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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

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Emancipation von Zürich 1523.
gefaßt, und in Verbindung mit einigen Abgeordneten des
Rathes ausgeführt. Die Stolgebühren wurden bei weitem
zum größten Theil erlassen; über die Zehnten und übrigen
Renten ward eine solche Verfügung getroffen, daß sich eine
recht bedeutende und einflußreiche Lehranstalt da entwickeln
konnte. Noch mehr Aufsehn aber als alles Andre machten
die Zweifel über die Verehrung der Bilder und über die
Messe, zwei Fragen, die nun von Tage zu Tage stärker her-
vortraten. Schon erschienen Schriften gegen den Meßcanon;
an den Heiligenbildern wurde Gewalt geübt. Der Rath hielt
für nothwendig, diese Fragen einer besondern geistlichen Ver-
sammlung vorzulegen, die im October 1523 Statt fand.

Und schärfer konnte nun wohl die Autonomie einer sich
von dem großen hierarchischen Zusammenhang trennenden
und selber constituirenden Genossenschaft nicht hervortreten,
als bei dieser Versammlung. Der Bischof von Costnitz hü-
tete sich wohl, abermals Gesandte zu schicken. Der alte
Conrad Hofmann, früher Zwingli's Beförderer, wiederholte
vergeblich, daß die Gemeinde nicht befugt sey, über Dinge
dieser Art zu disputiren. 1 Eben das war Zwingli's Prin-
zip, daß die Kirche nicht in Papst, Cardinälen, Bischöfen
und deren Versammlungen bestehe, sondern die Gemeinde,
die Kilchhöri, das sey die Kirche wie die erste Kirche zu
Jerusalem: Actorum XV. 2 Jetzt waren es in der That

1 "Ich bin 10 oder 13 Jahre zu Heidelberg gewesen, -- --
so bin ich bei einem gelehrten Mann gewesen, derselbige hieß Doc-
tor Joß: ein guter frommer Mann, mit demselbigen habe ich geessen
und getrunken dick, -- -- da habe ich alle mein Tag gehöret, es
zieme sich nicht von diesen Dingen zu disputiren."
2 "Ja Höng und Küßnacht ist eine gewissere Kirche, denn alle
zusammengerottete Bischöfe und Päpste." Die Versammlung selbst

Emancipation von Zuͤrich 1523.
gefaßt, und in Verbindung mit einigen Abgeordneten des
Rathes ausgeführt. Die Stolgebühren wurden bei weitem
zum größten Theil erlaſſen; über die Zehnten und übrigen
Renten ward eine ſolche Verfügung getroffen, daß ſich eine
recht bedeutende und einflußreiche Lehranſtalt da entwickeln
konnte. Noch mehr Aufſehn aber als alles Andre machten
die Zweifel über die Verehrung der Bilder und über die
Meſſe, zwei Fragen, die nun von Tage zu Tage ſtärker her-
vortraten. Schon erſchienen Schriften gegen den Meßcanon;
an den Heiligenbildern wurde Gewalt geübt. Der Rath hielt
für nothwendig, dieſe Fragen einer beſondern geiſtlichen Ver-
ſammlung vorzulegen, die im October 1523 Statt fand.

Und ſchärfer konnte nun wohl die Autonomie einer ſich
von dem großen hierarchiſchen Zuſammenhang trennenden
und ſelber conſtituirenden Genoſſenſchaft nicht hervortreten,
als bei dieſer Verſammlung. Der Biſchof von Coſtnitz hü-
tete ſich wohl, abermals Geſandte zu ſchicken. Der alte
Conrad Hofmann, früher Zwingli’s Beförderer, wiederholte
vergeblich, daß die Gemeinde nicht befugt ſey, über Dinge
dieſer Art zu disputiren. 1 Eben das war Zwingli’s Prin-
zip, daß die Kirche nicht in Papſt, Cardinälen, Biſchöfen
und deren Verſammlungen beſtehe, ſondern die Gemeinde,
die Kilchhöri, das ſey die Kirche wie die erſte Kirche zu
Jeruſalem: Actorum XV. 2 Jetzt waren es in der That

1 „Ich bin 10 oder 13 Jahre zu Heidelberg geweſen, — —
ſo bin ich bei einem gelehrten Mann geweſen, derſelbige hieß Doc-
tor Joß: ein guter frommer Mann, mit demſelbigen habe ich geeſſen
und getrunken dick, — — da habe ich alle mein Tag gehoͤret, es
zieme ſich nicht von dieſen Dingen zu disputiren.“
2 „Ja Hoͤng und Kuͤßnacht iſt eine gewiſſere Kirche, denn alle
zuſammengerottete Biſchoͤfe und Paͤpſte.“ Die Verſammlung ſelbſt
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[75/0091] Emancipation von Zuͤrich 1523. gefaßt, und in Verbindung mit einigen Abgeordneten des Rathes ausgeführt. Die Stolgebühren wurden bei weitem zum größten Theil erlaſſen; über die Zehnten und übrigen Renten ward eine ſolche Verfügung getroffen, daß ſich eine recht bedeutende und einflußreiche Lehranſtalt da entwickeln konnte. Noch mehr Aufſehn aber als alles Andre machten die Zweifel über die Verehrung der Bilder und über die Meſſe, zwei Fragen, die nun von Tage zu Tage ſtärker her- vortraten. Schon erſchienen Schriften gegen den Meßcanon; an den Heiligenbildern wurde Gewalt geübt. Der Rath hielt für nothwendig, dieſe Fragen einer beſondern geiſtlichen Ver- ſammlung vorzulegen, die im October 1523 Statt fand. Und ſchärfer konnte nun wohl die Autonomie einer ſich von dem großen hierarchiſchen Zuſammenhang trennenden und ſelber conſtituirenden Genoſſenſchaft nicht hervortreten, als bei dieſer Verſammlung. Der Biſchof von Coſtnitz hü- tete ſich wohl, abermals Geſandte zu ſchicken. Der alte Conrad Hofmann, früher Zwingli’s Beförderer, wiederholte vergeblich, daß die Gemeinde nicht befugt ſey, über Dinge dieſer Art zu disputiren. 1 Eben das war Zwingli’s Prin- zip, daß die Kirche nicht in Papſt, Cardinälen, Biſchöfen und deren Verſammlungen beſtehe, ſondern die Gemeinde, die Kilchhöri, das ſey die Kirche wie die erſte Kirche zu Jeruſalem: Actorum XV. 2 Jetzt waren es in der That 1 „Ich bin 10 oder 13 Jahre zu Heidelberg geweſen, — — ſo bin ich bei einem gelehrten Mann geweſen, derſelbige hieß Doc- tor Joß: ein guter frommer Mann, mit demſelbigen habe ich geeſſen und getrunken dick, — — da habe ich alle mein Tag gehoͤret, es zieme ſich nicht von dieſen Dingen zu disputiren.“ 2 „Ja Hoͤng und Kuͤßnacht iſt eine gewiſſere Kirche, denn alle zuſammengerottete Biſchoͤfe und Paͤpſte.“ Die Verſammlung ſelbſt

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/91>, abgerufen am 23.11.2024.