Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.Zwingli. verschwören: nicht selten die Tagsatzungen sich dagegen erklä-ren -- so knüpften sich doch zu starke Vortheile der Macht- haber in den Cantonen daran. Eine kriegslustige Jugend fand sich immer, um ihren Werbungen Gehör zu geben, und das Uebel wuchs von Tage zu Tage. Zwingli, der sich wie der latinistischen gelehrten, so auch der deutschen populären Li- teratur anschloß, die sich, wie wir uns entsinnen, überhaupt in der Opposition gegen die obwaltenden Mißbräuche be- wegte, schrieb schon im J. 1510 eine ziemlich ausgespon- nene Fabel, worin er der Eidgenossenschaft die Umtriebe vor- stellt, deren Opfer sie sey, wie sie von listigen Katzen ver- führt, von getreuen Hunden vergeblich gewarnt werde, wie sie darüber ihre Freiheit verlieren müsse, die Freiheit, eine so hohe Gnade, daß man sie mit Spieß und Streitaxt nach dem Beispiel der Alten vertheidigen sollte, und welche nicht bestehen könne, wo man Miethe und Gaben nehme; da gehe alle Bundesbrüderschaft zu Grunde. 1 Es war jedoch in dem wüsten Treiben jener Zeit wohl sehr schwer, sich nur selber von diesem Unwesen frei zu halten, und auch Zwingli band sich eine Zeitlang durch die Annahme einer päpstlichen Pen- sion. Ueberhaupt dürfte man der Verehrung der Nach- kommenschaft, die auch in dem früheren Leben ihres Vor- kämpfers nichts als Licht sieht, so unbedingt nicht beitreten. In den Briefen Zwingli's finden sich Geständnisse von sinn- lichen Vergehungen, die sogar etwas Widerwärtiges haben. 2 Es ist sehr sein Ernst und sehr die Wahrheit, wenn er sich selbst öffentlich der Unlauterkeit anklagt. Aber schon aus 1 Huldrychen Zwingli, priesters, fabelisch gedicht von einem ochsen und etlichen thieren jez laufender Dinge begriffenlich. 2 An Heinrich Utinger 4. Dez. 1518 Opp. VII, Epp. I, p. 55.
Zwingli. verſchwören: nicht ſelten die Tagſatzungen ſich dagegen erklä-ren — ſo knüpften ſich doch zu ſtarke Vortheile der Macht- haber in den Cantonen daran. Eine kriegsluſtige Jugend fand ſich immer, um ihren Werbungen Gehör zu geben, und das Uebel wuchs von Tage zu Tage. Zwingli, der ſich wie der latiniſtiſchen gelehrten, ſo auch der deutſchen populären Li- teratur anſchloß, die ſich, wie wir uns entſinnen, überhaupt in der Oppoſition gegen die obwaltenden Mißbräuche be- wegte, ſchrieb ſchon im J. 1510 eine ziemlich ausgeſpon- nene Fabel, worin er der Eidgenoſſenſchaft die Umtriebe vor- ſtellt, deren Opfer ſie ſey, wie ſie von liſtigen Katzen ver- führt, von getreuen Hunden vergeblich gewarnt werde, wie ſie darüber ihre Freiheit verlieren müſſe, die Freiheit, eine ſo hohe Gnade, daß man ſie mit Spieß und Streitaxt nach dem Beiſpiel der Alten vertheidigen ſollte, und welche nicht beſtehen könne, wo man Miethe und Gaben nehme; da gehe alle Bundesbrüderſchaft zu Grunde. 1 Es war jedoch in dem wüſten Treiben jener Zeit wohl ſehr ſchwer, ſich nur ſelber von dieſem Unweſen frei zu halten, und auch Zwingli band ſich eine Zeitlang durch die Annahme einer päpſtlichen Pen- ſion. Ueberhaupt dürfte man der Verehrung der Nach- kommenſchaft, die auch in dem früheren Leben ihres Vor- kämpfers nichts als Licht ſieht, ſo unbedingt nicht beitreten. In den Briefen Zwingli’s finden ſich Geſtändniſſe von ſinn- lichen Vergehungen, die ſogar etwas Widerwärtiges haben. 2 Es iſt ſehr ſein Ernſt und ſehr die Wahrheit, wenn er ſich ſelbſt öffentlich der Unlauterkeit anklagt. Aber ſchon aus 1 Huldrychen Zwingli, prieſters, fabeliſch gedicht von einem ochſen und etlichen thieren jez laufender Dinge begriffenlich. 2 An Heinrich Utinger 4. Dez. 1518 Opp. VII, Epp. I, p. 55.
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Zwingli.
verſchwören: nicht ſelten die Tagſatzungen ſich dagegen erklä-
ren — ſo knüpften ſich doch zu ſtarke Vortheile der Macht-
haber in den Cantonen daran. Eine kriegsluſtige Jugend fand
ſich immer, um ihren Werbungen Gehör zu geben, und das
Uebel wuchs von Tage zu Tage. Zwingli, der ſich wie der
latiniſtiſchen gelehrten, ſo auch der deutſchen populären Li-
teratur anſchloß, die ſich, wie wir uns entſinnen, überhaupt
in der Oppoſition gegen die obwaltenden Mißbräuche be-
wegte, ſchrieb ſchon im J. 1510 eine ziemlich ausgeſpon-
nene Fabel, worin er der Eidgenoſſenſchaft die Umtriebe vor-
ſtellt, deren Opfer ſie ſey, wie ſie von liſtigen Katzen ver-
führt, von getreuen Hunden vergeblich gewarnt werde, wie
ſie darüber ihre Freiheit verlieren müſſe, die Freiheit, eine
ſo hohe Gnade, daß man ſie mit Spieß und Streitaxt nach
dem Beiſpiel der Alten vertheidigen ſollte, und welche nicht
beſtehen könne, wo man Miethe und Gaben nehme; da gehe
alle Bundesbrüderſchaft zu Grunde. 1 Es war jedoch in dem
wüſten Treiben jener Zeit wohl ſehr ſchwer, ſich nur ſelber
von dieſem Unweſen frei zu halten, und auch Zwingli band
ſich eine Zeitlang durch die Annahme einer päpſtlichen Pen-
ſion. Ueberhaupt dürfte man der Verehrung der Nach-
kommenſchaft, die auch in dem früheren Leben ihres Vor-
kämpfers nichts als Licht ſieht, ſo unbedingt nicht beitreten.
In den Briefen Zwingli’s finden ſich Geſtändniſſe von ſinn-
lichen Vergehungen, die ſogar etwas Widerwärtiges haben. 2
Es iſt ſehr ſein Ernſt und ſehr die Wahrheit, wenn er ſich
ſelbſt öffentlich der Unlauterkeit anklagt. Aber ſchon aus
1 Huldrychen Zwingli, prieſters, fabeliſch gedicht von einem
ochſen und etlichen thieren jez laufender Dinge begriffenlich.
2 An Heinrich Utinger 4. Dez. 1518 Opp. VII, Epp. I, p. 55.
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