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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 4. Berlin, 1843.

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Siebentes Buch. Erstes Capitel.
Zeiten setzen. Der Vater der Königin Elisabeth war auch in
dieser Hinsicht ihr wahrer Vorgänger.

Wie lebhaft man auch die moralische Haltung Hein-
richs VIII
in den meisten seiner Angelegenheiten verurtheilen
mag, so muß man doch gestehen, daß seine Politik -- welche
England von dem Papstthum losriß, die Einheit der natio-
nalen Gewalten erhielt, und die Krone mit einem Zuwachs von
Streitkräften, der ihrer alten Macht gleichkam, verstärkte, --
für England von unberechenbarem Vortheil gewesen ist.

Wie sehr irrte der Papst, wenn er meinte, Kaiser Carl
oder ein anderer katholischer Fürst werde seine Bullen in
England zu exequiren vermögen.

Eben die Beleidigungen welche zu rächen waren, gaben
dem König die Kraft, die Rache unmöglich zu machen.

In dem Kriege des Jahres 1536 trotzte Franz I nicht
selten auf die Freundschaft des Königs von England: Carl V
hütete sich wohl denselben zu verletzen: seiner eigenen Nichte
gab er den Rath, sich lieber zu unterwerfen als weiteren Ge-
fahren auszusetzen; höchstens die Ausflucht einer geheimen
Protestation wollte er ihr gestatten.



Und nun sehen wir wohl in welchem Zustand sich die
allgemeinen Angelegenheiten befanden, in welchen Tendenzen
der europäische Geist begriffen war.

Das System der Ideen, auf welches das mittelalter-
liche Europa sich gründete, seiner Natur nach zugleich poli-
tisch und religiös, hielt überhaupt nicht mehr zusammen, man
sagte sich auf allen Seiten davon los.


Siebentes Buch. Erſtes Capitel.
Zeiten ſetzen. Der Vater der Königin Eliſabeth war auch in
dieſer Hinſicht ihr wahrer Vorgänger.

Wie lebhaft man auch die moraliſche Haltung Hein-
richs VIII
in den meiſten ſeiner Angelegenheiten verurtheilen
mag, ſo muß man doch geſtehen, daß ſeine Politik — welche
England von dem Papſtthum losriß, die Einheit der natio-
nalen Gewalten erhielt, und die Krone mit einem Zuwachs von
Streitkräften, der ihrer alten Macht gleichkam, verſtärkte, —
für England von unberechenbarem Vortheil geweſen iſt.

Wie ſehr irrte der Papſt, wenn er meinte, Kaiſer Carl
oder ein anderer katholiſcher Fürſt werde ſeine Bullen in
England zu exequiren vermögen.

Eben die Beleidigungen welche zu rächen waren, gaben
dem König die Kraft, die Rache unmöglich zu machen.

In dem Kriege des Jahres 1536 trotzte Franz I nicht
ſelten auf die Freundſchaft des Königs von England: Carl V
hütete ſich wohl denſelben zu verletzen: ſeiner eigenen Nichte
gab er den Rath, ſich lieber zu unterwerfen als weiteren Ge-
fahren auszuſetzen; höchſtens die Ausflucht einer geheimen
Proteſtation wollte er ihr geſtatten.



Und nun ſehen wir wohl in welchem Zuſtand ſich die
allgemeinen Angelegenheiten befanden, in welchen Tendenzen
der europäiſche Geiſt begriffen war.

Das Syſtem der Ideen, auf welches das mittelalter-
liche Europa ſich gründete, ſeiner Natur nach zugleich poli-
tiſch und religiös, hielt überhaupt nicht mehr zuſammen, man
ſagte ſich auf allen Seiten davon los.


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[62/0074] Siebentes Buch. Erſtes Capitel. Zeiten ſetzen. Der Vater der Königin Eliſabeth war auch in dieſer Hinſicht ihr wahrer Vorgänger. Wie lebhaft man auch die moraliſche Haltung Hein- richs VIII in den meiſten ſeiner Angelegenheiten verurtheilen mag, ſo muß man doch geſtehen, daß ſeine Politik — welche England von dem Papſtthum losriß, die Einheit der natio- nalen Gewalten erhielt, und die Krone mit einem Zuwachs von Streitkräften, der ihrer alten Macht gleichkam, verſtärkte, — für England von unberechenbarem Vortheil geweſen iſt. Wie ſehr irrte der Papſt, wenn er meinte, Kaiſer Carl oder ein anderer katholiſcher Fürſt werde ſeine Bullen in England zu exequiren vermögen. Eben die Beleidigungen welche zu rächen waren, gaben dem König die Kraft, die Rache unmöglich zu machen. In dem Kriege des Jahres 1536 trotzte Franz I nicht ſelten auf die Freundſchaft des Königs von England: Carl V hütete ſich wohl denſelben zu verletzen: ſeiner eigenen Nichte gab er den Rath, ſich lieber zu unterwerfen als weiteren Ge- fahren auszuſetzen; höchſtens die Ausflucht einer geheimen Proteſtation wollte er ihr geſtatten. Und nun ſehen wir wohl in welchem Zuſtand ſich die allgemeinen Angelegenheiten befanden, in welchen Tendenzen der europäiſche Geiſt begriffen war. Das Syſtem der Ideen, auf welches das mittelalter- liche Europa ſich gründete, ſeiner Natur nach zugleich poli- tiſch und religiös, hielt überhaupt nicht mehr zuſammen, man ſagte ſich auf allen Seiten davon los.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 4. Berlin, 1843, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation04_1843/74>, abgerufen am 25.11.2024.