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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 4. Berlin, 1843.

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Wechsel politischer Tendenzen.
sehens, zu dem er hiedurch in Rom aufsteigen, des kirchlichen
Nachruhms, den er sich verschaffen werde.

Die Politik des Kaisers hatte aber, wie wir wissen, noch
eine andre Seite: hier in den Niederlanden, unter den Ein-
flüssen die sich geltend machten, den neuen Betrachtungen
die sich aufdrängten, trat auch diese wieder hervor.

König Ferdinand, auf dessen Einwilligung sich der Kai-
ser immer bezogen, erschien unverweilt daselbst, und wir be-
greifen leicht, daß er mit den Combinationen mit denen man
sich trug, nicht zufrieden war. Seinem ältesten Sohne war
bisher die Tochter des Kaisers zugedacht gewesen: eine Ver-
bindung von der größten Aussicht, da dem Kaiser nur Ein
Sohn lebte und Spanien so oft durch Frauen vererbt wor-
den war. Nicht allein gieng ihm diese verloren: in der Ent-
fremdung der Niederlande lag ein Verlust für das gesammte
Haus. Die Mitglieder des niederländischen Adels, welche
der Kaiser befragte, erklärten sich dawider. Ja selbst Mai-
land
wurde gefährdet. Der zweite Sohn des römischen Kö-
nigs konnte wohl niemals so stark werden, um dieß von
allen Seiten zweifelhaften Nachbarn ausgesetzte Gebiet zu
behaupten: schon hörte man von weitaussehenden Ent-
würfen die in Italien daran geknüpft wurden. Und war
denn endlich die Freundschaft des Königs von Frankreich
eines so hohen Preises werth? Wenigstens König Ferdi-
nand
konnte nicht rühmen daß der Einfluß desselben auf die
Osmanen sich im gegenwärtigen Augenblick vortheilhaft er-
weise. An den ungarischen Grenzen sah er sich mit dem
gefährlichsten Kriege bedroht. Wie dann, wenn man den
Rathschlägen des Papstes folgte, mit England und den deut-

Ranke D. Gesch. IV. 12

Wechſel politiſcher Tendenzen.
ſehens, zu dem er hiedurch in Rom aufſteigen, des kirchlichen
Nachruhms, den er ſich verſchaffen werde.

Die Politik des Kaiſers hatte aber, wie wir wiſſen, noch
eine andre Seite: hier in den Niederlanden, unter den Ein-
flüſſen die ſich geltend machten, den neuen Betrachtungen
die ſich aufdrängten, trat auch dieſe wieder hervor.

König Ferdinand, auf deſſen Einwilligung ſich der Kai-
ſer immer bezogen, erſchien unverweilt daſelbſt, und wir be-
greifen leicht, daß er mit den Combinationen mit denen man
ſich trug, nicht zufrieden war. Seinem älteſten Sohne war
bisher die Tochter des Kaiſers zugedacht geweſen: eine Ver-
bindung von der größten Ausſicht, da dem Kaiſer nur Ein
Sohn lebte und Spanien ſo oft durch Frauen vererbt wor-
den war. Nicht allein gieng ihm dieſe verloren: in der Ent-
fremdung der Niederlande lag ein Verluſt für das geſammte
Haus. Die Mitglieder des niederländiſchen Adels, welche
der Kaiſer befragte, erklärten ſich dawider. Ja ſelbſt Mai-
land
wurde gefährdet. Der zweite Sohn des römiſchen Kö-
nigs konnte wohl niemals ſo ſtark werden, um dieß von
allen Seiten zweifelhaften Nachbarn ausgeſetzte Gebiet zu
behaupten: ſchon hörte man von weitausſehenden Ent-
würfen die in Italien daran geknüpft wurden. Und war
denn endlich die Freundſchaft des Königs von Frankreich
eines ſo hohen Preiſes werth? Wenigſtens König Ferdi-
nand
konnte nicht rühmen daß der Einfluß deſſelben auf die
Osmanen ſich im gegenwärtigen Augenblick vortheilhaft er-
weiſe. An den ungariſchen Grenzen ſah er ſich mit dem
gefährlichſten Kriege bedroht. Wie dann, wenn man den
Rathſchlägen des Papſtes folgte, mit England und den deut-

Ranke D. Geſch. IV. 12
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[177/0189] Wechſel politiſcher Tendenzen. ſehens, zu dem er hiedurch in Rom aufſteigen, des kirchlichen Nachruhms, den er ſich verſchaffen werde. Die Politik des Kaiſers hatte aber, wie wir wiſſen, noch eine andre Seite: hier in den Niederlanden, unter den Ein- flüſſen die ſich geltend machten, den neuen Betrachtungen die ſich aufdrängten, trat auch dieſe wieder hervor. König Ferdinand, auf deſſen Einwilligung ſich der Kai- ſer immer bezogen, erſchien unverweilt daſelbſt, und wir be- greifen leicht, daß er mit den Combinationen mit denen man ſich trug, nicht zufrieden war. Seinem älteſten Sohne war bisher die Tochter des Kaiſers zugedacht geweſen: eine Ver- bindung von der größten Ausſicht, da dem Kaiſer nur Ein Sohn lebte und Spanien ſo oft durch Frauen vererbt wor- den war. Nicht allein gieng ihm dieſe verloren: in der Ent- fremdung der Niederlande lag ein Verluſt für das geſammte Haus. Die Mitglieder des niederländiſchen Adels, welche der Kaiſer befragte, erklärten ſich dawider. Ja ſelbſt Mai- land wurde gefährdet. Der zweite Sohn des römiſchen Kö- nigs konnte wohl niemals ſo ſtark werden, um dieß von allen Seiten zweifelhaften Nachbarn ausgeſetzte Gebiet zu behaupten: ſchon hörte man von weitausſehenden Ent- würfen die in Italien daran geknüpft wurden. Und war denn endlich die Freundſchaft des Königs von Frankreich eines ſo hohen Preiſes werth? Wenigſtens König Ferdi- nand konnte nicht rühmen daß der Einfluß deſſelben auf die Osmanen ſich im gegenwärtigen Augenblick vortheilhaft er- weiſe. An den ungariſchen Grenzen ſah er ſich mit dem gefährlichſten Kriege bedroht. Wie dann, wenn man den Rathſchlägen des Papſtes folgte, mit England und den deut- Ranke D. Geſch. IV. 12

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 4. Berlin, 1843, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation04_1843/189>, abgerufen am 24.11.2024.