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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843.

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Neuntes Buch. Drittes Capitel.
Dinge nicht angethan, weder die eignen Kräfte stark, noch
die fremden schwach genug, daß er in offenem Angriff hätte
zu seinem Ziele kommen können: sein Verfahren und sein
Talent war, aus den entgegengesetzten Elementen sich Sym-
pathien zu erwecken und sie zu Hülfe zu rufen. Es ist ihm
hiebei das Unglaubliche gelungen.

Die Granden von Castilien haben ihm die Communen
unterworfen; der Gehorsam der Communen hat ihm dann
gedient, die Granden, die ihm entbehrlich geworden, von sei-
ner Staatsverwaltung zu entfernen.

Ihm haben die Deutschen, nicht ohne den Antrieb eines
protestantisch-antipäpstlichen Eifers, Rom erobert und den
Papst gefangen gehalten. Dafür ist ihm ein späterer Papst
mit Heereskraft ebenfalls aus Religionseifer über die Alpen
zu Hülfe gekommen um die Protestanten zu unterwerfen.

Nicht selten hat er mit Frankreich über einen Angriff
gegen England unterhandelt, dann hat der König von Eng-
land doch sich mit ihm gegen Frankreich verbündet.

Die Protestanten, die es oft erfahren, daß in der euro-
päischen Opposition gegen das Haus Östreich das Ver-
hältniß lag das ihnen Raum in der Welt gemacht, hat er
doch bewogen, mit ihm wider das Haupt dieser Opposition
zu Felde zu ziehen. Dafür sah denn der König von Frank-
reich wieder zu, als sie mit Krieg überzogen wurden.

Was wäre wohl aus Carl V geworden, wenn die deut-
schen Fürsten sich jemals vereinigt hätten, den Begriff, die
Rechte des Reiches als einer Gesammtheit gegen ihn zu be-
haupten? Es sind öfter Versuche dazu vorgekommen, aber
immer noch zur rechten Zeit gesprengt worden. Die Un-

Neuntes Buch. Drittes Capitel.
Dinge nicht angethan, weder die eignen Kräfte ſtark, noch
die fremden ſchwach genug, daß er in offenem Angriff hätte
zu ſeinem Ziele kommen können: ſein Verfahren und ſein
Talent war, aus den entgegengeſetzten Elementen ſich Sym-
pathien zu erwecken und ſie zu Hülfe zu rufen. Es iſt ihm
hiebei das Unglaubliche gelungen.

Die Granden von Caſtilien haben ihm die Communen
unterworfen; der Gehorſam der Communen hat ihm dann
gedient, die Granden, die ihm entbehrlich geworden, von ſei-
ner Staatsverwaltung zu entfernen.

Ihm haben die Deutſchen, nicht ohne den Antrieb eines
proteſtantiſch-antipäpſtlichen Eifers, Rom erobert und den
Papſt gefangen gehalten. Dafür iſt ihm ein ſpäterer Papſt
mit Heereskraft ebenfalls aus Religionseifer über die Alpen
zu Hülfe gekommen um die Proteſtanten zu unterwerfen.

Nicht ſelten hat er mit Frankreich über einen Angriff
gegen England unterhandelt, dann hat der König von Eng-
land doch ſich mit ihm gegen Frankreich verbündet.

Die Proteſtanten, die es oft erfahren, daß in der euro-
päiſchen Oppoſition gegen das Haus Öſtreich das Ver-
hältniß lag das ihnen Raum in der Welt gemacht, hat er
doch bewogen, mit ihm wider das Haupt dieſer Oppoſition
zu Felde zu ziehen. Dafür ſah denn der König von Frank-
reich wieder zu, als ſie mit Krieg überzogen wurden.

Was wäre wohl aus Carl V geworden, wenn die deut-
ſchen Fürſten ſich jemals vereinigt hätten, den Begriff, die
Rechte des Reiches als einer Geſammtheit gegen ihn zu be-
haupten? Es ſind öfter Verſuche dazu vorgekommen, aber
immer noch zur rechten Zeit geſprengt worden. Die Un-

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[108/0120] Neuntes Buch. Drittes Capitel. Dinge nicht angethan, weder die eignen Kräfte ſtark, noch die fremden ſchwach genug, daß er in offenem Angriff hätte zu ſeinem Ziele kommen können: ſein Verfahren und ſein Talent war, aus den entgegengeſetzten Elementen ſich Sym- pathien zu erwecken und ſie zu Hülfe zu rufen. Es iſt ihm hiebei das Unglaubliche gelungen. Die Granden von Caſtilien haben ihm die Communen unterworfen; der Gehorſam der Communen hat ihm dann gedient, die Granden, die ihm entbehrlich geworden, von ſei- ner Staatsverwaltung zu entfernen. Ihm haben die Deutſchen, nicht ohne den Antrieb eines proteſtantiſch-antipäpſtlichen Eifers, Rom erobert und den Papſt gefangen gehalten. Dafür iſt ihm ein ſpäterer Papſt mit Heereskraft ebenfalls aus Religionseifer über die Alpen zu Hülfe gekommen um die Proteſtanten zu unterwerfen. Nicht ſelten hat er mit Frankreich über einen Angriff gegen England unterhandelt, dann hat der König von Eng- land doch ſich mit ihm gegen Frankreich verbündet. Die Proteſtanten, die es oft erfahren, daß in der euro- päiſchen Oppoſition gegen das Haus Öſtreich das Ver- hältniß lag das ihnen Raum in der Welt gemacht, hat er doch bewogen, mit ihm wider das Haupt dieſer Oppoſition zu Felde zu ziehen. Dafür ſah denn der König von Frank- reich wieder zu, als ſie mit Krieg überzogen wurden. Was wäre wohl aus Carl V geworden, wenn die deut- ſchen Fürſten ſich jemals vereinigt hätten, den Begriff, die Rechte des Reiches als einer Geſammtheit gegen ihn zu be- haupten? Es ſind öfter Verſuche dazu vorgekommen, aber immer noch zur rechten Zeit geſprengt worden. Die Un-

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843/120>, abgerufen am 24.11.2024.