Die Entscheidung zwischen beiden konnte dem Kaiser, in der Lage in der man war, nicht schwer fallen.
Die Protestanten anzugreifen, zu einer Zeit wo sie Eng- land auf ihrer Seite hatten, Cleve an sich ziehn, und die religiösen Sympathien die in den Niederlanden verbreitet waren erwecken konnten, wo ferner ein Angriff der Osma- nen drohte und sich nicht absehen ließ welche Politik Frank- reich nunmehr ergreifen würde, war ein Ding der Unmög- lichkeit. Granvella soll dem Kaiser gesagt haben, der Krieg mit ihnen setze seine Krone in Gefahr. 1
Und hatten sie nicht überdieß durch den Vertrag zu Frankfurt neue gegründete Ansprüche gewonnen?
Zunächst ersuchte sie der Kaiser durch die Grafen Nue- nar und Manderscheid, ihre Sache ihm zu überlassen: er werde einige Gelehrte unter dem Vorsitz Granvellas ver- sammeln um von den streitigen Artikeln gründlich zu reden und eine Concordia zu machen. Aber die Protestanten wa- ren nicht gewohnt, von einem ihnen einmal zu Theil gewor- denen Zugeständniß wieder zurückzutreten: sie blieben dabei, eine öffentliche Verhandlung vor den Ständen des Reiches zu fordern.
Da sie sich standhaft zeigten, so mußte der Kaiser ihnen am Ende nachgeben. Er entschloß sich, eine Versammlung nach Speier auszuschreiben, "um die Dinge dahin zu rich- ten," wie es in dem Ausschreiben heißt, "daß der langwie- rige Zwiespalt der Religion einmal zu christlicher Vergleichung gebracht werde."
Das war nun aber doch nichts anders als was einst in Frankfurt beschlossen worden. Vergebens ergoß sich der
1 Aus dem Munde von Naves: Schreiben bei Neudeckerp. 601.
Wechſel politiſcher Tendenzen.
Die Entſcheidung zwiſchen beiden konnte dem Kaiſer, in der Lage in der man war, nicht ſchwer fallen.
Die Proteſtanten anzugreifen, zu einer Zeit wo ſie Eng- land auf ihrer Seite hatten, Cleve an ſich ziehn, und die religiöſen Sympathien die in den Niederlanden verbreitet waren erwecken konnten, wo ferner ein Angriff der Osma- nen drohte und ſich nicht abſehen ließ welche Politik Frank- reich nunmehr ergreifen würde, war ein Ding der Unmög- lichkeit. Granvella ſoll dem Kaiſer geſagt haben, der Krieg mit ihnen ſetze ſeine Krone in Gefahr. 1
Und hatten ſie nicht überdieß durch den Vertrag zu Frankfurt neue gegründete Anſprüche gewonnen?
Zunächſt erſuchte ſie der Kaiſer durch die Grafen Nue- nar und Manderſcheid, ihre Sache ihm zu überlaſſen: er werde einige Gelehrte unter dem Vorſitz Granvellas ver- ſammeln um von den ſtreitigen Artikeln gründlich zu reden und eine Concordia zu machen. Aber die Proteſtanten wa- ren nicht gewohnt, von einem ihnen einmal zu Theil gewor- denen Zugeſtändniß wieder zurückzutreten: ſie blieben dabei, eine öffentliche Verhandlung vor den Ständen des Reiches zu fordern.
Da ſie ſich ſtandhaft zeigten, ſo mußte der Kaiſer ihnen am Ende nachgeben. Er entſchloß ſich, eine Verſammlung nach Speier auszuſchreiben, „um die Dinge dahin zu rich- ten,“ wie es in dem Ausſchreiben heißt, „daß der langwie- rige Zwieſpalt der Religion einmal zu chriſtlicher Vergleichung gebracht werde.“
Das war nun aber doch nichts anders als was einſt in Frankfurt beſchloſſen worden. Vergebens ergoß ſich der
1 Aus dem Munde von Naves: Schreiben bei Neudeckerp. 601.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0201"n="189"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Wechſel politiſcher Tendenzen</hi>.</fw><lb/><p>Die Entſcheidung zwiſchen beiden konnte dem Kaiſer,<lb/>
in der Lage in der man war, nicht ſchwer fallen.</p><lb/><p>Die Proteſtanten anzugreifen, zu einer Zeit wo ſie <placeName>Eng-<lb/>
land</placeName> auf ihrer Seite hatten, <placeName>Cleve</placeName> an ſich ziehn, und die<lb/>
religiöſen Sympathien die in den <placeName>Niederlanden</placeName> verbreitet<lb/>
waren erwecken konnten, wo ferner ein Angriff der Osma-<lb/>
nen drohte und ſich nicht abſehen ließ welche Politik <placeName>Frank-<lb/>
reich</placeName> nunmehr ergreifen würde, war ein Ding der Unmög-<lb/>
lichkeit. <persNameref="http://d-nb.info/gnd/118718444">Granvella</persName>ſoll dem Kaiſer geſagt haben, der Krieg<lb/>
mit ihnen ſetze ſeine Krone in Gefahr. <noteplace="foot"n="1">Aus dem Munde von <persNameref="http://d-nb.info/gnd/137999100">Naves</persName>: Schreiben bei <persNameref="http://d-nb.info/gnd/104286067 ">Neudecker</persName><hirendition="#aq">p.</hi> 601.</note></p><lb/><p>Und hatten ſie nicht überdieß durch den Vertrag zu<lb/><placeName>Frankfurt</placeName> neue gegründete Anſprüche gewonnen?</p><lb/><p>Zunächſt erſuchte ſie der Kaiſer durch die Grafen <persNameref="http://d-nb.info/gnd/189560185">Nue-<lb/>
nar</persName> und <persNameref="nognd">Manderſcheid</persName>, ihre Sache ihm zu überlaſſen: er<lb/>
werde einige Gelehrte unter dem Vorſitz <persNameref="http://d-nb.info/gnd/118718444">Granvellas</persName> ver-<lb/>ſammeln um von den ſtreitigen Artikeln gründlich zu reden<lb/>
und eine Concordia zu machen. Aber die Proteſtanten wa-<lb/>
ren nicht gewohnt, von einem ihnen einmal zu Theil gewor-<lb/>
denen Zugeſtändniß wieder zurückzutreten: ſie blieben dabei,<lb/>
eine öffentliche Verhandlung vor den Ständen des Reiches<lb/>
zu fordern.</p><lb/><p>Da ſie ſich ſtandhaft zeigten, ſo mußte der Kaiſer ihnen<lb/>
am Ende nachgeben. Er entſchloß ſich, eine Verſammlung<lb/>
nach <placeName>Speier</placeName> auszuſchreiben, „um die Dinge dahin zu rich-<lb/>
ten,“ wie es in dem Ausſchreiben heißt, „daß der langwie-<lb/>
rige Zwieſpalt der Religion einmal zu chriſtlicher Vergleichung<lb/>
gebracht werde.“</p><lb/><p>Das war nun aber doch nichts anders als was einſt<lb/>
in <placeName>Frankfurt</placeName> beſchloſſen worden. Vergebens ergoß ſich der<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[189/0201]
Wechſel politiſcher Tendenzen.
Die Entſcheidung zwiſchen beiden konnte dem Kaiſer,
in der Lage in der man war, nicht ſchwer fallen.
Die Proteſtanten anzugreifen, zu einer Zeit wo ſie Eng-
land auf ihrer Seite hatten, Cleve an ſich ziehn, und die
religiöſen Sympathien die in den Niederlanden verbreitet
waren erwecken konnten, wo ferner ein Angriff der Osma-
nen drohte und ſich nicht abſehen ließ welche Politik Frank-
reich nunmehr ergreifen würde, war ein Ding der Unmög-
lichkeit. Granvella ſoll dem Kaiſer geſagt haben, der Krieg
mit ihnen ſetze ſeine Krone in Gefahr. 1
Und hatten ſie nicht überdieß durch den Vertrag zu
Frankfurt neue gegründete Anſprüche gewonnen?
Zunächſt erſuchte ſie der Kaiſer durch die Grafen Nue-
nar und Manderſcheid, ihre Sache ihm zu überlaſſen: er
werde einige Gelehrte unter dem Vorſitz Granvellas ver-
ſammeln um von den ſtreitigen Artikeln gründlich zu reden
und eine Concordia zu machen. Aber die Proteſtanten wa-
ren nicht gewohnt, von einem ihnen einmal zu Theil gewor-
denen Zugeſtändniß wieder zurückzutreten: ſie blieben dabei,
eine öffentliche Verhandlung vor den Ständen des Reiches
zu fordern.
Da ſie ſich ſtandhaft zeigten, ſo mußte der Kaiſer ihnen
am Ende nachgeben. Er entſchloß ſich, eine Verſammlung
nach Speier auszuſchreiben, „um die Dinge dahin zu rich-
ten,“ wie es in dem Ausſchreiben heißt, „daß der langwie-
rige Zwieſpalt der Religion einmal zu chriſtlicher Vergleichung
gebracht werde.“
Das war nun aber doch nichts anders als was einſt
in Frankfurt beſchloſſen worden. Vergebens ergoß ſich der
1 Aus dem Munde von Naves: Schreiben bei Neudecker p. 601.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 4. Berlin, 1843, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation04_1843/201>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.