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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 4. Berlin, 1843.

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Doppel-Ehe des Landgrafen Philipp.
er die dispensirende Gewalt der alten Kirche sah, glaubte er
in seinem Gewissen vollkommen sicher zu werden. Sie er-
schraken, wie man denken kann, als ihnen dieser unerwartete,
unerhörte Antrag geschah: wohl sahen sie voraus, welch bö-
ser Ruf ihnen und ihrer Lehre aus einem solchen Zugeständ-
niß entspringen werde; aber so dringend waren die Auffor-
derungen des Landgrafen, mit so ernstlichen Betheurungen
einer ganz unabänderlichen Nothwendigkeit verknüpft, und
so gut berechnet auf Gesinnung und Stimmung der beiden
Gelehrten, daß diese sich endlich, wiewohl nicht als vor der
Welt sondern als vor Gott, und nur unter der Bedingung
des tiefsten Geheimnisses, zu einem Beichtrath entschlossen, in
welchem sie zwar nochmals alle ihre Gegengründe wieder-
holten, so daß ihre Schrift wie eine Abmahnung aussieht, 1
aber zuletzt doch ihre Einwilligung nicht versagten.

Nun war aber hiebei nicht allein von Religion und
Moral, sondern auch von Recht die Rede. Erst kurz vor-
her war Bigamie in der peinlichen Halsgerichtsordnung als
eins der schwersten Verbrechen verpönt worden, 2 und der
Landgraf fürchtete, daß das Reichsgericht und der Kaiser in
dieser seiner zweiten Ehe neuen Anlaß zu einem rechtlichen
Verfahren gegen ihn finden würden. Um sich hiegegen zu
sichern, ersuchte er den Churfürsten, ihr Vertheidigungsbünd-
niß auf den Fall zu erstrecken, daß er um dieser Sache wil-

1 10 Dez. 1539. D. W. V, 236. C. Ev. III, 850.
2 Art. 121, nach den Canonisten und im Gegensatz gegen die
bambergische Constitution, welche Bigamie für nicht capital erklärt.
Gerstlacher Handbuch der Reichsgesetze Bd XI, ii, p. 2669. Mal-
blanc
Geschichte der p. Gerichtsordnung p. 207. Übrigens hatte der
Landgraf die P. HGO. schon 1535 selbst in seinem Lande eingeführt.
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Doppel-Ehe des Landgrafen Philipp.
er die dispenſirende Gewalt der alten Kirche ſah, glaubte er
in ſeinem Gewiſſen vollkommen ſicher zu werden. Sie er-
ſchraken, wie man denken kann, als ihnen dieſer unerwartete,
unerhörte Antrag geſchah: wohl ſahen ſie voraus, welch bö-
ſer Ruf ihnen und ihrer Lehre aus einem ſolchen Zugeſtänd-
niß entſpringen werde; aber ſo dringend waren die Auffor-
derungen des Landgrafen, mit ſo ernſtlichen Betheurungen
einer ganz unabänderlichen Nothwendigkeit verknüpft, und
ſo gut berechnet auf Geſinnung und Stimmung der beiden
Gelehrten, daß dieſe ſich endlich, wiewohl nicht als vor der
Welt ſondern als vor Gott, und nur unter der Bedingung
des tiefſten Geheimniſſes, zu einem Beichtrath entſchloſſen, in
welchem ſie zwar nochmals alle ihre Gegengründe wieder-
holten, ſo daß ihre Schrift wie eine Abmahnung ausſieht, 1
aber zuletzt doch ihre Einwilligung nicht verſagten.

Nun war aber hiebei nicht allein von Religion und
Moral, ſondern auch von Recht die Rede. Erſt kurz vor-
her war Bigamie in der peinlichen Halsgerichtsordnung als
eins der ſchwerſten Verbrechen verpönt worden, 2 und der
Landgraf fürchtete, daß das Reichsgericht und der Kaiſer in
dieſer ſeiner zweiten Ehe neuen Anlaß zu einem rechtlichen
Verfahren gegen ihn finden würden. Um ſich hiegegen zu
ſichern, erſuchte er den Churfürſten, ihr Vertheidigungsbünd-
niß auf den Fall zu erſtrecken, daß er um dieſer Sache wil-

1 10 Dez. 1539. D. W. V, 236. C. Ev. III, 850.
2 Art. 121, nach den Canoniſten und im Gegenſatz gegen die
bambergiſche Conſtitution, welche Bigamie fuͤr nicht capital erklaͤrt.
Gerſtlacher Handbuch der Reichsgeſetze Bd XI, ii, p. 2669. Mal-
blanc
Geſchichte der p. Gerichtsordnung p. 207. Uͤbrigens hatte der
Landgraf die P. HGO. ſchon 1535 ſelbſt in ſeinem Lande eingefuͤhrt.
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[259/0271] Doppel-Ehe des Landgrafen Philipp. er die dispenſirende Gewalt der alten Kirche ſah, glaubte er in ſeinem Gewiſſen vollkommen ſicher zu werden. Sie er- ſchraken, wie man denken kann, als ihnen dieſer unerwartete, unerhörte Antrag geſchah: wohl ſahen ſie voraus, welch bö- ſer Ruf ihnen und ihrer Lehre aus einem ſolchen Zugeſtänd- niß entſpringen werde; aber ſo dringend waren die Auffor- derungen des Landgrafen, mit ſo ernſtlichen Betheurungen einer ganz unabänderlichen Nothwendigkeit verknüpft, und ſo gut berechnet auf Geſinnung und Stimmung der beiden Gelehrten, daß dieſe ſich endlich, wiewohl nicht als vor der Welt ſondern als vor Gott, und nur unter der Bedingung des tiefſten Geheimniſſes, zu einem Beichtrath entſchloſſen, in welchem ſie zwar nochmals alle ihre Gegengründe wieder- holten, ſo daß ihre Schrift wie eine Abmahnung ausſieht, 1 aber zuletzt doch ihre Einwilligung nicht verſagten. Nun war aber hiebei nicht allein von Religion und Moral, ſondern auch von Recht die Rede. Erſt kurz vor- her war Bigamie in der peinlichen Halsgerichtsordnung als eins der ſchwerſten Verbrechen verpönt worden, 2 und der Landgraf fürchtete, daß das Reichsgericht und der Kaiſer in dieſer ſeiner zweiten Ehe neuen Anlaß zu einem rechtlichen Verfahren gegen ihn finden würden. Um ſich hiegegen zu ſichern, erſuchte er den Churfürſten, ihr Vertheidigungsbünd- niß auf den Fall zu erſtrecken, daß er um dieſer Sache wil- 1 10 Dez. 1539. D. W. V, 236. C. Ev. III, 850. 2 Art. 121, nach den Canoniſten und im Gegenſatz gegen die bambergiſche Conſtitution, welche Bigamie fuͤr nicht capital erklaͤrt. Gerſtlacher Handbuch der Reichsgeſetze Bd XI, ii, p. 2669. Mal- blanc Geſchichte der p. Gerichtsordnung p. 207. Uͤbrigens hatte der Landgraf die P. HGO. ſchon 1535 ſelbſt in ſeinem Lande eingefuͤhrt. 17*

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 4. Berlin, 1843, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation04_1843/271>, abgerufen am 26.11.2024.