Glücklich die Zeiten wo ein einziger nationaler Gedanke<lb/>
alle Gemüther ergreift, weil er alle befriedigt: hier war dieß<lb/>
nicht der Fall.</p><lb/><p>Bei dem ihm ſelbſt unerwarteten Fortgang ſeines Glückes<lb/>
gab zuweilen auch Moritz der Hofnung auf baldigen Frieden<lb/>
Raum: man verſicherte ihm, der Kaiſer werde im Reich ſolche<lb/>
Vorſehung thun, daß den Ständen augsburgiſcher Confeſſion<lb/>
ihr Glaube, allen ihre Freiheit unangetaſtet bleibe: er werde<lb/>ſich auch mit dem König von Frankreich über deſſen An-<lb/>ſprache an ihn vertragen, worauf alle Macht der Chriſtenheit<lb/>
gegen die Türken gewandt werden könne: wie wäre das aber<lb/>
wirklich zu erwarten geweſen!</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[254/0266]
Zehntes Buch. Erſtes Capitel.
det und zu weit verbreitet, als daß auch nur eine beſchränkte
Unterordnung unter dieſelbe ſich hätte wiederherſtellen laſſen.
Den aus der Vergangenheit aufſteigenden Ideen der
formellen Einheit ſetzten ſich Tendenzen politiſcher und reli-
giöſer Unabhängigkeit entgegen, welche den abendländiſchen
Nationen eine neue Zukunft eröffneten.
Es bedurfte eigentlich nur einer Verbindung des poli-
tiſchen und des religiöſen Gegenſatzes, um die geiſtlich-welt-
liche Autorität zu zertrümmern, die ſich über beide zu erhe-
ben ſuchte.
Da nun aber das Kaiſerthum, das zu ſo umfaſſenden
Planen Anlaß und Rechtstitel gab, wie es auf der deutſchen
Nation beruhte, ſo auch die Staatsgewalt in derſelben bil-
dete, ſo trat die Gefahr ein, daß durch einen Angriff auf
daſſelbe auch dieſe zerſprengt, und entweder die Anarchie
wieder zurückgerufen, oder einer fremden Macht ein verderb-
licher Einfluß eingeräumt werden möchte.
Glücklich die Zeiten wo ein einziger nationaler Gedanke
alle Gemüther ergreift, weil er alle befriedigt: hier war dieß
nicht der Fall.
Bei dem ihm ſelbſt unerwarteten Fortgang ſeines Glückes
gab zuweilen auch Moritz der Hofnung auf baldigen Frieden
Raum: man verſicherte ihm, der Kaiſer werde im Reich ſolche
Vorſehung thun, daß den Ständen augsburgiſcher Confeſſion
ihr Glaube, allen ihre Freiheit unangetaſtet bleibe: er werde
ſich auch mit dem König von Frankreich über deſſen An-
ſprache an ihn vertragen, worauf alle Macht der Chriſtenheit
gegen die Türken gewandt werden könne: wie wäre das aber
wirklich zu erwarten geweſen!
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843/266>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.