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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

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Fünftes Buch. Drittes Capitel.
vergnügtem Gespräch erheiterte. 1 So arbeitsam er war,
so viel er auch unternahm und zu Stande brachte, so wies
er doch Niemand von sich, er wußte einem Jedem etwas
Zufriedenstellendes zu sagen. Ein wohlgestalteter, kerngesun-
der Mann; wohlthätig und gutmüthig; heiter umgänglich
lebensfroh und dabei von den großartigsten Gedanken er-
füllt; ein ächter Republikaner.

Wollen wir ihn mit Luther vergleichen, so hatte er
nicht so gewaltige Stürme zu bestehen, wie sie in Luther
die geheimsten Tiefen des inneren Seelenlebens erschütterten.
Da er sich nie so unbedingt dem bestehenden Kirchenwesen
hingegeben, so hatte er sich auch jetzt nicht mit so gewalt-
samer und schmerzlicher Anstrengung davon loszureißen.
Was ihn zum Reformator machte, war nicht jenes tie-
fere Verständniß der Idee des Glaubens und ihres Ver-
hältnisses zur Erlösung, von welchem Luther ausgegangen,
sondern vor allem, daß er bei seinem wahrheitsuchenden Stu-
dium der Schrift, Kirche und Leben mit dem allgemeinen
Inhalt derselben in Widerspruch begriffen sah. Auch war
Zwingli kein Universitätsgelehrter; die herrschenden Lehrmei-
nungen hatte er niemals ernstlich getheilt: eine hohe Schule
umzubilden, festhaltend an allem was sich erhalten ließ, und
abweichend nur in den wesentlichsten Puncten, war nicht sein
Beruf. Die Aufgabe seines Lebens sah er vielmehr darin,
die Republik, die ihn aufgenommen, religiös und sittlich um-
zubilden, die Eidgenossenschaft zu ihren ursprünglichen Grund-
sätzen zurückzurufen. Wenn Luther vor allem eine Verbes-
serung der Lehre beabsichtigte, welcher Leben und Sitte dann

1 Myconius in Stäudlins und Tzschirners Archiv I, II: inge-
nio amoenus, ore jocundus.

Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.
vergnügtem Geſpräch erheiterte. 1 So arbeitſam er war,
ſo viel er auch unternahm und zu Stande brachte, ſo wies
er doch Niemand von ſich, er wußte einem Jedem etwas
Zufriedenſtellendes zu ſagen. Ein wohlgeſtalteter, kerngeſun-
der Mann; wohlthätig und gutmüthig; heiter umgänglich
lebensfroh und dabei von den großartigſten Gedanken er-
füllt; ein ächter Republikaner.

Wollen wir ihn mit Luther vergleichen, ſo hatte er
nicht ſo gewaltige Stürme zu beſtehen, wie ſie in Luther
die geheimſten Tiefen des inneren Seelenlebens erſchütterten.
Da er ſich nie ſo unbedingt dem beſtehenden Kirchenweſen
hingegeben, ſo hatte er ſich auch jetzt nicht mit ſo gewalt-
ſamer und ſchmerzlicher Anſtrengung davon loszureißen.
Was ihn zum Reformator machte, war nicht jenes tie-
fere Verſtändniß der Idee des Glaubens und ihres Ver-
hältniſſes zur Erlöſung, von welchem Luther ausgegangen,
ſondern vor allem, daß er bei ſeinem wahrheitſuchenden Stu-
dium der Schrift, Kirche und Leben mit dem allgemeinen
Inhalt derſelben in Widerſpruch begriffen ſah. Auch war
Zwingli kein Univerſitätsgelehrter; die herrſchenden Lehrmei-
nungen hatte er niemals ernſtlich getheilt: eine hohe Schule
umzubilden, feſthaltend an allem was ſich erhalten ließ, und
abweichend nur in den weſentlichſten Puncten, war nicht ſein
Beruf. Die Aufgabe ſeines Lebens ſah er vielmehr darin,
die Republik, die ihn aufgenommen, religiös und ſittlich um-
zubilden, die Eidgenoſſenſchaft zu ihren urſprünglichen Grund-
ſätzen zurückzurufen. Wenn Luther vor allem eine Verbeſ-
ſerung der Lehre beabſichtigte, welcher Leben und Sitte dann

1 Myconius in Staͤudlins und Tzſchirners Archiv I, II: inge-
nio amoenus, ore jocundus.
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[64/0080] Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel. vergnügtem Geſpräch erheiterte. 1 So arbeitſam er war, ſo viel er auch unternahm und zu Stande brachte, ſo wies er doch Niemand von ſich, er wußte einem Jedem etwas Zufriedenſtellendes zu ſagen. Ein wohlgeſtalteter, kerngeſun- der Mann; wohlthätig und gutmüthig; heiter umgänglich lebensfroh und dabei von den großartigſten Gedanken er- füllt; ein ächter Republikaner. Wollen wir ihn mit Luther vergleichen, ſo hatte er nicht ſo gewaltige Stürme zu beſtehen, wie ſie in Luther die geheimſten Tiefen des inneren Seelenlebens erſchütterten. Da er ſich nie ſo unbedingt dem beſtehenden Kirchenweſen hingegeben, ſo hatte er ſich auch jetzt nicht mit ſo gewalt- ſamer und ſchmerzlicher Anſtrengung davon loszureißen. Was ihn zum Reformator machte, war nicht jenes tie- fere Verſtändniß der Idee des Glaubens und ihres Ver- hältniſſes zur Erlöſung, von welchem Luther ausgegangen, ſondern vor allem, daß er bei ſeinem wahrheitſuchenden Stu- dium der Schrift, Kirche und Leben mit dem allgemeinen Inhalt derſelben in Widerſpruch begriffen ſah. Auch war Zwingli kein Univerſitätsgelehrter; die herrſchenden Lehrmei- nungen hatte er niemals ernſtlich getheilt: eine hohe Schule umzubilden, feſthaltend an allem was ſich erhalten ließ, und abweichend nur in den weſentlichſten Puncten, war nicht ſein Beruf. Die Aufgabe ſeines Lebens ſah er vielmehr darin, die Republik, die ihn aufgenommen, religiös und ſittlich um- zubilden, die Eidgenoſſenſchaft zu ihren urſprünglichen Grund- ſätzen zurückzurufen. Wenn Luther vor allem eine Verbeſ- ſerung der Lehre beabſichtigte, welcher Leben und Sitte dann 1 Myconius in Staͤudlins und Tzſchirners Archiv I, II: inge- nio amoenus, ore jocundus.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/80>, abgerufen am 24.11.2024.