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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 4. Berlin, 1843.

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Siebentes Buch.
dungen und Gebote, die derselben widersprechen, wollen sie
wegschaffen. Und wie hätte Luther die Vermischung geistli-
cher und weltlicher Elemente, die ihm am Papstthum fast
am meisten verhaßt war, auf der entgegengesetzten Seite wie-
der um sich greifen lassen sollen? Er hätte damit sich selbst
aufgegeben. Eben darin zeigt sich der ächte, zur thätigen
Theilnahme an der Fortbildung der Welt berufene Geist, daß
seine innere Natur und die verborgene Nothwendigkeit der
Dinge zusammentreffen. Der große Reformator war, wenn
wir uns hier eines Ausdrucks unserer Tage bedienen dürfen,
zugleich einer der größten Conservativen welche je gelebt
haben.

In verwandtem Sinne begriffen nun auch die Prote-
stanten ihr Verhältniß zum Reiche.

Wir wollen den Widerstand den sie fanden nicht auch,
wie so oft geschieht, lediglich von Willkühr oder Neigung
zur Gewaltsamkeit herleiten. Zu tief waren die hierarchischen
Einwirkungen in das öffentliche Recht eingedrungen; zu enge
waren schon seit den Zeiten Winfrieds die Bischöfe des Reiches
und seit mehreren Jahrhunderten auch die Kaiser dem römi-
schen Stuhle verpflichtet, als daß sie einem Abfall von dem-
selben ruhig hätten zusehen sollen. Wenn die Reformation
ihrerseits zur Vermehrung der Territorialmacht nicht wenig
beitrug, so gab es doch auch auf der andern Seite Fürsten
die in ihrer Verbindung mit Rom die Mittel zu einem ähn-
lichen Wachsthum suchten und fanden. Die Idee der unge-
trennten Einheit der Christenheit, welche die Gemüther Jahr-
hunderte lang beherrscht, konnte unmöglich mit einem Mal
so unwirksam geworden seyn, um gar keinen Anklang weiter
zu finden.


Siebentes Buch.
dungen und Gebote, die derſelben widerſprechen, wollen ſie
wegſchaffen. Und wie hätte Luther die Vermiſchung geiſtli-
cher und weltlicher Elemente, die ihm am Papſtthum faſt
am meiſten verhaßt war, auf der entgegengeſetzten Seite wie-
der um ſich greifen laſſen ſollen? Er hätte damit ſich ſelbſt
aufgegeben. Eben darin zeigt ſich der ächte, zur thätigen
Theilnahme an der Fortbildung der Welt berufene Geiſt, daß
ſeine innere Natur und die verborgene Nothwendigkeit der
Dinge zuſammentreffen. Der große Reformator war, wenn
wir uns hier eines Ausdrucks unſerer Tage bedienen dürfen,
zugleich einer der größten Conſervativen welche je gelebt
haben.

In verwandtem Sinne begriffen nun auch die Prote-
ſtanten ihr Verhältniß zum Reiche.

Wir wollen den Widerſtand den ſie fanden nicht auch,
wie ſo oft geſchieht, lediglich von Willkühr oder Neigung
zur Gewaltſamkeit herleiten. Zu tief waren die hierarchiſchen
Einwirkungen in das öffentliche Recht eingedrungen; zu enge
waren ſchon ſeit den Zeiten Winfrieds die Biſchöfe des Reiches
und ſeit mehreren Jahrhunderten auch die Kaiſer dem römi-
ſchen Stuhle verpflichtet, als daß ſie einem Abfall von dem-
ſelben ruhig hätten zuſehen ſollen. Wenn die Reformation
ihrerſeits zur Vermehrung der Territorialmacht nicht wenig
beitrug, ſo gab es doch auch auf der andern Seite Fürſten
die in ihrer Verbindung mit Rom die Mittel zu einem ähn-
lichen Wachsthum ſuchten und fanden. Die Idee der unge-
trennten Einheit der Chriſtenheit, welche die Gemüther Jahr-
hunderte lang beherrſcht, konnte unmöglich mit einem Mal
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[6/0018] Siebentes Buch. dungen und Gebote, die derſelben widerſprechen, wollen ſie wegſchaffen. Und wie hätte Luther die Vermiſchung geiſtli- cher und weltlicher Elemente, die ihm am Papſtthum faſt am meiſten verhaßt war, auf der entgegengeſetzten Seite wie- der um ſich greifen laſſen ſollen? Er hätte damit ſich ſelbſt aufgegeben. Eben darin zeigt ſich der ächte, zur thätigen Theilnahme an der Fortbildung der Welt berufene Geiſt, daß ſeine innere Natur und die verborgene Nothwendigkeit der Dinge zuſammentreffen. Der große Reformator war, wenn wir uns hier eines Ausdrucks unſerer Tage bedienen dürfen, zugleich einer der größten Conſervativen welche je gelebt haben. In verwandtem Sinne begriffen nun auch die Prote- ſtanten ihr Verhältniß zum Reiche. Wir wollen den Widerſtand den ſie fanden nicht auch, wie ſo oft geſchieht, lediglich von Willkühr oder Neigung zur Gewaltſamkeit herleiten. Zu tief waren die hierarchiſchen Einwirkungen in das öffentliche Recht eingedrungen; zu enge waren ſchon ſeit den Zeiten Winfrieds die Biſchöfe des Reiches und ſeit mehreren Jahrhunderten auch die Kaiſer dem römi- ſchen Stuhle verpflichtet, als daß ſie einem Abfall von dem- ſelben ruhig hätten zuſehen ſollen. Wenn die Reformation ihrerſeits zur Vermehrung der Territorialmacht nicht wenig beitrug, ſo gab es doch auch auf der andern Seite Fürſten die in ihrer Verbindung mit Rom die Mittel zu einem ähn- lichen Wachsthum ſuchten und fanden. Die Idee der unge- trennten Einheit der Chriſtenheit, welche die Gemüther Jahr- hunderte lang beherrſcht, konnte unmöglich mit einem Mal ſo unwirkſam geworden ſeyn, um gar keinen Anklang weiter zu finden.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 4. Berlin, 1843, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation04_1843/18>, abgerufen am 24.11.2024.