Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 4. Berlin, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

Achtes Buch. Fünftes Capitel.
bald von der Wunde, die ihm beigebracht worden, genesen
seyn, auch ein Wahrzeichen desselben mitbrachte, erschien Jo-
hann Friedrich
nicht anders als getrost und herzhaft. Über
alle Furcht für sich selber erhob ihn die Gewißheit einer an-
dern lebendigen Gemeinschaft, der er von jeher angehört, und
sein vollkommen reines Gewissen. Man erzählt, das Todes-
urtheil sey ihm publicirt worden, als er mit Herzog Ernst
von Braunschweig
, der mit ihm gefangen worden, Schach
spielte. 1 Er war längst darauf gefaßt: nicht einmal in sei-
nem Spiel ließ er dadurch sich stören: "Vetter," sagte er,
nachdem er das Urtel wie ein andres Papier neben sich ge-
legt, "gebt Acht auf Euer Spiel: Ihr seyd matt."

Indessen machte man im kaiserlichen Rathe doch auch
einige Betrachtungen andrer Art.

Man sah wohl daß Wittenberg nicht so leicht erobert
werden dürfte, als man geglaubt. Es war sehr gut befe-
stigt, mit allem Nöthigen auf lange Zeit versehen. Um die
Belagerungsarbeiten zu fördern, hatte Moritz 15000 Schanz-
gräber zu stellen versprochen, aber nicht mehr als 300 auf-
bringen können. Die Spanier zeigten sich ohnehin nicht
eben zu seinen Gunsten gestimmt: sie meinten, sie seyen
nicht dazu da, um ihm Städte zu erobern. Dem Beicht-
vater erwiederte dann der Bischof von Arras: man müsse
Gott nicht weiter versuchen, nicht immer Wunder erwarten:
würde man einen Anfall auf Wittenberg machen, so könne
man leicht die besten Leute und überdieß die Reputation ver-
lieren, durch die man jetzt stark sey: wie viel besser, wenn

1 Müllers sächsische Annales 106. Faletus. Besonders Roger
Asham
; doch variiren die Angaben.

Achtes Buch. Fuͤnftes Capitel.
bald von der Wunde, die ihm beigebracht worden, geneſen
ſeyn, auch ein Wahrzeichen deſſelben mitbrachte, erſchien Jo-
hann Friedrich
nicht anders als getroſt und herzhaft. Über
alle Furcht für ſich ſelber erhob ihn die Gewißheit einer an-
dern lebendigen Gemeinſchaft, der er von jeher angehört, und
ſein vollkommen reines Gewiſſen. Man erzählt, das Todes-
urtheil ſey ihm publicirt worden, als er mit Herzog Ernſt
von Braunſchweig
, der mit ihm gefangen worden, Schach
ſpielte. 1 Er war längſt darauf gefaßt: nicht einmal in ſei-
nem Spiel ließ er dadurch ſich ſtören: „Vetter,“ ſagte er,
nachdem er das Urtel wie ein andres Papier neben ſich ge-
legt, „gebt Acht auf Euer Spiel: Ihr ſeyd matt.“

Indeſſen machte man im kaiſerlichen Rathe doch auch
einige Betrachtungen andrer Art.

Man ſah wohl daß Wittenberg nicht ſo leicht erobert
werden dürfte, als man geglaubt. Es war ſehr gut befe-
ſtigt, mit allem Nöthigen auf lange Zeit verſehen. Um die
Belagerungsarbeiten zu fördern, hatte Moritz 15000 Schanz-
gräber zu ſtellen verſprochen, aber nicht mehr als 300 auf-
bringen können. Die Spanier zeigten ſich ohnehin nicht
eben zu ſeinen Gunſten geſtimmt: ſie meinten, ſie ſeyen
nicht dazu da, um ihm Städte zu erobern. Dem Beicht-
vater erwiederte dann der Biſchof von Arras: man müſſe
Gott nicht weiter verſuchen, nicht immer Wunder erwarten:
würde man einen Anfall auf Wittenberg machen, ſo könne
man leicht die beſten Leute und überdieß die Reputation ver-
lieren, durch die man jetzt ſtark ſey: wie viel beſſer, wenn

1 Muͤllers ſaͤchſiſche Annales 106. Faletus. Beſonders Roger
Aſham
; doch variiren die Angaben.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0532" n="520"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Achtes Buch. Fu&#x0364;nftes Capitel</hi>.</fw><lb/>
bald von der Wunde, die ihm beigebracht worden, gene&#x017F;en<lb/>
&#x017F;eyn, auch ein Wahrzeichen de&#x017F;&#x017F;elben mitbrachte, er&#x017F;chien <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118712373">Jo-<lb/>
hann Friedrich</persName> nicht anders als getro&#x017F;t und herzhaft. Über<lb/>
alle Furcht für &#x017F;ich &#x017F;elber erhob ihn die Gewißheit einer an-<lb/>
dern lebendigen Gemein&#x017F;chaft, der er von jeher angehört, und<lb/>
&#x017F;ein vollkommen reines Gewi&#x017F;&#x017F;en. Man erzählt, das Todes-<lb/>
urtheil &#x017F;ey ihm publicirt worden, als er mit Herzog <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118810944">Ern&#x017F;t<lb/>
von Braun&#x017F;chweig</persName>, der mit ihm gefangen worden, Schach<lb/>
&#x017F;pielte. <note place="foot" n="1"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/11806472X">Mu&#x0364;llers</persName> &#x017F;a&#x0364;ch&#x017F;i&#x017F;che Annales 106. <persName ref="http://d-nb.info/gnd/100346243">Faletus</persName>. Be&#x017F;onders <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118504630">Roger<lb/>
A&#x017F;ham</persName>; doch variiren die Angaben.</note> Er war läng&#x017F;t darauf gefaßt: nicht einmal in &#x017F;ei-<lb/>
nem Spiel ließ er dadurch &#x017F;ich &#x017F;tören: &#x201E;Vetter,&#x201C; &#x017F;agte er,<lb/>
nachdem er das Urtel wie ein andres Papier neben &#x017F;ich ge-<lb/>
legt, &#x201E;gebt Acht auf Euer Spiel: Ihr &#x017F;eyd matt.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Inde&#x017F;&#x017F;en machte man im kai&#x017F;erlichen Rathe doch auch<lb/>
einige Betrachtungen andrer Art.</p><lb/>
          <p>Man &#x017F;ah wohl daß <placeName>Wittenberg</placeName> nicht &#x017F;o leicht erobert<lb/>
werden dürfte, als man geglaubt. Es war &#x017F;ehr gut befe-<lb/>
&#x017F;tigt, mit allem Nöthigen auf lange Zeit ver&#x017F;ehen. Um die<lb/>
Belagerungsarbeiten zu fördern, hatte <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118584138">Moritz</persName> 15000 Schanz-<lb/>
gräber zu &#x017F;tellen ver&#x017F;prochen, aber nicht mehr als 300 auf-<lb/>
bringen können. Die Spanier zeigten &#x017F;ich ohnehin nicht<lb/>
eben zu &#x017F;einen Gun&#x017F;ten ge&#x017F;timmt: &#x017F;ie meinten, &#x017F;ie &#x017F;eyen<lb/>
nicht dazu da, um ihm Städte zu erobern. Dem Beicht-<lb/>
vater erwiederte dann der Bi&#x017F;chof von <placeName>Arras</placeName>: man mü&#x017F;&#x017F;e<lb/>
Gott nicht weiter ver&#x017F;uchen, nicht immer Wunder erwarten:<lb/>
würde man einen Anfall auf <placeName>Wittenberg</placeName> machen, &#x017F;o könne<lb/>
man leicht die be&#x017F;ten Leute und überdieß die Reputation ver-<lb/>
lieren, durch die man jetzt &#x017F;tark &#x017F;ey: wie viel be&#x017F;&#x017F;er, wenn<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[520/0532] Achtes Buch. Fuͤnftes Capitel. bald von der Wunde, die ihm beigebracht worden, geneſen ſeyn, auch ein Wahrzeichen deſſelben mitbrachte, erſchien Jo- hann Friedrich nicht anders als getroſt und herzhaft. Über alle Furcht für ſich ſelber erhob ihn die Gewißheit einer an- dern lebendigen Gemeinſchaft, der er von jeher angehört, und ſein vollkommen reines Gewiſſen. Man erzählt, das Todes- urtheil ſey ihm publicirt worden, als er mit Herzog Ernſt von Braunſchweig, der mit ihm gefangen worden, Schach ſpielte. 1 Er war längſt darauf gefaßt: nicht einmal in ſei- nem Spiel ließ er dadurch ſich ſtören: „Vetter,“ ſagte er, nachdem er das Urtel wie ein andres Papier neben ſich ge- legt, „gebt Acht auf Euer Spiel: Ihr ſeyd matt.“ Indeſſen machte man im kaiſerlichen Rathe doch auch einige Betrachtungen andrer Art. Man ſah wohl daß Wittenberg nicht ſo leicht erobert werden dürfte, als man geglaubt. Es war ſehr gut befe- ſtigt, mit allem Nöthigen auf lange Zeit verſehen. Um die Belagerungsarbeiten zu fördern, hatte Moritz 15000 Schanz- gräber zu ſtellen verſprochen, aber nicht mehr als 300 auf- bringen können. Die Spanier zeigten ſich ohnehin nicht eben zu ſeinen Gunſten geſtimmt: ſie meinten, ſie ſeyen nicht dazu da, um ihm Städte zu erobern. Dem Beicht- vater erwiederte dann der Biſchof von Arras: man müſſe Gott nicht weiter verſuchen, nicht immer Wunder erwarten: würde man einen Anfall auf Wittenberg machen, ſo könne man leicht die beſten Leute und überdieß die Reputation ver- lieren, durch die man jetzt ſtark ſey: wie viel beſſer, wenn 1 Muͤllers ſaͤchſiſche Annales 106. Faletus. Beſonders Roger Aſham; doch variiren die Angaben.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation04_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation04_1843/532
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 4. Berlin, 1843, S. 520. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation04_1843/532>, abgerufen am 28.11.2024.