Aber einmal: die Dinge der Welt standen nicht ganz wie sie meinten; so war das Verhältniß des Papstes nicht, wie sie es faßten; man betrügt sich mit dem idealen In- halt der Gegensätze, so wie man ihn auf das unmittelbar Vorliegende anwendet. So gefährlich ohne allen Zweifel das Vorhaben des Kaisers für sie war, so lag doch der Character den sie ihm zuschrieben keineswegs für Jeder- mann zu Tage. So lange Fürsten von so unzweifelhaft evangelischer Gesinnung wie Markgraf Hans von Cüstrin, der sogar seinen Prediger mit sich hatte, in dem kaiserlichen Lager dienten, mußte die öffentliche Meinung schwanken.
Und ferner: sobald sie einmal die Waffen gegen den Kaiser erhoben, war nicht allein von der Religion und ihrer Erneuerung, sondern von der Zukunft des Reiches überhaupt die Rede. Der Grund des Krieges war: die Vertheidigung der mit so viel guter Befugniß unternommenen Religions- veränderung: der nächste Zweck die Ausführung der speieri- schen Beschlüsse von 1544, die Sicherheit der Religion vor Concilium und Kammergericht. Allein schon waren sie sel- ber hiebei nicht stehn geblieben: sie erkannten den Kaiser in diesem Augenblick nicht mehr an: wie nun, wenn es ihnen gelang ihn zu besiegen, zu verjagen? Welche Form woll- ten sie dann dem Reiche geben? Niemand hätte es sagen können; sie selber hatten keine Entwürfe darüber. Es ge- reicht den Protestanten moralisch zur Ehre, daß es so war: -- ihre Absicht beschränkte sich auf die Vertheidigung: -- aber vortheilhaft konnte es ihnen nicht werden. Den Fort- gang ihrer Waffen sahen Neutrale, obwohl Protestantisch- gesinnte, wie der Churfürst von Brandenburg, nicht ohne
Achtes Buch. Zweites Capitel.
Aber einmal: die Dinge der Welt ſtanden nicht ganz wie ſie meinten; ſo war das Verhältniß des Papſtes nicht, wie ſie es faßten; man betrügt ſich mit dem idealen In- halt der Gegenſätze, ſo wie man ihn auf das unmittelbar Vorliegende anwendet. So gefährlich ohne allen Zweifel das Vorhaben des Kaiſers für ſie war, ſo lag doch der Character den ſie ihm zuſchrieben keineswegs für Jeder- mann zu Tage. So lange Fürſten von ſo unzweifelhaft evangeliſcher Geſinnung wie Markgraf Hans von Cüſtrin, der ſogar ſeinen Prediger mit ſich hatte, in dem kaiſerlichen Lager dienten, mußte die öffentliche Meinung ſchwanken.
Und ferner: ſobald ſie einmal die Waffen gegen den Kaiſer erhoben, war nicht allein von der Religion und ihrer Erneuerung, ſondern von der Zukunft des Reiches überhaupt die Rede. Der Grund des Krieges war: die Vertheidigung der mit ſo viel guter Befugniß unternommenen Religions- veränderung: der nächſte Zweck die Ausführung der ſpeieri- ſchen Beſchlüſſe von 1544, die Sicherheit der Religion vor Concilium und Kammergericht. Allein ſchon waren ſie ſel- ber hiebei nicht ſtehn geblieben: ſie erkannten den Kaiſer in dieſem Augenblick nicht mehr an: wie nun, wenn es ihnen gelang ihn zu beſiegen, zu verjagen? Welche Form woll- ten ſie dann dem Reiche geben? Niemand hätte es ſagen können; ſie ſelber hatten keine Entwürfe darüber. Es ge- reicht den Proteſtanten moraliſch zur Ehre, daß es ſo war: — ihre Abſicht beſchränkte ſich auf die Vertheidigung: — aber vortheilhaft konnte es ihnen nicht werden. Den Fort- gang ihrer Waffen ſahen Neutrale, obwohl Proteſtantiſch- geſinnte, wie der Churfürſt von Brandenburg, nicht ohne
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Achtes Buch. Zweites Capitel.
Aber einmal: die Dinge der Welt ſtanden nicht ganz
wie ſie meinten; ſo war das Verhältniß des Papſtes nicht,
wie ſie es faßten; man betrügt ſich mit dem idealen In-
halt der Gegenſätze, ſo wie man ihn auf das unmittelbar
Vorliegende anwendet. So gefährlich ohne allen Zweifel
das Vorhaben des Kaiſers für ſie war, ſo lag doch der
Character den ſie ihm zuſchrieben keineswegs für Jeder-
mann zu Tage. So lange Fürſten von ſo unzweifelhaft
evangeliſcher Geſinnung wie Markgraf Hans von Cüſtrin,
der ſogar ſeinen Prediger mit ſich hatte, in dem kaiſerlichen
Lager dienten, mußte die öffentliche Meinung ſchwanken.
Und ferner: ſobald ſie einmal die Waffen gegen den
Kaiſer erhoben, war nicht allein von der Religion und ihrer
Erneuerung, ſondern von der Zukunft des Reiches überhaupt
die Rede. Der Grund des Krieges war: die Vertheidigung
der mit ſo viel guter Befugniß unternommenen Religions-
veränderung: der nächſte Zweck die Ausführung der ſpeieri-
ſchen Beſchlüſſe von 1544, die Sicherheit der Religion vor
Concilium und Kammergericht. Allein ſchon waren ſie ſel-
ber hiebei nicht ſtehn geblieben: ſie erkannten den Kaiſer in
dieſem Augenblick nicht mehr an: wie nun, wenn es ihnen
gelang ihn zu beſiegen, zu verjagen? Welche Form woll-
ten ſie dann dem Reiche geben? Niemand hätte es ſagen
können; ſie ſelber hatten keine Entwürfe darüber. Es ge-
reicht den Proteſtanten moraliſch zur Ehre, daß es ſo war:
— ihre Abſicht beſchränkte ſich auf die Vertheidigung: —
aber vortheilhaft konnte es ihnen nicht werden. Den Fort-
gang ihrer Waffen ſahen Neutrale, obwohl Proteſtantiſch-
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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 4. Berlin, 1843, S. 428. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation04_1843/440>, abgerufen am 22.11.2024.
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