Wir bemerken das Eigenthümliche seiner Stellung. Was Andere abhalten mochte, sich der Neuerung zuzuwenden, -- Liebe zum Frieden, Widerwille gegen nachbarlichen Hader und Verdruß, -- war für ihn ein Motiv, sich derselben viel- mehr zu nähern.
Zuerst faßte er, wie wir wissen, den seiner Sinnesart entsprechenden Gedanken, eine Vermittelung zwischen den kriegsbereiten Parteien selbst zu versuchen. Die Übereinkunft zu Frankfurt, nach welcher innerhalb der Nation eine Entscheidung der religiösen Streitigkeiten herbeigeführt wer- den sollte, war ganz nach seinem Herzen, und zum Theil sein Werk.
Eben hier aber wurde er inne, daß er auch wohl selbst einen Schritt weiter thun könne.
Wenn irgendwo, so legte sich in Frankfurt an den Tag, welch ein mächtiges Übergewicht die reformatorische Tendenz in der Nation gewonnen hatte. Die Abgeordne- ten des Kaisers und des Königs ließen sogar eine gewisse Entrüstung gegen den Papst blicken, dem sie die Verzöge- rung des Conciliums und der so oft versprochenen Reform allein Schuld gaben.
Zugleich traten auf einer andern Seite, in dem eignen Lande Joachims die ersten entschiedenen protestantischen Re- gungen hervor.
Was gewöhnlich erzählt wird, die gesammte Landschaft habe den Fürsten schon früher ersucht, die Veränderung vor- zunehmen, kann ich doch nicht gegründet finden.
Auf dem ersten Landtag, den Joachim II im Septem- ber 1538 hielt, auf welchem er, wie herkömmlich, die Pri-
Siebentes Buch. Drittes Capitel.
Wir bemerken das Eigenthümliche ſeiner Stellung. Was Andere abhalten mochte, ſich der Neuerung zuzuwenden, — Liebe zum Frieden, Widerwille gegen nachbarlichen Hader und Verdruß, — war für ihn ein Motiv, ſich derſelben viel- mehr zu nähern.
Zuerſt faßte er, wie wir wiſſen, den ſeiner Sinnesart entſprechenden Gedanken, eine Vermittelung zwiſchen den kriegsbereiten Parteien ſelbſt zu verſuchen. Die Übereinkunft zu Frankfurt, nach welcher innerhalb der Nation eine Entſcheidung der religiöſen Streitigkeiten herbeigeführt wer- den ſollte, war ganz nach ſeinem Herzen, und zum Theil ſein Werk.
Eben hier aber wurde er inne, daß er auch wohl ſelbſt einen Schritt weiter thun könne.
Wenn irgendwo, ſo legte ſich in Frankfurt an den Tag, welch ein mächtiges Übergewicht die reformatoriſche Tendenz in der Nation gewonnen hatte. Die Abgeordne- ten des Kaiſers und des Königs ließen ſogar eine gewiſſe Entrüſtung gegen den Papſt blicken, dem ſie die Verzöge- rung des Conciliums und der ſo oft verſprochenen Reform allein Schuld gaben.
Zugleich traten auf einer andern Seite, in dem eignen Lande Joachims die erſten entſchiedenen proteſtantiſchen Re- gungen hervor.
Was gewöhnlich erzählt wird, die geſammte Landſchaft habe den Fürſten ſchon früher erſucht, die Veränderung vor- zunehmen, kann ich doch nicht gegründet finden.
Auf dem erſten Landtag, den Joachim II im Septem- ber 1538 hielt, auf welchem er, wie herkömmlich, die Pri-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0164"n="152"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Siebentes Buch. Drittes Capitel</hi>.</fw><lb/><p>Wir bemerken das Eigenthümliche ſeiner Stellung. Was<lb/>
Andere abhalten mochte, ſich der Neuerung zuzuwenden, —<lb/>
Liebe zum Frieden, Widerwille gegen nachbarlichen Hader<lb/>
und Verdruß, — war für ihn ein Motiv, ſich derſelben viel-<lb/>
mehr zu nähern.</p><lb/><p>Zuerſt faßte er, wie wir wiſſen, den ſeiner Sinnesart<lb/>
entſprechenden Gedanken, eine Vermittelung zwiſchen den<lb/>
kriegsbereiten Parteien ſelbſt zu verſuchen. Die Übereinkunft<lb/>
zu <placeName>Frankfurt</placeName>, nach welcher innerhalb der Nation eine<lb/>
Entſcheidung der religiöſen Streitigkeiten herbeigeführt wer-<lb/>
den ſollte, war ganz nach ſeinem Herzen, und zum Theil<lb/>ſein Werk.</p><lb/><p>Eben hier aber wurde er inne, daß er auch wohl ſelbſt<lb/>
einen Schritt weiter thun könne.</p><lb/><p>Wenn irgendwo, ſo legte ſich in <placeName>Frankfurt</placeName> an den<lb/>
Tag, welch ein mächtiges Übergewicht die reformatoriſche<lb/>
Tendenz in der Nation gewonnen hatte. Die Abgeordne-<lb/>
ten des Kaiſers und des Königs ließen ſogar eine gewiſſe<lb/>
Entrüſtung gegen den Papſt blicken, dem ſie die Verzöge-<lb/>
rung des Conciliums und der ſo oft verſprochenen Reform<lb/>
allein Schuld gaben.</p><lb/><p>Zugleich traten auf einer andern Seite, in dem eignen<lb/>
Lande <persNameref="http://d-nb.info/gnd/118557556">Joachims</persName> die erſten entſchiedenen proteſtantiſchen Re-<lb/>
gungen hervor.</p><lb/><p>Was gewöhnlich erzählt wird, die geſammte Landſchaft<lb/>
habe den Fürſten ſchon früher erſucht, die Veränderung vor-<lb/>
zunehmen, kann ich doch nicht gegründet finden.</p><lb/><p>Auf dem erſten Landtag, den <persNameref="http://d-nb.info/gnd/118557556">Joachim <hirendition="#aq">II</hi></persName> im Septem-<lb/>
ber 1538 hielt, auf welchem er, wie herkömmlich, die Pri-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[152/0164]
Siebentes Buch. Drittes Capitel.
Wir bemerken das Eigenthümliche ſeiner Stellung. Was
Andere abhalten mochte, ſich der Neuerung zuzuwenden, —
Liebe zum Frieden, Widerwille gegen nachbarlichen Hader
und Verdruß, — war für ihn ein Motiv, ſich derſelben viel-
mehr zu nähern.
Zuerſt faßte er, wie wir wiſſen, den ſeiner Sinnesart
entſprechenden Gedanken, eine Vermittelung zwiſchen den
kriegsbereiten Parteien ſelbſt zu verſuchen. Die Übereinkunft
zu Frankfurt, nach welcher innerhalb der Nation eine
Entſcheidung der religiöſen Streitigkeiten herbeigeführt wer-
den ſollte, war ganz nach ſeinem Herzen, und zum Theil
ſein Werk.
Eben hier aber wurde er inne, daß er auch wohl ſelbſt
einen Schritt weiter thun könne.
Wenn irgendwo, ſo legte ſich in Frankfurt an den
Tag, welch ein mächtiges Übergewicht die reformatoriſche
Tendenz in der Nation gewonnen hatte. Die Abgeordne-
ten des Kaiſers und des Königs ließen ſogar eine gewiſſe
Entrüſtung gegen den Papſt blicken, dem ſie die Verzöge-
rung des Conciliums und der ſo oft verſprochenen Reform
allein Schuld gaben.
Zugleich traten auf einer andern Seite, in dem eignen
Lande Joachims die erſten entſchiedenen proteſtantiſchen Re-
gungen hervor.
Was gewöhnlich erzählt wird, die geſammte Landſchaft
habe den Fürſten ſchon früher erſucht, die Veränderung vor-
zunehmen, kann ich doch nicht gegründet finden.
Auf dem erſten Landtag, den Joachim II im Septem-
ber 1538 hielt, auf welchem er, wie herkömmlich, die Pri-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 4. Berlin, 1843, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation04_1843/164>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.