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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 4. Berlin, 1843.

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Doppel-Ehe des Landgrafen Philipp.
neuen Lehre fast mit theologischer Gelehrsamkeit durchdrun-
gen hatte, wie fest er daran hielt, wie gewaltig er derselben
dann nach allen Seiten hin Bahn eröffnete. Allein wir er-
innern uns auch, daß er der Genossenschaft des Glaubens
und der Politik der er angehörte, durch übereiltes Zufahren,
z. B. in den packischen Händeln, zuweilen auch Schaden ge-
than, üble Nachrede zugezogen hat. Etwas weit Schlimme-
res aber, ganz persönlicher Art, ereignete sich jetzt. Von
sinnlich derber Natur, häufig auf Reisen und in Gesellschaf-
ten, wo man zu spielen und zechen liebte, niemals geübt sich
selbst zu beherrschen, ohne Zweifel religiös ergriffen aber
darum noch nicht moralisch gebildet wie er war, verfiel er
dann und wann in grobe Ausschweifungen. Seine Gemah-
lin, mit der er sich in sehr frühen Jahren vermählt, erweckte
ihm durch körperliche Übelstände und unangenehme Gewohn-
heiten eher Widerwillen. Indem er ihr nun aber untreu
wurde, fühlte er sich als ein guter evangelischer Christ in
seinem Gewissen bedrängt: er glaubte sich der höchsten Ver-
söhnung, die ihm die Kirche darbot, des Genusses der Eu-
charistie enthalten zu müssen, wie sehr er auch in seiner
Seele darnach Verlangen trug; aber diese Entsagung machte
seinen Zustand nur ärger. Er dachte oft, indem er das
Schwert für die evangelische Kirche, für das Wort Gottes
zog, wenn ihn eine Kugel treffe, fahre er doch zum Teufel.

In diesem Zustand lernte er am Hofe seiner Schwester
zu Rochlitz ein junges Fräulein kennen, Margaretha von der
Saal
, die seine ganze Neigung fesselte, aber von ihrer Mut-
ter geleitet seinen ungesetzmäßigen Bewerbungen so vielen

Ranke D. Gesch. IV. 17

Doppel-Ehe des Landgrafen Philipp.
neuen Lehre faſt mit theologiſcher Gelehrſamkeit durchdrun-
gen hatte, wie feſt er daran hielt, wie gewaltig er derſelben
dann nach allen Seiten hin Bahn eröffnete. Allein wir er-
innern uns auch, daß er der Genoſſenſchaft des Glaubens
und der Politik der er angehörte, durch übereiltes Zufahren,
z. B. in den packiſchen Händeln, zuweilen auch Schaden ge-
than, üble Nachrede zugezogen hat. Etwas weit Schlimme-
res aber, ganz perſönlicher Art, ereignete ſich jetzt. Von
ſinnlich derber Natur, häufig auf Reiſen und in Geſellſchaf-
ten, wo man zu ſpielen und zechen liebte, niemals geübt ſich
ſelbſt zu beherrſchen, ohne Zweifel religiös ergriffen aber
darum noch nicht moraliſch gebildet wie er war, verfiel er
dann und wann in grobe Ausſchweifungen. Seine Gemah-
lin, mit der er ſich in ſehr frühen Jahren vermählt, erweckte
ihm durch körperliche Übelſtände und unangenehme Gewohn-
heiten eher Widerwillen. Indem er ihr nun aber untreu
wurde, fühlte er ſich als ein guter evangeliſcher Chriſt in
ſeinem Gewiſſen bedrängt: er glaubte ſich der höchſten Ver-
ſöhnung, die ihm die Kirche darbot, des Genuſſes der Eu-
chariſtie enthalten zu müſſen, wie ſehr er auch in ſeiner
Seele darnach Verlangen trug; aber dieſe Entſagung machte
ſeinen Zuſtand nur ärger. Er dachte oft, indem er das
Schwert für die evangeliſche Kirche, für das Wort Gottes
zog, wenn ihn eine Kugel treffe, fahre er doch zum Teufel.

In dieſem Zuſtand lernte er am Hofe ſeiner Schweſter
zu Rochlitz ein junges Fräulein kennen, Margaretha von der
Saal
, die ſeine ganze Neigung feſſelte, aber von ihrer Mut-
ter geleitet ſeinen ungeſetzmäßigen Bewerbungen ſo vielen

Ranke D. Geſch. IV. 17
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[257/0269] Doppel-Ehe des Landgrafen Philipp. neuen Lehre faſt mit theologiſcher Gelehrſamkeit durchdrun- gen hatte, wie feſt er daran hielt, wie gewaltig er derſelben dann nach allen Seiten hin Bahn eröffnete. Allein wir er- innern uns auch, daß er der Genoſſenſchaft des Glaubens und der Politik der er angehörte, durch übereiltes Zufahren, z. B. in den packiſchen Händeln, zuweilen auch Schaden ge- than, üble Nachrede zugezogen hat. Etwas weit Schlimme- res aber, ganz perſönlicher Art, ereignete ſich jetzt. Von ſinnlich derber Natur, häufig auf Reiſen und in Geſellſchaf- ten, wo man zu ſpielen und zechen liebte, niemals geübt ſich ſelbſt zu beherrſchen, ohne Zweifel religiös ergriffen aber darum noch nicht moraliſch gebildet wie er war, verfiel er dann und wann in grobe Ausſchweifungen. Seine Gemah- lin, mit der er ſich in ſehr frühen Jahren vermählt, erweckte ihm durch körperliche Übelſtände und unangenehme Gewohn- heiten eher Widerwillen. Indem er ihr nun aber untreu wurde, fühlte er ſich als ein guter evangeliſcher Chriſt in ſeinem Gewiſſen bedrängt: er glaubte ſich der höchſten Ver- ſöhnung, die ihm die Kirche darbot, des Genuſſes der Eu- chariſtie enthalten zu müſſen, wie ſehr er auch in ſeiner Seele darnach Verlangen trug; aber dieſe Entſagung machte ſeinen Zuſtand nur ärger. Er dachte oft, indem er das Schwert für die evangeliſche Kirche, für das Wort Gottes zog, wenn ihn eine Kugel treffe, fahre er doch zum Teufel. In dieſem Zuſtand lernte er am Hofe ſeiner Schweſter zu Rochlitz ein junges Fräulein kennen, Margaretha von der Saal, die ſeine ganze Neigung feſſelte, aber von ihrer Mut- ter geleitet ſeinen ungeſetzmäßigen Bewerbungen ſo vielen Ranke D. Geſch. IV. 17

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 4. Berlin, 1843, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation04_1843/269>, abgerufen am 25.11.2024.