litischer Protestantismus: -- es mag seyn, einseitig, egoistisch und gehässig, aber darum doch auch unvermeidlich und von allgemeiner Bedeutung.
Vielleicht von allen Ideen welche zur Entwickelung des neuern Europa beigetragen haben, die wirksamste ist die Idee einer vollkommen selbständigen, von keiner fremden Rücksicht gefesselten, nur auf sich selbst angewiesenen Staats- gewalt. Im Grunde konnte von Staaten im vollen Sinne des Wortes noch gar nicht die Rede seyn, so lange der Ge- danke der allgemeinen Christenheit vorwaltete und wie es mehrere Jahrhunderte hindurch geschehen ist, zu den großen Unternehmungen, an denen sich alle Staaten versuchten, den bewegenden Antrieb gab. Das Besondere ward durch das Mitgefühl des Allgemeinen verhindert sich in seiner Eigen- thümlichkeit auszubilden. Wohl hatte in den letzten Jahrzehn- den alles dahin gestrebt sich besser zu consolidiren, und vor- nehmlich in Frankreich war dieß gelungen. Es versteht sich aber, daß man doch so lange noch weit vom Ziele entfernt war, als der Staat durch politische Rücksichten die ihm nicht aus ihm selbst kamen, in seiner Bewegung, seinen Bünd- nissen, seiner ganzen politisch-militärischen Thätigkeit gehin- dert wurde. Die Verbindung Franz des I mit den Osma- nen bezeichnet den Moment wo die militärische Kraft eines großen Reiches sich von dem System der lateinischen Christen- heit, das bisher vorgewaltet, lossagte und nun erst selbständig auftrat. Das Prinzip kam um so besser zur Erscheinung, da eine Macht dieß that welche in Rücksicht auf das Dogma katholisch blieb. Franz I, der diesen Schritt wagte, und einem mächtigen Gegner, der ihn in den alten Bahnen festhalten
Siebentes Buch. Erſtes Capitel.
litiſcher Proteſtantismus: — es mag ſeyn, einſeitig, egoiſtiſch und gehäſſig, aber darum doch auch unvermeidlich und von allgemeiner Bedeutung.
Vielleicht von allen Ideen welche zur Entwickelung des neuern Europa beigetragen haben, die wirkſamſte iſt die Idee einer vollkommen ſelbſtändigen, von keiner fremden Rückſicht gefeſſelten, nur auf ſich ſelbſt angewieſenen Staats- gewalt. Im Grunde konnte von Staaten im vollen Sinne des Wortes noch gar nicht die Rede ſeyn, ſo lange der Ge- danke der allgemeinen Chriſtenheit vorwaltete und wie es mehrere Jahrhunderte hindurch geſchehen iſt, zu den großen Unternehmungen, an denen ſich alle Staaten verſuchten, den bewegenden Antrieb gab. Das Beſondere ward durch das Mitgefühl des Allgemeinen verhindert ſich in ſeiner Eigen- thümlichkeit auszubilden. Wohl hatte in den letzten Jahrzehn- den alles dahin geſtrebt ſich beſſer zu conſolidiren, und vor- nehmlich in Frankreich war dieß gelungen. Es verſteht ſich aber, daß man doch ſo lange noch weit vom Ziele entfernt war, als der Staat durch politiſche Rückſichten die ihm nicht aus ihm ſelbſt kamen, in ſeiner Bewegung, ſeinen Bünd- niſſen, ſeiner ganzen politiſch-militäriſchen Thätigkeit gehin- dert wurde. Die Verbindung Franz des I mit den Osma- nen bezeichnet den Moment wo die militäriſche Kraft eines großen Reiches ſich von dem Syſtem der lateiniſchen Chriſten- heit, das bisher vorgewaltet, losſagte und nun erſt ſelbſtändig auftrat. Das Prinzip kam um ſo beſſer zur Erſcheinung, da eine Macht dieß that welche in Rückſicht auf das Dogma katholiſch blieb. Franz I, der dieſen Schritt wagte, und einem mächtigen Gegner, der ihn in den alten Bahnen feſthalten
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Siebentes Buch. Erſtes Capitel.
litiſcher Proteſtantismus: — es mag ſeyn, einſeitig, egoiſtiſch
und gehäſſig, aber darum doch auch unvermeidlich und von
allgemeiner Bedeutung.
Vielleicht von allen Ideen welche zur Entwickelung des
neuern Europa beigetragen haben, die wirkſamſte iſt die
Idee einer vollkommen ſelbſtändigen, von keiner fremden
Rückſicht gefeſſelten, nur auf ſich ſelbſt angewieſenen Staats-
gewalt. Im Grunde konnte von Staaten im vollen Sinne
des Wortes noch gar nicht die Rede ſeyn, ſo lange der Ge-
danke der allgemeinen Chriſtenheit vorwaltete und wie es
mehrere Jahrhunderte hindurch geſchehen iſt, zu den großen
Unternehmungen, an denen ſich alle Staaten verſuchten, den
bewegenden Antrieb gab. Das Beſondere ward durch das
Mitgefühl des Allgemeinen verhindert ſich in ſeiner Eigen-
thümlichkeit auszubilden. Wohl hatte in den letzten Jahrzehn-
den alles dahin geſtrebt ſich beſſer zu conſolidiren, und vor-
nehmlich in Frankreich war dieß gelungen. Es verſteht ſich
aber, daß man doch ſo lange noch weit vom Ziele entfernt
war, als der Staat durch politiſche Rückſichten die ihm nicht
aus ihm ſelbſt kamen, in ſeiner Bewegung, ſeinen Bünd-
niſſen, ſeiner ganzen politiſch-militäriſchen Thätigkeit gehin-
dert wurde. Die Verbindung Franz des I mit den Osma-
nen bezeichnet den Moment wo die militäriſche Kraft eines
großen Reiches ſich von dem Syſtem der lateiniſchen Chriſten-
heit, das bisher vorgewaltet, losſagte und nun erſt ſelbſtändig
auftrat. Das Prinzip kam um ſo beſſer zur Erſcheinung,
da eine Macht dieß that welche in Rückſicht auf das Dogma
katholiſch blieb. Franz I, der dieſen Schritt wagte, und
einem mächtigen Gegner, der ihn in den alten Bahnen feſthalten
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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 4. Berlin, 1843, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation04_1843/50>, abgerufen am 11.12.2024.
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