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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 4. Berlin, 1843.

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Siebentes Buch. Drittes Capitel.

Wir bemerken das Eigenthümliche seiner Stellung. Was
Andere abhalten mochte, sich der Neuerung zuzuwenden, --
Liebe zum Frieden, Widerwille gegen nachbarlichen Hader
und Verdruß, -- war für ihn ein Motiv, sich derselben viel-
mehr zu nähern.

Zuerst faßte er, wie wir wissen, den seiner Sinnesart
entsprechenden Gedanken, eine Vermittelung zwischen den
kriegsbereiten Parteien selbst zu versuchen. Die Übereinkunft
zu Frankfurt, nach welcher innerhalb der Nation eine
Entscheidung der religiösen Streitigkeiten herbeigeführt wer-
den sollte, war ganz nach seinem Herzen, und zum Theil
sein Werk.

Eben hier aber wurde er inne, daß er auch wohl selbst
einen Schritt weiter thun könne.

Wenn irgendwo, so legte sich in Frankfurt an den
Tag, welch ein mächtiges Übergewicht die reformatorische
Tendenz in der Nation gewonnen hatte. Die Abgeordne-
ten des Kaisers und des Königs ließen sogar eine gewisse
Entrüstung gegen den Papst blicken, dem sie die Verzöge-
rung des Conciliums und der so oft versprochenen Reform
allein Schuld gaben.

Zugleich traten auf einer andern Seite, in dem eignen
Lande Joachims die ersten entschiedenen protestantischen Re-
gungen hervor.

Was gewöhnlich erzählt wird, die gesammte Landschaft
habe den Fürsten schon früher ersucht, die Veränderung vor-
zunehmen, kann ich doch nicht gegründet finden.

Auf dem ersten Landtag, den Joachim II im Septem-
ber 1538 hielt, auf welchem er, wie herkömmlich, die Pri-

Siebentes Buch. Drittes Capitel.

Wir bemerken das Eigenthümliche ſeiner Stellung. Was
Andere abhalten mochte, ſich der Neuerung zuzuwenden, —
Liebe zum Frieden, Widerwille gegen nachbarlichen Hader
und Verdruß, — war für ihn ein Motiv, ſich derſelben viel-
mehr zu nähern.

Zuerſt faßte er, wie wir wiſſen, den ſeiner Sinnesart
entſprechenden Gedanken, eine Vermittelung zwiſchen den
kriegsbereiten Parteien ſelbſt zu verſuchen. Die Übereinkunft
zu Frankfurt, nach welcher innerhalb der Nation eine
Entſcheidung der religiöſen Streitigkeiten herbeigeführt wer-
den ſollte, war ganz nach ſeinem Herzen, und zum Theil
ſein Werk.

Eben hier aber wurde er inne, daß er auch wohl ſelbſt
einen Schritt weiter thun könne.

Wenn irgendwo, ſo legte ſich in Frankfurt an den
Tag, welch ein mächtiges Übergewicht die reformatoriſche
Tendenz in der Nation gewonnen hatte. Die Abgeordne-
ten des Kaiſers und des Königs ließen ſogar eine gewiſſe
Entrüſtung gegen den Papſt blicken, dem ſie die Verzöge-
rung des Conciliums und der ſo oft verſprochenen Reform
allein Schuld gaben.

Zugleich traten auf einer andern Seite, in dem eignen
Lande Joachims die erſten entſchiedenen proteſtantiſchen Re-
gungen hervor.

Was gewöhnlich erzählt wird, die geſammte Landſchaft
habe den Fürſten ſchon früher erſucht, die Veränderung vor-
zunehmen, kann ich doch nicht gegründet finden.

Auf dem erſten Landtag, den Joachim II im Septem-
ber 1538 hielt, auf welchem er, wie herkömmlich, die Pri-

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[152/0164] Siebentes Buch. Drittes Capitel. Wir bemerken das Eigenthümliche ſeiner Stellung. Was Andere abhalten mochte, ſich der Neuerung zuzuwenden, — Liebe zum Frieden, Widerwille gegen nachbarlichen Hader und Verdruß, — war für ihn ein Motiv, ſich derſelben viel- mehr zu nähern. Zuerſt faßte er, wie wir wiſſen, den ſeiner Sinnesart entſprechenden Gedanken, eine Vermittelung zwiſchen den kriegsbereiten Parteien ſelbſt zu verſuchen. Die Übereinkunft zu Frankfurt, nach welcher innerhalb der Nation eine Entſcheidung der religiöſen Streitigkeiten herbeigeführt wer- den ſollte, war ganz nach ſeinem Herzen, und zum Theil ſein Werk. Eben hier aber wurde er inne, daß er auch wohl ſelbſt einen Schritt weiter thun könne. Wenn irgendwo, ſo legte ſich in Frankfurt an den Tag, welch ein mächtiges Übergewicht die reformatoriſche Tendenz in der Nation gewonnen hatte. Die Abgeordne- ten des Kaiſers und des Königs ließen ſogar eine gewiſſe Entrüſtung gegen den Papſt blicken, dem ſie die Verzöge- rung des Conciliums und der ſo oft verſprochenen Reform allein Schuld gaben. Zugleich traten auf einer andern Seite, in dem eignen Lande Joachims die erſten entſchiedenen proteſtantiſchen Re- gungen hervor. Was gewöhnlich erzählt wird, die geſammte Landſchaft habe den Fürſten ſchon früher erſucht, die Veränderung vor- zunehmen, kann ich doch nicht gegründet finden. Auf dem erſten Landtag, den Joachim II im Septem- ber 1538 hielt, auf welchem er, wie herkömmlich, die Pri-

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 4. Berlin, 1843, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation04_1843/164>, abgerufen am 27.11.2024.